Reptilien: Kleine Vegetarier
Man muss als Kaltblüter nicht zwingend groß gewachsen sein, um fleischlos leben zu können. Auch kleinere Echsen dürfen sich von tierischer Nahrung fern halten.
Es war vielleicht nur ein kleiner Schritt für die Evolution, aber ein sehr großer für die squamaten Reptilien, die Eidechsen und Schlangen: die Umstellung von einer fleischlichen auf eine rein pflanzliche Diät. Dies schien daher auch nur einer Gruppe von Echsen gelungen zu sein – den Leguanartigen (Iguania) –, und ihre Pflanzen fressenden Arten mussten große Körper entwickeln und in den Tropen leben. Nur voluminöse Echsen brachten demnach die körperlichen Voraussetzungen mit, Pflanzenkost zu verdauen, nur ihnen gelang es die dafür nötigen höheren Körpertemperaturen über längere Zeit zu halten.
Doch ist diese These wirklich haltbar? War es nicht vielleicht nur Zufall, dass die Wissenschaft Pflanzenkost nur bei großen Leguanen beobachtete und kleineren Echsen in dieser Hinsicht einfach keine Aufmerksamkeit widmete? Neuere Untersuchungen der Wissenschaftler um Robert Espinoza von der California State University in Northridge belegen denn auch genau das Gegenteil. Sie zeigen, dass kleinere Eidechsen ebenso vegetarisch leben können – und dies nicht nur in tropischen Gefilden.
Auf ihre Weise sind die Liolaemidae, zu denen etwa die Erdleguane zählen, einmalig unter den Schuppenkriechtieren: Sie leben häufig in kühleren Klimaten, sie sind klein, und sie fressen bevorzugt pflanzliche Nahrung. Die Zahl ihrer vegetarischen Arten ist wahrscheinlich größer als die aller anderen Pflanzen fressenden Echsen zusammen. Zudem vollzog sich dieser Evolutionsschritt in den Liolaemidae mehrfach und in einer Geschwindigkeit, die 65-mal schneller war als in anderen Echsenfamilien. Alles in allem widersprechen sie somit den gängigen Klischees vegetarischer Kriechtiere.
Die Forscher zählten in ihren phylogenetischen Untersuchungen von 92 Echsenspezies aus der Gruppe der Liolaemidae 34 Vegetarier, die auf mindestens acht unabhängige Ursprünge zurückgehen. Insgesamt könnten es sogar wenigstens 18 sein, so Espinoza. Dies wird von keiner anderen squamaten Reptiliengruppe erreicht. Dennoch bilden herbivore Echsen insgesamt nur eine verschwindend kleine Minderheit unter den Schuppenkriechtieren. Fleisch oder alles fressende Vertreter stellen mehr als 98 Prozent aller squamaten Reptilienarten, was ihren Vorteil während der Evolution unterstreicht, denn tierische Nahrung ist energiereicher und für Echsen leichter zu verdauen.
Was aber veranlasste die Liolaemidae dennoch auf pflanzliche Ernährung umzusteigen, auch wenn sie eher nachteilig ist? Dazu lohnt sich ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Schuppenkriechtiere: Ihre Urahnen suchten und fanden Beute mit den Augen, jagten aus Verstecken und fingen schließlich ihre Nahrung mit der Zunge. Im frühen Jura spalteten sich aus dieser Linie die so genannten Scleroglossa ab – die moderneren Echsen und die Schlangen. Sie hatten beweglichere Schädel und erlegten ihre Nahrung mit Zuschnappen des Kiefers.
Die Jagd mit dem Kiefer eröffnete der Reptilienzunge neue Betätigungsfelder, was wiederum neue Verzweigungen im Stammbaum ermöglichte. Die Gekkoartigen nutzten jetzt ihre Zunge zum Putzen ihres Gesichts und erschnüffelten Jagdopfer mit ihrem Geruchssinn. Der andere Zweig brachte Eidechsen und Schlangen (Autarchoglossa) hervor, die mit Züngeln Duftmoleküle an ihre Riechorgane am Gaumen fächeln.
