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Waldwirtschaft: Ist der Holzeinschlag in Europa sprunghaft angestiegen?

Laut Satellitendaten wurde in Europa seit 2016 deutlich mehr Holz geerntet als früher. Ein echter Holzboom könnte bedenkliche Ausmaße annehmen. Aber stimmen die Daten überhaupt?
Holzfäller bei der Arbeit

Seitdem sich Holz einen Ruf als erneuerbare Energiequelle und CO2-speicherndes Baumaterial erworben hat, steigt die Nachfrage nach dem »grünen« Rohstoff aus dem Wald. Kohlekraftwerke werden auf Holzverbrennung umgestellt, auf dem Bau ersetzt Holz Stahl und Beton, und in der Bioökonomie dient es zur Herstellung von Chemikalien und Treibstoffen. Das ist gut für die Klimabilanz, aber ist es auch nachhaltig? Kann die Bioökonomie auf Holz bauen, ohne dabei die Wälder zu zerstören?

Guido Ceccherini und Kollegen am Gemeinsamen Forschungszentrum der Europäischen Kommission (JRC) im norditalienischen Ispra wecken nun Zweifel an dieser Hoffnung. In einer Studie, die heute im Fachjournal »Nature« erscheint, berichten sie von einem starken Anstieg des Holzeinschlags in europäischen Wäldern, der nahelegt: So einfach werden sich Bioökonomie und nachhaltige Forstwirtschaft nicht verbinden lassen. Allerdings mehren sich bereits kritische Stimmen, die den neuen Daten der Studie nur begrenzte Aussagekraft bescheinigen.

Wie viel Holz wo geerntet wurde, ermittelten die JRC-Forscher mit Hilfe von Satellitenbildern der Landsat-Mission der NASA. Demnach stieg die Holzeinschlagsfläche in Europa zwischen 2016 und 2018 sprunghaft an, nachdem sie in den elf Jahren zwischen 2004 und 2015 relativ stabil geblieben war. Die Forscher fanden, dass sich nicht nur die Gesamteinschlagsfläche vergrößerte, sondern auch die durchschnittliche Fläche der einzelnen Hiebe anstieg.

Zusätzlich ermittelten sie, wie viel oberirdische Biomasse im Wald verloren gegangen ist. Denn die reine Einschlagsfläche ist für sich genommen nur bedingt aussagekräftig, da Wälder unterschiedlich dicht sein können. Ceccherini und Kollegen nahmen dazu ihre Daten zur Waldbedeckung und überlagerten sie mit einer globalen Karte der Biomasseverteilung. Ihr Ergebnis: In den vergangenen Jahren sei deutlich mehr Holz in dichteren Wäldern eingeschlagen worden als davor. Während die Erntefläche 2016 bis 2018 um 49 Prozent zunahm, wuchs der Biomasseverlust um ganze 69 Prozent – jeweils gerechnet im Vergleich zu den Jahren 2004 bis 2015.

Stark gestiegener Holzbedarf | Holz gilt als erneuerbarer und umweltfreundlicher Rohstoff. Große Mengen Holz werden darum den Wäldern entnommen, so wie hier in Österreich.

Der sprunghafte Anstieg der Holzerntefläche ab 2016 geht laut der Studie vor allem auf das Konto von Ländern, die einen hohen Anteil bioökonomischer Industrie haben, etwa weil sie besonders viel Bioenergie nutzen oder größere Mengen Papier herstellen. Dazu zählen zum Beispiel Schweden, Finnland, Estland, Lettland, Polen, Frankreich und Portugal. Schweden und Finnland allein sind laut den Daten der Studie für über 50 Prozent der Zunahme an Einschlagsfläche verantwortlich. In fast allen EU-Ländern nahm die Ernteintensität zu, mit Ausnahme von Deutschland, Dänemark, den Niederlanden und Belgien, wo eine leichte Abnahme zu verzeichnen war.

Zweifel an der Methodik

Diese hohen Steigerungsraten lassen aufhorchen. Allerdings kritisieren Forst- und Fernerkundungsexperten die Methoden, die die Forscher für ihre Studie einsetzten. Die zu Grunde gelegten Datenreihen seien nur eingeschränkt vergleichbar, urteilt etwa Cornelius Senf, Geograf und Fernerkundungsspezialist in der Arbeitsgruppe »Ökosystemdynamik und Waldmanagement in Gebirgslandschaften« an der Technischen Universität München.

