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News: Lähmender Lärm

Kinder sind ganz Ohr für alles, was um sie herum geschieht - und das ist, angesichts der dauernden Berieselung durch ihre Umwelt, eine Menge, für manche vielleicht zu viel. Bei Rattenjungen zumindest stört ein ständiges Hintergrundgeräusch die normale Entwicklung des Gehirns.
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Das Radio plärrt, der Fernseher läuft, alle zehn Minuten fährt draußen ein Bus vorbei, und das Rauschen von der Autobahn ist bei Westwind besonders gut zu hören. Stille hingegen ist selten geworden in der Welt, in der Kinder heute aufwachsen. Ist das der Grund für die zunehmende Zahl von Entwicklungsstörungen, die mit einer beeinträchtigten Sprachverarbeitung zusammenhängen? Können die Kleinen kein normales Hörverständnis ausbilden, weil sie im Geräuschtrubel die Worte der anderen schlicht nicht mehr verstehen?

Edward Zhang und Michael Merzenich von der University of California in San Francisco halten das durchaus für möglich – und untermauern diese Annahme durch Versuchsergebnisse an Rattenjungen. Die Wissenschaftler zogen einige der frisch geborenen Tiere unter einem ständigen Lärmpegel im Hintergrund groß – leise genug, um nicht direkt zu schaden, aber offenbar doch laut genug, um die kleinen Ratten zu beeinträchtigen.

Denn bei Ratten organisieren sich die Hörregionen des Gehirns im ersten Lebensmonat grundlegend um, werden neu verschaltet und spezialisieren sich auf verschiedene Frequenzen sowie zeitliche Muster von Geräuschen. Diese entscheidende Prägung allerdings blieb bei den ständig beschallten Nagern aus – ihr Gehirn zeigte noch nach drei Monaten keinerlei Spuren von Umstrukturierung, sondern schien genauso plastisch wie das ihrer viel jüngeren Artgenossen.

Befreiten die Forscher jedoch ihre Rattenzöglinge vom Hintergrundrauschen, holte das Gehirn auf und bildete sich entsprechend um. So scheint es zwar eine kritische Phase zu geben, in der diese Neuorganisation normalerweise stattfindet, doch sind die Grenzen offenbar nicht so strikt gezogen wie vermutet. "Es ist, als warte das Gehirn auf klar strukturierte Geräusche als Signal, sich weiterzuentwickeln", erklärt Chang. "Und wenn diese dann auftreten, wird es davon stark beeinflusst, auch wenn es physisch schon älter ist."

Nun entwickeln sich Ratten anders als Menschenkinder, doch lassen sich trotzdem Parallelen ziehen, meinen die Wissenschaftler. So könnte es wichtig sein, dass Kinder in einer bestimmten Entwicklungsphase mit besonders charakteristischen Merkmalen von Sprache konfrontiert werden, um ein normales Hörverstehen zu entwickeln. Und vielleicht ist diese Phase länger als bisher gedacht. Dann ließen sich auch ältere Kinder mit Störungen des Sprach- und Hörverstehens womöglich noch erfolgreich mit gezielten Übungen behandeln.

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