Kognition: Nikotin auf Rezept?
Im Sommer 1926 erschien im »British Medical Journal« ein Artikel des Mediziners Henry Moll von der University of Leeds, in dem er Nikotininjektionen als Behandlungsansatz für das postenzephalitische Parkinson-Syndrom beschrieb. Betroffene leiden nach einer Entzündung des Hirngewebes an Symptomen, die der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit bei der Parkinsonkrankheit gleichen. Meistens betrifft dies allerdings nur eine Seite des Körpers. Zwar hätte er die Patienten nicht heilen können, so Moll, aber immerhin würde sein Therapieansatz ihre Symptome deutlich lindern. Er plädierte daher dafür, die Methode weiter zu erforschen.
In den folgenden Jahrzehnten erfuhr das therapeutische Potenzial des Nikotins jedoch wenig Beachtung. Stattdessen sammelte die Fachwelt mehr und mehr Belege für die massive gesundheitsschädliche Wirkung des Zigarettenrauchens und das Suchtpotenzial des Alkaloids Nikotin (siehe »Die dunkle Seite des Nikotins«). So war der Epidemiologe Harold Kahn vom National Institute of Health im Jahr 1966 nicht überrascht, als er die Krankendaten von fast 300 000 Kriegsveteranen auswertete und sich der bereits bekannte Zusammenhang zwischen Rauchen und diversen Krebsarten sowie verkürzter Lebenserwartung zum wiederholten Male bestätigte. Ein weiteres Ergebnis der Studie kam dagegen ziemlich unerwartet: Offenbar erkranken Nichtraucher dreimal so häufig an Parkinson wie Raucher. Sollte sich im Tabakqualm etwa eine Substanz befinden, die vor dem fortschreitenden Abbau der Gehirnmasse bei den Betroffenen schützt?
Tatsächlich ist diese Frage bis heute nicht abschließend beantwortet. Inzwischen deuten aber etliche Befunde darauf hin, dass das im Rauch enthaltene Nikotin sowohl einen Schutzeffekt als auch einen therapeutischen Nutzen bei der Erkrankung hat. So ergaben etwa alle dazu durchgeführten epidemiologischen Studien, dass Tabakkonsumenten mit geringerer Wahrscheinlichkeit an Parkinson erkranken.
2007 behandelte Maryka Quik vom Parkinson's Institute in Sunnyvale in Kalifornien parkinsonkranke Totenkopfäffchen mit Nikotin. Nach acht Wochen führten die Tiere nur noch halb so viele unwillentliche Bewegungen aus wie vor Beginn der Behandlung. Auf Grund solcher viel versprechenden Ergebnisse wurde die Methode bei einzelnen Parkinsonpatienten getestet. In der Regel bekamen sie den Stoff über Pflaster verabreicht. Tatsächlich reduzierten sich in vielen Fällen die Störungen der Bewegungsfähigkeit.
Das Problem: Nicht alle sprechen auf den Stoff gleichermaßen an. Zudem sind die Gründe für die therapeutische Wirkung weiterhin unklar, was die Entwicklung von Medikamenten erschwert. Laborexperimente legen zumindest nahe, dass Nikotin das Gehirn vor Nervengiften schützt. Vermutlich kann es in gewissem Ausmaß bestimmte Neurone, die den Neurotransmitter Dopamin herstellen und bei der Bewegungskontrolle der Muskeln eine wichtige Rolle spielen, vor dem Niedergang bewahren. Bei Parkinsonpatienten sterben diese »dopaminergen« Gehirnzellen ab, was zu den für die Erkrankung typischen motorischen Defiziten führt. Zusätzlich stimulieren die Nikotinrezeptoren die Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin und könnten so dem krankheitsbedingten Botenstoffmangel entgegenwirken.
Verbesserte Hirnleistungen
Dass Nikotin eine positive Wirkung auf das Gehirn haben kann, ist mittlerweile recht gut belegt. So hat eine US-amerikanische Arbeitsgruppe um Edward Singleton von der Stevenson University in Maryland 2010 die Ergebnisse von 41 Nikotinstudien von 1994 bis 2008 zusammenfassend analysiert. Den Probanden war das Alkaloid dabei größtenteils in Form von Nasensprays, Pflastern oder Injektionen verabreicht worden. Die Auswertung ergab, dass der Stoff im Vergleich zu einem Placebo bei Rauchern wie Nichtrauchern kurzfristig die Feinmotorik, die Aufmerksamkeit, die Reaktionszeiten sowie das Kurzzeit- und das Arbeitsgedächtnis verbesserte. Nur bei drei der ausgewerteten Arbeiten waren Tabakkonzerne an der Finanzierung beteiligt, bei 31 Studien hingegen wurde das explizit verneint, was hinreichend für die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse spricht (siehe auch »Wer hat's finanziert?«).