Während die frühen Leguane – die Vegetarier ausgeschlossen – als visuelle Jäger bevorzugt bewegte Ameisen oder Käfer verzehrten, eröffnete der Einsatz des Geruchssinns den Schuppenkriechtieren vollkommen neue Beutespektren. Sie erspähten nun nicht nur bewegliche Beute, sondern errochen auch versteckte Opfer. Zudem weiteten sie die Bejagung auf andere Insekten, Schnecken und Wirbeltiere aus, was ihnen neue Nischen und Lebensräume erschloss. Folglich kam es zu einer regelrechten Explosion der Artenvielfalt. Heute kennt man über 5000 Autarchoglossa-Arten, darunter etwa 2900 Schlangenspezies. Allerdings bildeten sich in diesem gesamten großen Zweig nur achtmal herbivore Arten oder Gattungen aus. Und das, obwohl die Vielfalt an Autarchoglossen in den tropischen Feucht- und Trockengebieten am höchsten ist und die dortigen Lebensbedingungen vegetarische Reptilien fördern sollten.
Wenn die Umstände für vegetarische Autarchoglossen so günstig sind, wieso kommt es dann nicht unter ihnen zu der Vielzahl an überzeugten Vegetariern, sondern bei den stammesgeschichtlich älteren Liolaemidae? Hat auch das vielleicht evolutionäre Gründe? In der Tat bringt es in der Heimat der kleinwüchsigen Liolaemidae – den kühlen Hochlagen der Anden oder im gemäßigten Süden Argentiniens und Chile – Vorteile, vegetarisch zu leben, denn Insektennahrung ist dort knapper und nicht immer verfügbar wie in den heißen Tropen. Zusätzlich fehlen meist die Autarchoglossa, die Liolaemidae als Speise nicht verschmähen. Die vegetarischen Reptilien können folglich länger aktiv bleiben und zur Verdauung der Pflanzenkost ihre Körpertemperaturen steigern, ohne dass sie ständig in Gefahr schweben. Sie entgehen durch die Zuflucht in kühle Gebiete dem mannigfaltigen Jagddruck durch ihre agile Kriechtierverwandtschaft.
Ihre Entwicklungsgeschichte geht aber noch weiter. Die Liolaemidae bewegen sich nicht nur häufiger und länger, sondern heizen sich auch schneller auf. Zusätzlich haben sie Schutzstrategien gegen Pflanzengifte entwickelt, die ihren Insekten fressenden Leguanverwandten fehlen. Alle diese Gründe erweitern die Wahlmöglichkeiten der Liolaemidae und erschließen ihnen durch eine angepasste Entwicklung – die adaptive Radiation – neue Lebensräume.
Auch wenn es vielleicht für die Liolaemidae ein großer Schritt zum Vegetarier war, ein richtiger war es für sie auf alle Fälle: Sie besetzen fast jede ökologische Nische in den südlichen Anden Südamerikas und sind somit ein evolutionäres Erfolgsmodell.
Doch ist diese These wirklich haltbar? War es nicht vielleicht nur Zufall, dass die Wissenschaft Pflanzenkost nur bei großen Leguanen beobachtete und kleineren Echsen in dieser Hinsicht einfach keine Aufmerksamkeit widmete? Neuere Untersuchungen der Wissenschaftler um Robert Espinoza von der California State University in Northridge belegen denn auch genau das Gegenteil. Sie zeigen, dass kleinere Eidechsen ebenso vegetarisch leben können – und dies nicht nur in tropischen Gefilden.
Auf ihre Weise sind die Liolaemidae, zu denen etwa die Erdleguane zählen, einmalig unter den Schuppenkriechtieren: Sie leben häufig in kühleren Klimaten, sie sind klein, und sie fressen bevorzugt pflanzliche Nahrung. Die Zahl ihrer vegetarischen Arten ist wahrscheinlich größer als die aller anderen Pflanzen fressenden Echsen zusammen. Zudem vollzog sich dieser Evolutionsschritt in den Liolaemidae mehrfach und in einer Geschwindigkeit, die 65-mal schneller war als in anderen Echsenfamilien. Alles in allem widersprechen sie somit den gängigen Klischees vegetarischer Kriechtiere.
Die Forscher zählten in ihren phylogenetischen Untersuchungen von 92 Echsenspezies aus der Gruppe der Liolaemidae 34 Vegetarier, die auf mindestens acht unabhängige Ursprünge zurückgehen. Insgesamt könnten es sogar wenigstens 18 sein, so Espinoza. Dies wird von keiner anderen squamaten Reptiliengruppe erreicht. Dennoch bilden herbivore Echsen insgesamt nur eine verschwindend kleine Minderheit unter den Schuppenkriechtieren. Fleisch oder alles fressende Vertreter stellen mehr als 98 Prozent aller squamaten Reptilienarten, was ihren Vorteil während der Evolution unterstreicht, denn tierische Nahrung ist energiereicher und für Echsen leichter zu verdauen.
