Zugvögel: Hungrige Singvögel schlafen auf »Standby«
Ähnlich wie der Mensch am Steuer müssen auch Zugvögel auf ihren Reisen Zwischenstopps einlegen, um aufzutanken. Sie brauchen Futter und vor allem: Schlaf. Bei der Wahl ihrer Schlafposition wägen übernächtigte Singvögel dann offenbar zwischen Alarmbereitschaft und Energiesparmodus ab. Das war einem Team um Andrea Ferretti von der Universität Wien aufgefallen: Seine Beobachtungen ergaben, dass ausdauernde Tiere eher mit geradem Hals und nach vorn gerichtetem Blick schlummerten, während geschwächte Weggefährten den Kopf zur Seite drehten und ihn ins Gefieder steckten. Diese Schlafposition koste die Vögel zwar weniger Energie und Wärme, gehe aber mit einer verlangsamten Reaktionsfähigkeit auf potenzielle Angreifer einher, berichtet das Team nun in der Fachzeitschrift »Current Biology«.
Untersucht hatten die Forscher Gartengrasmücken (Sylvia borin), die im Sommer praktisch überall in Europa brüten, im Herbst in tropische Regionen Afrikas ziehen, im Frühjahr retour und damit monatelang unterwegs sind. Eigentlich sind die Langstreckenzieher tagaktiv – trotzdem bevorzugen sie Nachtflüge, weil die Gefahr, gefressen zu werden, im Dunkeln sinkt. Das Team um Ferretti fragte sich, welcher Tricks sich die eher unscheinbaren, beige bis olivbraunen Sperlingsvögel bedienen, um unterwegs bei Kräften zu bleiben. Denn im Gegensatz zu manch anderen Zugvögeln wie etwa dem Fregattvogel können Singvögel – und so auch die Gartengrasmücke – während des Fliegens kein Nickerchen halten. So haben die Tiere, wenn sie nach etwa 500 Flugkilometern über das Mittelmeer die italienische Insel Ponza erreichen, Schlaf bitter nötig.
An dieser beliebten Raststätte postierte sich das Forscherteam, um die Ankömmlinge zu beobachten. Bei den überwachten Tieren fiel auf, dass muskulösere Vögel, deren Fettreserven besser gefüllt waren, eher tagsüber und nach vorn ausgerichtet schliefen. Ausgehungerte Gartengrasmücken hingegen schliefen lieber nachts und vergruben den Schnabel dabei tief unter dem Flügel im Gefieder. Die Forscher vermuteten, dass sich die geschwächten Tiere so besser warmhalten können. Um der Sache nachzugehen, installierten sie eine Wärmebildkamera im Käfig der schlafenden Vögel. Tatsächlich strahlte der Kopf – und zwar speziell die Augenpartie – die meiste Wärme ab.
Aufzeichnungen des Sauerstoffverbrauchs und der Atemfrequenz der Vögel im Schlaf belegten zudem, dass die »zusammengerollten« Tiere ihren Stoffwechsel weiter heruntergefahren hatten als die »geraden« Schläfer. Einen derart deutlichen Unterschied im Metabolismus der Vögel habe er bei den beiden Schlafpositionen gar nicht erwartet, erklärt Ferretti.
Um in einer Art Standby-Modus möglichst effizient mit ihren Kräften hauszuhalten, nehmen die Tiere allerdings wohl auch ein erhöhtes Risiko in Kauf, im Schlaf von Fressfeinden überwältigt zu werden. Denn Gartengrasmücken, die nach vorn gerichtet schliefen, reagierten im Schnitt innerhalb von zwei Zehntelsekunden auf das Geräusch raschelnder Blätter, mit dem Ferretti und sein Team per Lautsprecher einen nächtlichen Angriff vortäuschten. Bei Grasmücken, die ihren Kopf im Gefieder verborgen hatten, dauerte die Reaktion dagegen fast doppelt so lange.
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