Um die Einwände zu verstehen, muss man sich etwas mit der Methodik der Datenerhebung auseinandersetzen: Die Sensoren der Landsat-Satelliten scannen die Erdoberfläche mit einer Auflösung von 30 Metern in mehreren Spektralbereichen des Lichts. Das heißt, ein Rasterpunkt in der Aufnahme entspricht etwa einer 30 mal 30 Meter großen Fläche auf der Erde. Ein von Matthew Hansen und Kollegen der Universität von Maryland entwickelter Algorithmus errechnet aus den multispektralen Aufnahmedaten der Satellitensensoren, welche Regionen mit Wald bedeckt ist und wo Wald hinzukam oder verloren ging.

»Die Autoren überstrapazieren da ihre Methode«Marc Hanewinkel

Dieser Datenstrom, auf den die italienischen Forscher für ihre Studie zurückgriffen, liegt aber nicht vollständig und in kontinuierlicher Qualität vor. Denn zum einen stammen die Daten von mehreren unterschiedlichen Satelliten, und zum anderen kam es vereinzelt auch zu technischen Problemen mit den Sensoren. Landsat 5 kreist bereits seit 1984 um die Erde, Landsat 7 mit verbesserten Kamerasensoren seit 1999 – diese liefern aber seit Ende 2003 nur noch lückenhafte Bilder, weil ein wichtiges Bauteil zur Ausrichtung der Sensoren ausfiel.

Seit 2013 schließlich befindet sich Landsat 8 mit neuer Technik im Orbit, was wiederum zur Folge hat, dass Waldverluste wieder wesentlich besser erkannt werden können. Zudem werden die Datensätze von Matthew Hansen ab dem Jahr 2014 anders verarbeitet, weswegen der Forscher auch explizit darauf hinweist, dass die Daten nur eingeschränkt vergleichbar sind und dabei von möglichen »fundamentalen Einschränkungen« spricht. Diese Einschränkungen seien von den Studienautoren nicht ausreichend berücksichtigt worden, meint Senf.

Der Münchner Forscher sieht darüber hinaus Versäumnisse bei der Datenvalidierung und bemängelt eine fehlende Anknüpfung an andere aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Bereich der forstlichen Fernerkundung. »Jede Flächenschätzung anhand von Fernerkundungsdaten weist einen Fehler auf, das ist eigentlich bekannt, aber in der Studie werden keine Angaben zur Fehlerspanne gemacht«, sagt Senf. Es sei auch nicht klar, warum die Jahre 2000 bis 2003 nicht berücksichtigt wurden, denn da hätte Landsat 7 noch deutlich bessere Bildqualität geliefert.

Guido Ceccherini, Erstautor der Studie, erläutert auf Anfrage, dass die Qualität der Satellitendaten durchgehend so gut sei, dass entsprechende Schlüsse zulässig seien; Lücken im Datenstrom würden zudem auch dadurch kompensiert, dass sich die Wälder in Europa erst in relativ langen Zeiträumen regenerieren. Zudem hätte Landsat 8 dann auch in den Jahren 2013 bis 2015 schon Waldverluste detektieren müssen.

Ökonomie beeinflusst die Holzernte

Marc Hanewinkel, Professor für Forstökonomie und Forstplanung an der Universität Freiburg weist auf einen weiteren kritischen Punkt hin: Die Flächen, auf denen der Wald durch Waldbrände, Stürme oder Insektenbefall verschwand, müssen aus den Daten herausgerechnet werden, um die Ergebnisse nicht zu verfälschen. »Das ist aus meiner Sicht nicht sauber gelöst, und die Autoren überstrapazieren da ihre Methode«, sagt Hanewinkel.

Tatsächlich rechnen die Forscher zwar die abgebrannten Waldflächen heraus, soweit sie in der Europäischen Waldbranddatenbank EFFIS verzeichnet sind und versuchen das auch für Windwurf- und Käferflächen, indem sie pauschal alle Kahlflächen, die mehr als dreimal größer als die durchschnittliche forstliche Erntefläche sind, ausschließen. Diese Methodik wirke aber stark vereinfachend, gibt Hanewinkel zu bedenken. Gerade weil Borkenkäfer die mitteleuropäischen Nadelforste seit 2016 wegen zunehmender Trockenheit massiv schädigen: Allein in der Tschechischen Republik hat sich die Käferholzmenge seit 2015 jedes Jahr ungefähr verdoppelt. Allerdings verzeichneten Ceccherini und Kollegen auch dort ein Anwachsen der Erntefläche, wo der Borkenkäfer weniger wütet, nämlich in den Laubwäldern und borealen Nadelwäldern.

