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Anpassung an den Klimawandel: »Der Temperaturanstieg ist nicht das, was man bemerkt«

Wälder, Moore, Landwirtschaft: Der Klimawandel verändert die Landschaften in Deutschland. Im Interview erklärt Juliane El Zohbi, wie man mit den Herausforderungen umgeht.
Ein Bauer auf dem Feld beim Heuwenden, Luftaufnahme mit Wald im Hintergrund.
Menschen haben Deutschlands Kulturlandschaften geschaffen und geprägt. In einem wärmeren Klima müssen sich Felder, Wald und Moor erneut deutlich verändern.

Der Klimawandel macht sich auch in hier zu Lande immer deutlicher bemerkbar. Deutschlands Kulturlandschaften, ob Äcker oder Wälder, werden sich ebenso anpassen müssen wie Städte und Gemeinden. Doch wie die Folgen aussehen werden und welche konkreten Maßnahmen sie mildern können, ist oft noch unklar. Juliane El Zohbi vom Climate Service Center Germany (Gerics) sucht Antworten auf solche Fragen und unterstützt Landwirte und Gemeinden bei der Anpassung. Im Interview erklärt sie, was auf uns zukommt und wie sie Deutschland klimafest macht.

Wie kann sich die Landwirtschaft in Deutschland an den Klimawandel anpassen?

Das muss man sich immer im Detail anschauen. Der Klimawandel wirkt sich regional sehr unterschiedlich aus. Jeder Hof ist außerdem anders betroffen, je nachdem, welche Kulturen er anbaut, welche Tiere er hält. Worauf wir uns sicherlich einstellen können, ist der vermehrte Anbau von Kulturen, die wir in Deutschland heute noch als exotisch empfinden, etwa Kichererbsen oder Wassermelonen. Und ich kann mir auch vorstellen, dass wir künftig weniger Monokulturen sehen werden, weil eine kleinteiligere, vielfältigere Landwirtschaft das Risiko minimiert, durch Wetterextreme Totalverluste zu erleiden.

Das klingt nach einer ziemlich ungewissen Zukunft. Ist diese Unsicherheit bei den Betroffenen zu spüren?

Während des sehr heißen Sommers 2018 beispielsweise haben Landwirtschaftsverbände bei uns angefragt: Was ist künftig an Hitze und Trockenheit zu erwarten? Wie können wir damit umgehen? Helfen Sie uns doch mal!

Juliane El Zohbi | Die Klimaforscherin arbeitet als Wissenschaftlerin am Climate Service Center Germany (Gerics), einer Einrichtung des Helmholtz-Zentrums Hereon, das 2009 von der Bundesregierung im Rahmen ihrer »Hightech-Strategie zum Klimaschutz« ins Leben gerufen wurde. Eines der Ziele des Gerics ist es, Entscheidungsträger aus der Praxis mit wissenschaftlicher Expertise bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Der Schwerpunkt von El Zohbis Arbeit liegt auf dem ländlichen Raum und dem landwirtschaftlichen Sektor.

Und wie genau helfen Sie dann?

Aus vielen solcher Anfragen entwickelte sich eine mehrjährige, enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Akteuren aus der Landwirtschaft. An deren Ende stand eine digitale Plattform, auf der man spezifische Klimainformationen für verschiedene Kulturen wie Mais, Winterraps oder Winterweizen abrufen kann: Während welcher Wachstumsphase der Pflanze – von der Saat über das Blütenstadium bis zur Kornentwicklung – ist über die kommenden Jahrzehnte mit welchen Klimaveränderungen zu rechnen? Das sind Informationen, die aus Sicht der Landwirtschaft wertvoll sind. Auch für die Ausbildung des landwirtschaftlichen Nachwuchses. Die von uns entwickelten digitalen Klimawerkzeuge lassen sich direkt in den Unterricht der jungen Landwirtinnen und Landwirte einbinden.

Mehr Trockenheit ist nur eine der Folgen des Klimawandels in Deutschland. Wie macht er sich sonst noch bemerkbar?

Es gibt vielfältige Auswirkungen. Da ist natürlich der allgemeine Temperaturanstieg. Der liegt in Deutschland im Mittel schon jetzt bei 1,6 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Aber die erhöhte Temperatur selbst ist gar nicht unbedingt das, was man wirklich bemerkt, sondern die Auswirkungen davon. Etwa die vermehrten Starkregenereignisse. Oder gerade mit Blick auf die Ökosysteme die verlängerte Vegetationsperiode. Die Blütezeiten verschieben sich immer weiter nach vorn.

Eines der frappierendsten Beispiele dafür ist ein Forsythienstrauch in Hamburg, dessen Blütezeit bereits seit Mitte der 1940er Jahre dokumentiert wird, inzwischen als offizielle Langzeitbeobachtung des Deutschen Wetterdienstes. Diese Zeitreihe zeigt, dass die Forsythien zwar nicht in jedem einzelnen Jahr früher blühen als im Vorjahr, aber im Durchschnitt inzwischen fast einen Monat früher als vor 80 Jahren.