Wer hat's finanziert?
Bei der Interpretation der Ergebnisse aus Nikotinstudien gilt es zu beachten, dass die Zigarettenindustrie mitunter als Geldgeber fungiert. 2020 erschien hierzu eine systematische Übersichtsarbeit von Sarah Pasetes, Pamela Ling und Dorie Apollonio von der University of California in San Francisco. Die Forscherinnen hatten 32 Studien zu den Effekten von Nikotin auf die Kognition untersucht, die in den Jahren 2009 bis 2016 erschienen waren. 41 Prozent der Studien fanden eine kognitionsfördernde Wirkung, 41 Prozent hatten uneindeutige Ergebnisse, und bei 18 Prozent trat kein Effekt zu Tage. Laut den Autorinnen waren 60 Prozent der Studien zumindest teilweise von der Zigarettenindustrie finanziert worden. Die Wissenschaftlerinnen hatten dabei erwartet, dass gesponserte Arbeitsgruppen auch eher über positive Effekte berichten würden. Dies bestätigte sich aber nicht. Bedenklich sei allerdings, dass nur eine Forschergruppe transparent gemacht hatte, von Tabakkonzernen Geld bekommen zu haben. Eigentlich müssen Autorinnen und Autoren zwar einen möglichen Interessenkonflikt erwähnen. Ein Problem dabei sei jedoch, dass es bisher keine einheitlichen Standards gebe, in welchen Fällen es sich um eine angabepflichtige Unterstützung handle, schreiben die drei Forscherinnen.
Pasetes, S. et al.: Cognitive performance effects of nicotine and industry affiliation: A systematic review. Substance Abuse: Research and Treatment 14, 2020
Die vielfältige Wirkung des Nikotins auf das Gehirn beruht in erster Linie darauf, dass es das »cholinerge« System aktiviert. Diese Nervenzellen können Acetylcholin synthetisieren und freisetzen, einen der wichtigsten Botenstoffe im Gehirn. Er spielt eine Rolle bei ganz unterschiedlichen kognitiven Prozessen, da die zugehörigen Rezeptoren in zahlreichen Hirnregionen wie dem Hippocampus und dem Präfrontalkortex zu finden sind. Darüber hinaus vermittelt Acetylcholin an der so genannten motorischen Endplatte – das ist die Kontaktstelle zwischen Nerven und Muskelzelle – Nervenimpulse an die Muskeln.
Nikotin ist außerdem an der Ausschüttung von wichtigen Botenstoffen wie Serotonin, Glutamat, Noradrenalin und vor allem Dopamin beteiligt. Letzteres ist besonders entscheidend für die Steuerung von Bewegungsabläufen sowie Aufmerksamkeit, Lern- und Suchtverhalten (siehe »Die dunkle Seite des Nikotins«).
Die dunkle Seite des Nikotins
Nikotin ist ein Alkaloid, eine natürlich vorkommende organische Verbindung, die eine Wirkung auf den tierischen oder menschlichen Organismus hat. Der Stoff kommt in der Tabakpflanze und anderen Nachtschattengewächsen vor und dient hier als Abwehrstoff gegen Fressfeinde. Bei Menschen wirkt es in hohen Dosen als psychoaktives Nervengift, da es die Funktion des vegetativen Nervensystems entscheidend stört. Typische Symptome sind etwa Erbrechen, Benommenheit und ein erhöhter Puls. Man schätzt, dass eine Dosis von 500 Milligramm für einen Erwachsenen tödlich ist. Eine Zigarette enthält bis zu 13 Milligramm Nikotin, wobei aber nur ein bis drei davon vom Körper aufgenommen werden. Beim Rauchen gelangt das Nikotin über die Lunge in die Blutbahn und innerhalb von zehn Sekunden durch die Blut-Hirn-Schranke ins Zentralnervensystem. Dort dockt es an jene Rezeptoren, die eigentlich für den Neurotransmitter Acetylcholin vorgesehen sind. Man spricht daher auch von nikotinischen Acetylcholinrezeptoren oder kurz Nikotinrezeptoren.
