Betazerfall: Keine Spur von Majorana-Neutrinos
Das GERDA-Experiment hat nach eineinhalb Jahren Suche keine Hinweise auf einen seltenen radioaktiven Zerfall gefunden, der als Bote für neue Physik jenseits des Standardmodells gilt. Die Messung widerlegt das in der Fachwelt umstrittene Ergebnis einer kleinen Gruppe von Physikern, die im Jahr 2004 Evidenz für diesen "neutrinolosen doppelten Beta-Zerfall" proklamiert hatte.
Das GERmanium Detector Array (Gerda) steht in den Gran-Sasso-Untergrundlaboren, die durch ein 1400 Meter dickes Felsmassiv von kosmischer Strahlung abgeschirmt wird. Innerhalb des zehn Meter breiten Wassertanks und einer vier Meter messenden Kühlkammer hängen dosenförmige Behälter mit insgesamt 17,66 Kilogramm Germanium-76. In den Atomkernen des stark angereicherten Isotops wandeln sich manchmal zwei Neutronen zeitgleich in Protonen um, wobei sie unter anderem zwei Antineutrinos freisetzen. Bei einigen wenigen dieser doppelten Betazerfälle könnten sich die zwei Neutrinos unmittelbar auslöschen, vermuten Physiker.
Möglich ist dieser doppelte "neutrinolose" Betazerfall aber nur, wenn Neutrinos ihre eigenen Antiteilchen sind – sogenannte "Majorana-Fermionen". Dass es solche Partikel gibt, hat der italienische Physiker Ettore Majorana bereits 1937 vorhergesagt. Bisher konnten sie jedoch nur in Form von gekoppelten Mehrteilchen-Zuständen (sogenannten Quasiteilchen) in Festkörpern nachgewiesen werden. Der neutrinolose doppelte Betazerfall wäre der Beleg dafür, dass auch Elementarteilchen Majorana-Fermionen sein können.
Für die Physiker wäre ein Nachweis des seltenen Zerfalls ein ermutigendes Ergebnis. Majorana-Fermionen spielen eine wichtige Rolle bei der Modellierung des Urknalls. Auch nehmen sie einen prominenten Platz in der Supersymmetrie ein. Die Supersymmetrie soll das Standardmodell der Teilchenphysik um eine Vielzahl neuer Partikeln erweitern. Eines davon wäre das sogenannte Neutralino, das für viele Physiker der Traumkandidat für die Dunkle-Materie ist. Es wäre der Theorie zufolge sein eigenes Antiteilchen und damit ein Majorana.
Auch soll der doppelte neutrinolose Betazerfall dabei helfen, die bisher unbekannten Neutrino-Massen zu bestimmen. Aber um dem seltenen Prozess nachjagen zu können, muss man viel Geduld mitbringen: Schon die Vorgängerexperimente von GERDA konnten zeigen, dass der Zerfall mindestens eine Halbwertszeit von unvorstellbaren 1,9 mal 1025 Jahren haben muss. Er soll sich durch eine kleine Energieentladung bei 2039 Kiloelektronenvolt äußern.
Zwischen November 2011 und Mai 2013 haben die Gerda-Forscher tatsächlich drei solcher Ereignisse identifiziert. Aber das würde man auch im Rahmen statistischer Schwankungen erwarten. "Wir haben keine Hinweise für ein starkes Signal", sagte GERDA-Sprecher Stefan Schönert von der Technischen Universität München in seinem Vortrag, der per Live-Stream übertragen wurde. Der Messung zufolge habe der hypothetische Zerfall mindestens eine Halbwertszeit von 2,1 mal 1025 Jahren – erst verbesserte Detektoren könnten ihn aufspüren.
Am Gran Sasso wurden nur die Ergebnisse der ersten Phase des Experiments vorgestellt. In ihr ging es laut der Kollaboration vor allem darum, ein kontroverses Ergebnis zu überprüfen, das eine kleine Gruppe rund um den Heidelberger Physiker Hans Volker Klapdor-Kleingrothaus im Jahr 2004 veröffentlicht hatte. Es basiert auf den Daten des sogenannten Heidelberg-Moscow-Experiments, das 2001 zunächst keine eindeutigen Hinweise auf den doppelten neutrinolosen Betazerfall gefunden hatte.
Klapdor-Kleingrothaus veröffentlichte 2004 jedoch mit drei Kollegen eine neue Datenanalyse, die ein Signal mit 4,2 Sigma Signifikanz in den Heidelberg-Moscow-Daten Signifikanz identifizierte. Die Interpretation provozierte erheblichen Widerspruch, auch innerhalb der Heidelberg-Moscow-Kollaboration, weil Klapdor-Kleingrothaus aus Sicht der meisten Physikern die Daten zu optimistisch deutete. Nun könne man die Behauptung mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückweisen, sagte Schönert bei der Präsentation der Ergebnisse.
Aber die Hoffnung, dass das Neutrino sein eigenes Antiteilchen ist, hat Gerda noch nicht vollständig zerschlagen. In der zweiten Phase des Experiments sollen noch genauere Detektoren zum Einsatz kommen. Mit großem Aufwand wurden sie um die halbe Welt geschifft: Angereichert wurde das Germanium in sibirischen Zentrifugen, im amerikanischen Oakridge wurden schließlich Kristalle aus dem Pulver gezogen. Wegen der kosmischen Strahlung durfte das empfindliche Detektormaterial nur in speziellen Schutzcontainern transportiert werden, gelagert wurde es stets unterirdisch.
Mittlerweile sind die ersten Super-Detektoren am Gran Sasso angekommen, berichtet Schönert. Auch der Tank ist trockengelegt worden, am Ende des Jahres sollen die ersten Detektoren installiert werden. Auch auf der anderen Seite des Atlantik wird gesucht: das amerikanische MAJORANA-Experiment will den seltenen Zerfall noch vor Gerda dingfest machen.
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