Was aber veranlasste die Liolaemidae dennoch auf pflanzliche Ernährung umzusteigen, auch wenn sie eher nachteilig ist? Dazu lohnt sich ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Schuppenkriechtiere: Ihre Urahnen suchten und fanden Beute mit den Augen, jagten aus Verstecken und fingen schließlich ihre Nahrung mit der Zunge. Im frühen Jura spalteten sich aus dieser Linie die so genannten Scleroglossa ab – die moderneren Echsen und die Schlangen. Sie hatten beweglichere Schädel und erlegten ihre Nahrung mit Zuschnappen des Kiefers.
Die Jagd mit dem Kiefer eröffnete der Reptilienzunge neue Betätigungsfelder, was wiederum neue Verzweigungen im Stammbaum ermöglichte. Die Gekkoartigen nutzten jetzt ihre Zunge zum Putzen ihres Gesichts und erschnüffelten Jagdopfer mit ihrem Geruchssinn. Der andere Zweig brachte Eidechsen und Schlangen (Autarchoglossa) hervor, die mit Züngeln Duftmoleküle an ihre Riechorgane am Gaumen fächeln.
Während die frühen Leguane – die Vegetarier ausgeschlossen – als visuelle Jäger bevorzugt bewegte Ameisen oder Käfer verzehrten, eröffnete der Einsatz des Geruchssinns den Schuppenkriechtieren vollkommen neue Beutespektren. Sie erspähten nun nicht nur bewegliche Beute, sondern errochen auch versteckte Opfer. Zudem weiteten sie die Bejagung auf andere Insekten, Schnecken und Wirbeltiere aus, was ihnen neue Nischen und Lebensräume erschloss. Folglich kam es zu einer regelrechten Explosion der Artenvielfalt. Heute kennt man über 5000 Autarchoglossa-Arten, darunter etwa 2900 Schlangenspezies. Allerdings bildeten sich in diesem gesamten großen Zweig nur achtmal herbivore Arten oder Gattungen aus. Und das, obwohl die Vielfalt an Autarchoglossen in den tropischen Feucht- und Trockengebieten am höchsten ist und die dortigen Lebensbedingungen vegetarische Reptilien fördern sollten.
Wenn die Umstände für vegetarische Autarchoglossen so günstig sind, wieso kommt es dann nicht unter ihnen zu der Vielzahl an überzeugten Vegetariern, sondern bei den stammesgeschichtlich älteren Liolaemidae? Hat auch das vielleicht evolutionäre Gründe? In der Tat bringt es in der Heimat der kleinwüchsigen Liolaemidae – den kühlen Hochlagen der Anden oder im gemäßigten Süden Argentiniens und Chile – Vorteile, vegetarisch zu leben, denn Insektennahrung ist dort knapper und nicht immer verfügbar wie in den heißen Tropen. Zusätzlich fehlen meist die Autarchoglossa, die Liolaemidae als Speise nicht verschmähen. Die vegetarischen Reptilien können folglich länger aktiv bleiben und zur Verdauung der Pflanzenkost ihre Körpertemperaturen steigern, ohne dass sie ständig in Gefahr schweben. Sie entgehen durch die Zuflucht in kühle Gebiete dem mannigfaltigen Jagddruck durch ihre agile Kriechtierverwandtschaft.
Ihre Entwicklungsgeschichte geht aber noch weiter. Die Liolaemidae bewegen sich nicht nur häufiger und länger, sondern heizen sich auch schneller auf. Zusätzlich haben sie Schutzstrategien gegen Pflanzengifte entwickelt, die ihren Insekten fressenden Leguanverwandten fehlen. Alle diese Gründe erweitern die Wahlmöglichkeiten der Liolaemidae und erschließen ihnen durch eine angepasste Entwicklung – die adaptive Radiation – neue Lebensräume.
Auch wenn es vielleicht für die Liolaemidae ein großer Schritt zum Vegetarier war, ein richtiger war es für sie auf alle Fälle: Sie besetzen fast jede ökologische Nische in den südlichen Anden Südamerikas und sind somit ein evolutionäres Erfolgsmodell.
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