Der Wald gerät unter Druck – auch durch den Klimawandel

Wie viel Bäume wo gefällt werden, zeichnet sich nicht nur in Satellitenbildern ab, sondern müsste sich eigentlich auch aus den Wirtschaftsdaten der einzelnen Länder herauslesen lassen. Tatsächlich, so schreibt das Team um Ceccherini in »Nature«, würden alle von ihnen herangezogenen ökonomischen Indikatoren ihre Messungen bestätigen. Der Holzsektor sei in den letzten Jahren substanziell gewachsen. Das wiederum sei »möglicherweise auf neue Gesetze zur Unterstützung der Bioökonomie (insbesondere Bioenergie) auf EU- und Länderebene« zurückzuführen. Sind also ökonomische und politische Faktoren für einen Anstieg bei der Holzernte verantwortlich, wie die Autoren mutmaßen?

Forstökonomen haben dabei Probleme mit der Auswahl der Vergleichszeiträume, sprich den Jahren 2004 bis 2015 sowie 2016 bis 2018. Denn durch die Finanzkrise 2008/2009 war auch der Holzmarkt eingebrochen. Seither sei die Holzproduktion aber nur parallel zum langsamen Anstieg der Gesamtwirtschaft gestiegen und nicht etwa sprunghaft, sagt Lauri Hetemäki, finnischer Experte des European Forest Institute.

Nicht immer wird Kahlschlag betrieben | Im so genannten Plenterwald stehen Bäume aller Altersgruppen und Größen gemeinsam. Bei der Holzernte werden nur einzelne Bäume geschlagen, was sich aus dem All nur schwer beobachten lässt.

Jürgen Bauhus, Professor für Waldbau an der Universität Freiburg sieht noch ein weiteres Manko: Wenn man wie in den Jahren 2011 bis 2015 große Sturmwurfflächen habe, sei klar, dass auf den nicht betroffenen Flächen die Ernteintensität zurückgehe, da zuerst das Holz im Windwurf verarbeitet werden müsse und auf den anderen Flächen die Ernte zurückgefahren werde. Rechne man die Windwurfflächen nun, wie in der Studie geschehen, komplett heraus, hätte man dann später automatisch deutlich gestiegene Erntemengen auf den übrigen Flächen, selbst wenn sich dort die Erntemenge nur normalisiert hat.

Grenzen der Fernerkundung

Hinzu kommt, dass die Methode Schwächen hat, wenn es darum geht, eine eher kleinräumige Bewirtschaftung des Walds zu erfassen, wie auch die Autoren selbst einräumen. Dabei sind solche Wirtschaftsformen, bei der nicht die gesamte Fläche abgeholzt wird, sondern nur einzelne Bäume entnommen werden, gerade in Mitteleuropa von großer Bedeutung. Aber sie verrät sich eben kaum im Satellitenbild. Auch alles, was sich unter den Baumkronen abspielt, erfassen die Späher aus dem All nicht.

Diese methodischen Einschränkungen führen allerdings eher dazu, dass man die Ernteintensität unter- als überschätzt. Es sei auch durchaus plausibel, dass die Autoren richtig liegen mit ihrer Schlussfolgerung, dass die Wälder Europas derzeit besonderen Belastungen ausgesetzt sind und der Holzeinschlag in Europa insgesamt zunimmt, meint Senf. Auf Grund der methodischen Schwächen seien die von Ceccherini und Kollegen genannten konkreten Steigerungswerte jedoch fragwürdig, und die Ursachen blieben unklar.

Zukünftig werden sich die Möglichkeiten zur satellitengestützten Beobachtung der Waldentwicklung weiter verbessern. Die NASA plant für 2021 die Entsendung von Landsat 9, und die EU strebt unter dem Stichwort EU Observatory ein globales Waldmonitoringprogramm an, bei dem die NASA-Daten mit denen der Sentinel-Satelliten aus dem europäischen Raumfahrtprogramm kombiniert werden sollen.

Nicht nur für die Forstwirtschaft sind genaue Daten darüber, wann wo wie viel Wald verschwindet oder zuwächst, unerlässlich, sie haben auch eine große Bedeutung für den Klimaschutz. Immerhin bedecken Wälder 38 Prozent von Europas Landfläche und binden jedes Jahr rund zehn Prozent der Treibhausgasemissionen der EU. Dass die Interpretation dieser Daten viele Fallstricke bereithält, zeigt sich anhand der aktuellen Studie.

Trotzdem ließen sich Schlüsse für die Zukunft daraus ziehen, erläutert Bauhus gegenüber dem Science Media Center: »Auch wenn die hier berichteten Zahlen nicht plausibel sind, zeigt die Arbeit im Prinzip, dass die Klimaschutzleistung der europäischen Wälder keine konstante Größe ist, sondern in hohem Maß von den Auswirkungen des Klimawandels abhängig ist. Sie verdeutlicht, dass wir Wälder und ihre Nutzung dringend resilienter und anpassungsfähiger gestalten müssen, damit sie auch in Zukunft die gewünschten Klimaschutzleistungen erbringen können.«

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