Die Bindung bewirkt unter anderem, dass das Belohnungszentrum des Gehirns Dopamin ausschüttet und sich fast unmittelbar ein Wohlgefühl und Entspannungszustand einstellt. Durch den regelmäßigen Konsum stumpfen die neuronalen Belohnungsschaltkreise jedoch ab, weshalb die anfangs geringe Menge an Nikotin gesteigert werden muss, damit es seine positive Wirkung entfaltet. Zudem lernt das Gehirn, dass die Droge relevant für das Wohlbefinden ist; positive Emotionen werden damit verknüpft. Diese Belohnungsmechanismen laufen bei allen Suchterkrankungen ähnlich ab und sind der Grund für die Abhängigkeit. Beim Nikotin gibt es daneben noch einen weiteren suchtfördernden Effekt, da es bestimmte Hirnfunktionen verbessert. Bleibt also die nächste Zigarette zu lange aus, ist man entsprechend unkonzentriert und kognitiv weniger leistungsfähig.
Die Abhängigkeit von nikotinhaltigen Tabakwaren bleibt in der Regel nicht folgenlos: Insbesondere die Lunge und Blutgefäße nehmen Schaden; das Risiko eines Schlaganfalls, Herzinfarkts oder einer Krebserkrankung steigt. Inzwischen gibt es auch Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang zwischen Rauchen und Depression. Bei Jugendlichen kann Rauchen zudem den Serotoninhaushalt aus dem Gleichgewicht bringen und zu anatomischen Veränderungen in bestimmten Hirnarealen führen. Laut der Weltgesundheitsorganisation sterben jedes Jahr acht Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums.
Die vielseitigen Wirkmechanismen des Nikotins führen offenbar dazu, dass sich seine Anwesenheit im Gehirn in den großen neuronalen Netzwerken widerspiegelt, wie eine Arbeitsgruppe um Angela Laird von der Florida International University 2016 in einer Metastudie zeigen konnte. Das Team hatte die Ergebnisse von 38 Untersuchungen betrachtet, bei denen Raucher und Nichtraucher entweder gewisse Aufgaben bearbeiten oder einfach nur ruhig daliegen sollten, während mittels Magnetresonanztomografie (MRT) oder Positronenemissionstomografie (PET) ihre Hirnaktivität aufgezeichnet wurde. Der Analyse zufolge dämpft Nikotin die Aktivität des Ruhenetzwerks, also jener Hirnregionen, die beim Nichtstun oder Tagträumen aktiv sind. Gleichzeitig stimuliert es das Exekutivnetzwerk, das für kontrollierte und geplante Handlungen zuständig ist. Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern, dass sich unter dem Einfluss von Nikotin irrelevante Assoziationen vermutlich besser unterdrücken lassen. Gleichzeitig kann man leichter auf relevante äußere Reize fokussieren. Letztlich könnte das die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis verbessern sowie die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung steigern.
Für die Medizinforschung sind diese Erkenntnisse vor allem im Zusammenhang mit der Tatsache interessant, dass die Nikotinrezeptoren im Gehirn mit zunehmendem Alter weniger werden. Bei einer neurodegenerativen Erkrankung wie Alzheimer nimmt der Verlust dramatische Ausmaße an. Besonders betroffen sind hier Neurone des Acetylcholinsystems, was sich vor allem in der Hirnrinde und im Hippocampus bemerkbar macht. In einer Studie an Personen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen führte die sechsmonatige Anwendung von Nikotinpflastern tatsächlich am Ende zu besseren kognitiven Leistungen im Vergleich zur Placebogruppe. Ersten Hinweisen zufolge könnte das unter anderem daran liegen, dass Nikotin die Signalverarbeitung in jenen Regionen verbessert, die für die Gedächtnisbildung zuständig sind.
Nicht nur bei neurodegenerativen Erkrankungen, sondern auch bei Patienten mit psychischen Störungen wie Schizophrenie, Depression, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder der bipolaren Störung kann Nikotin womöglich helfen. Auffällig viele der Betroffenen greifen regelmäßig zur Zigarette; bei Schizophrenie sind es immerhin fast 90 Prozent. All diese Störungen gehen mit kognitiven Einschränkungen einher, weshalb Fachleute eine Selbstmedikation mit Nikotin vermuten. Das könnte erklären, weshalb die Chancen auf Entwöhnung bei diesen Patienten ziemlich schlecht stehen.
