Die durch ihre spektakulären Algenblüten bekannten Kalkflagellaten entgehen einem bedrohlichen Virus durch einen biologischen Trick, berichten Miguel Frada von der Université Pierre et Marie Curie im französischen Roscoff und seine Kollegen: Die einzellige Algengruppe schiebt eine Phase in ihren Lebenszyklus ein, in der die Zellen äußerlich unscheinbar sind, nur einen einfachen Chromosomensatz besitzen und von dem Erreger nicht angegriffen werden.
Sichtbar aus dem All: Kalkalgenblüte vor der englischen Küste | Die Massenblüte von Kalkalgen – hier Emiliana huxleyi in den 1990er Jahren vor der Küste Englands – ist auch aus dem All gut zu erkennen. Die Blütezeit erleben die Algen in ihrer diploiden Form. Diese wird allerdings von einem spezialisierten Virus schnell flächendeckend infiziert und dahingerafft. Übrig bleibt die durch den Erreger nicht angreifbare haploide Sorte des Einzellers.
Kalkflagellaten wie Emiliana huxleyi sind wichtige ozeanische Regulatoren des globalen Kohlenstoffkreislauf: Die Einzeller lagern auf der Außenseite ihrer Zelle starke Kalziumkarbonatschichten auf und beeinflussen so die Dynamik des Austausches von Kohlendioxid zwischen Atmosphäre und Ozean. Die in Algenblüten explodierenden Populationen der Kalkflagellaten brechen regelmäßig ebenso plötzlich scheinbar völlig zusammen, sobald sie von einem spezialisierten Virus infiziert werden. Fradas Team ermittelte nun aber, dass die Population unter dem Druck der Virusepidemie nicht gänzlich eingeht: Kurze Zeit nach dem ersten virenbedingten Zelltod beginnen zwar die ursprünglich diploiden, auffälligen Algenformen zu verschwinden, gleichzeitig aber treten vermehrt unscheinbare haploide Algenzellen auf, die keine Kalkhülle, sondern einen schuppigen Überzug tragen und offenbar deshalb von dem Erreger nicht erkannt werden.
Zwei Sorten von Emiliania huxleyi | Der Kalkflagellat Emiliania huxleyi unter dem Mikroskop und in Schemazeichnung – dargestellt sind jeweils die kalkschichtumhüllte diploide und die unscheinbare haploide Form des Einzellers. Die diploide Form (jeweils oben) trägt keine Geißel, dafür aber eine Schicht von Kalzitplättchen (so genannten Coccolithen) auf der Oberfläche. Coccolithen finden sich in Sedimenten bereits seit der Trias, die Algen sind daher auch wichtige Leitfossilien.
Ob die Algenpopulation aktiv mit einer vermehrten Produktion von haploiden Formen auf die virale Bedrohung reagiert oder bei der Epidemie einfach nur eine geringe Zahl von ohnehin stets vorhandenen haploiden Algen konkurrenzlos verbesserte Bedingungen erhält, konnten die Forscher zunächst nicht eindeutig ermitteln. Jedenfalls sei die Möglichkeit, haploide Ausweichformen zu bilden, ein enormer Evolutionsvorteil für Emiliana huxleyi. Die Möglichkeit, verschiedene Generationsphasen zu nutzen, könne ein womöglich unterschätzter Faktor in der Dynamik mariner Ökosysteme sein, so die Forscher. (jo)
Quellen
Links im Netz
Lexika
Frada, M. et al.: The "Cheshire Cat" escape strategy of the coccolithophore Emiliania huxleyi in response to viral infection. In: Proceedings of the National Academy of Sciences, 10.1073.pnas.0807707105, 2008.
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