Welche Auswirkungen hat die Verschiebung der Blütezeiten für die Landwirtschaft?

Eine frühere Blütezeit kann ein eingespieltes Ökosystem aus dem Takt bringen. So lässt sich immer wieder beobachten, dass zwar auf den Feldern schon alles blüht, aber die Insekten, die für die Bestäubung wichtig sind, noch nicht so weit sind. Und bei Obstbäumen steigt mit der früheren Blüte die Gefahr, dass ein Spätfrost die Ernte vermiest.

Sie haben Starkregenereignisse erwähnt. Lässt sich abschätzen, welche Regionen Deutschlands dafür künftig besonders anfällig sein werden?

Wir haben uns für jeden einzelnen Landkreis in Deutschland die Temperatur- und Niederschlagsprognosen bis zum Ende des Jahrhunderts angeguckt. Auf dieser Basis lässt sich kein Landkreis herausgreifen, von dem man sagen könnte, dass er in besonderer Weise gefährdet wäre. Das Risiko für Starkregenereignisse nimmt aber durchweg in allen Landkreisen zu. Bei Hitze dagegen kann man konkrete Aussagen zu unterschiedlichen Risiken machen. Hier zeigen sich deutliche regionale Unterschiede. Dort, wo es schon heute besonders warm ist, wird die Zahl heißer Tage – das sind solche mit mehr als 30 Grad – besonders stark zunehmen. Das betrifft etwa viele Regionen im Süden Deutschlands, beispielsweise das Gebiet des Oberrheingrabens in Baden-Württemberg.

»Eine frühere Blütezeit kann ein eingespieltes Ökosystem aus dem Takt bringen«

Auch der Wald gerät durch den Klimawandel aus dem Takt. Welche Auswirkungen lassen sich hier feststellen?

Das ist ein Ökosystem, das sehr stark betroffen ist. Waldmonokulturen, wie sie hier zu Lande lange Zeit üblich waren, gehören der Vergangenheit an. Diese klassischen Fichtenwälder, in denen ein Baum aussieht wie der andere, sind gegenüber typischen direkten und indirekten Klimawandelfolgen – wie Trockenheit, Stürmen, Borkenkäferplagen – schlicht nicht resistent genug. Das kann man beispielsweise im Harz sehr eindrücklich sehen, wo große Waldflächen geschädigt sind. Wenn nach einem so großflächigen Baumwurf wiederaufgeforstet wird, entstehen in Deutschland schon seit Längerem Mischwälder. Denn Förster zählen zu den langfristig denkenden Menschen. Was sie heute pflanzen, ist für die nächste Generation. Also probieren sie viel aus. Kombinieren unterschiedliche Baumarten. Schauen, welche Waldmischung mit den neuen Bedingungen am besten zurechtkommt.

Wie kommen die Moore in Deutschland mit den sich ändernden klimatischen Bedingungen zurecht?

Man wird sehen müssen, ob künftig noch überall genügend Wasser vorhanden ist. Es wird in Deutschland mehr Trockenphasen geben. Und durch die steigenden Temperaturen verdunstet ja auch immer mehr Wasser. Der Klimawandel kann für Moore kritische Folgen haben. Andererseits sind Moore Ökosysteme, die mehr als alle anderen dazu beitragen können, das Klima zu schützen, da sie große Mengen an CO2 binden. Aus diesem Grund plant die Bundesregierung auch die Wiedervernässung von Mooren, die vor langer Zeit für die Landwirtschaft trockengelegt wurden.

Kann es sein, dass solche Moorwiedervernässungen mancherorts gar nicht mehr möglich sind, weil der Wasserhaushalt heute – und künftig – ganz anders aussieht als zur Zeit der Trockenlegung?

Möglich ist das. Da muss man immer von Fall zu Fall schauen. Für mehr Moore würde jedenfalls sprechen, dass sie dazu beitragen, die Folgen des Klimawandels abzufedern, indem sie große Mengen Wasser in der Landschaft halten können, wie ein Schwamm. Damit sind sie ein Puffer bei Starkregenereignissen – und andererseits ein Wasserreservoir in Trockenzeiten.

Könnte es sein, dass Moore künftig als eine Art Klimaanlage bisher ungeahnte Wertschätzung erfahren? Als Wasserspeicher tragen sie ja dazu bei, die Temperatur in ihrer Umgebung abzusenken.

Das ist ein spannender Gedanke. Es stimmt, Moore verändern lokal das Klima, an Hitzetagen sorgen sie für die Kühlung der Umgebungsluft. Diesen Aspekt sollte man vielleicht noch mehr in den Vordergrund rücken. Denn Moore haben noch immer ein Imageproblem, ihre Befürworter und Gegner kriegen sich oft ziemlich in die Haare.

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