Kleine Dosis, große Wirkung
Zum Krankheitsbild der Schizophrenie gehören neben Wahnvorstellungen auch Veränderungen in der sensorischen Verarbeitung. Den Betroffenen fällt es schwer, irrelevante Umweltreize auszublenden. Clément Dondé von der Université Grenoble Alpes kam 2020 in einer systematischen Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass eine einzige Dosis Nikotin ausreicht, um verschiedene kognitive und sensorische Symptome bei Schizophrenie zumindest kurzfristig zu mildern. Hierzu gehören unter anderem Verbesserungen der Aufmerksamkeit, des Arbeitsgedächtnisses und der unbewussten Früherkennung von Reizen. Gleichwohl ist die Studienlage nicht eindeutig, was der Zulassung des Nikotins als Arzneimittel im Wege steht.
Hier wird ein grundsätzliches Problem deutlich: Trotz jahrzehntelanger Forschung und vieler Hinweise auf die positive Wirkung des Alkaloids ist bisher nur ein einziges Medikament auf Basis von Nikotin auf dem Markt: ein Mittel zur Raucherentwöhnung. Der renommierte Nikotinforscher Paul Newhouse vom Vanderbilt University Medical Center in Nashville führt dafür mehrere Gründe an. Unter anderem sei das Wissen über die richtige Dosierung des Alkaloids noch unzureichend. Auch die Rolle der verschiedenen molekularen Untereinheiten des Nikotinrezeptors verstehe man nicht genügend. Zudem hängt die Wirkung des Nikotins stark vom Einzelnen ab. Fachleute wie Newhouse vermuten, dass kognitive Grundeigenschaften, Unterschiede im Hirnstoffwechsel und der individuellen Neuroanatomie eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob und wie die Substanz auf das jeweilige Denkorgan wirkt.
Nils Richter und weitere Forschende von der Uniklinik Köln wollten dieser unterschiedlichen Wirkweise auf den Grund gehen. Hierzu lud das Team 14 Patienten mit leichten kognitiven Problemen auf Grund eine frühen Alzheimererkrankung sowie gesunde Probanden zu insgesamt drei Sitzungen ein, bei denen es mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) die Aktivität verschiedener Gehirnareale bestimmte. Zusätzlich erfolgten Tests zur Gedächtnisleistung. Die Teilnehmer erhielten im Vorfeld der jeweiligen Messung zunächst eine Dosis Rivastigmin, beim folgenden Mal ein Placebo und schließlich nichts. Rivastigmin wirkt ähnlich wie Nikotin; es erhöht den Acetylcholinspiegel und ist bereits zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Alzheimerdemenz zugelassen. Wie die Forschergruppe in ihrer Publikation von 2018 darlegt, normalisierte das Medikament sowohl die Hirnaktivierung als auch die Gedächtnisleistungen bei denjenigen am stärksten, die von vornherein einen niedrigeren Acetylcholinspiegel im Gehirn aufwiesen. Womöglich lasse sich daher anhand des cholinergen Systems die Wirksamkeit von Arzneistoffen auf Nikotinbasis voraussagen, so die Autorinnen und Autoren.
»Menschen, die sich eher auf dem unteren Leistungsniveau befinden und ablenkbarer sind, können pharmakologisch von Nikotin profitieren«
Christiane Thiel, Psychologin
Dass Menschen sehr unterschiedlich auf Nikotin ansprechen, offenbarten auch die 2015 publizierten Versuchsergebnisse einer Oldenburger Arbeitsgruppe um die Psychologin Christiane Thiel. Das Team hatte 30 Nichtrauchern entweder Nikotin oder ein Placebo verabreicht und sie anschließend einem Aufmerksamkeitstest unterzogen: Die Teilnehmer mussten immer dann auf eine Taste drücken, wenn sie ein bestimmtes Zielobjekt auf dem Bildschirm vor sich sahen. Andere Reize lenkten jedoch von dieser Aufgabe ab. Es zeigte sich, dass die Teilnehmer, die zuvor Nikotin erhalten hatten, solche Störreize besser ausblenden konnten. Gleichwohl war die Wirkung nicht bei allen gleich. Vielmehr trat der Nikotineffekt bei jenen am stärksten auf, die sich normalerweise schlechter fokussieren konnten.
Die Wirkung des Nikotins hängt daher offenbar von gewissen Grundeigenschaften einer Person ab: »Menschen, die sich eher auf dem unteren Leistungsniveau befinden und ablenkbarer sind, können pharmakologisch von Nikotin profitieren«, sagt Thiel. Die kognitiv Fitteren schneiden unter Nikotineinfluss dagegen sogar schlechter ab, wie das Forscherteam beobachten konnte.
Wem hilft's?
Daher versuchen die Oldenburger herauszufinden, ob sich die profitierende Personengruppe durch bestimmte Merkmale klassifizieren lässt. Dazu nehmen sie in Studien das individuelle Leistungsniveau, das genetische Profil und die Hirnaktivität ihrer Probanden genau unter die Lupe. Den Teilnehmern verabreichen sie dabei das Nikotin stets per Pflaster, wodurch der Nikotinspiegel im Gehirn nur langsam ansteigt und eine Abhängigkeit vermieden wird.
Bereits 2015 entdeckte etwa Thomas Breckel, damals in Thiels Team, dass spezielle Erbgutvarianten die Wirkung des Nikotins auf die Kognition beeinflussen. Hierbei handelt es sich um Gene, die für Acetylcholin- und Dopaminrezeptoren codieren. Dass speziell dem Botenstoff Dopamin eine wichtige Rolle bei der Wirkung des Nikotins zufällt, konnte Breckels Kollege Stefan Ahrens 2020 bestätigen. Nachdem er bei einem Teil der Probanden den Dopaminspiegel im Gehirn erhöht hatte, führte er mit ihnen einen Test zur kognitiven Kontrolle durch. Diese Fähigkeit ermöglicht zielgerichtetes Handeln, indem man irrelevante Informationen ausblendet und flexibel auf sich ändernde Bedingungen reagiert. Bei Probanden mit Nikotinpflaster verbesserte sich im Gegensatz zur Placebogruppe die kognitive Flexibilität – und bei einem erhöhten Dopaminspiegel besonders stark.
Ähnliche Beobachtungen wie Thiels Arbeitsgruppe machten auch Peter Niemegeers von der Universität Antwerpen und seine Kollegen. 2014 verglichen sie den Effekt von Nikotin auf die Kognition von älteren Probanden zwischen 60 und 75 Jahren und jüngeren zwischen 18 und 30 Jahren. Getestet wurden unter anderem psychomotorische Geschwindigkeit, Gedächtnis und Aufmerksamkeit. Es stellte sich heraus, dass in beiden Gruppen nur jene profitierten, die unter Placebo sehr schlecht abschnitten. Hingegen beeinträchtigte die Nikotingabe die Leistung derjenigen, die sich ohne den Stoff zuvor sehr gut geschlagen hatten.
Die vorliegenden Studienergebnisse könnten nahelegen, dass sich Nikotinpflaster als Gehirn-Doping eignen – etwa dann, wenn man Probleme hat, sich zu konzentrieren. »Ich wäre da sehr zurückhaltend mit Empfehlungen, denn letztlich hängt die Wirkung vom Ausgangsniveau des Betreffenden ab«, meint Expertin Thiel. Sie sieht den gesamten Hype um das »Neuro-Enhancement« kritisch – ob mit Nikotin, Ritalin oder anderen Mitteln. »Bei manchen wirkt Nikotin, bei anderen nicht. Vor allem bei Jungen und Gesunden könnte die Anwendung negative Folgen haben«, sagt sie.
Anderer Meinung ist die Oldenburger Psychologin, was Menschen mit neuropsychiatrischen Krankheiten anbelangt. Hier sieht sie ein großes Potenzial bei denjenigen, deren Dopamin- und Acetylcholin-Hirnstoffwechsel gestört ist – etwa bei Alzheimer-, ADHS- oder Schizophreniepatienten. Man bräuchte aber noch sehr viel größere Studiengruppen im Bereich von 100 oder 1000 Probanden, so Thiel. »Erst dann können wir ein genaues Profil erstellen und irgendwann vorhersagen, wer vom Nikotin profitieren könnte und wer nicht.« Sie hofft, dass sich auf Basis solcher Untersuchungen künftig tatsächlich pharmakologische Nikotinpräparate gegen neuropsychiatrische Krankheiten entwickeln lassen.
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