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News: Landschaft im Wandel

Berge entstehen, Berge vergehen - und alles schön geruhsam. Welche Einflüsse aber den auch Steine nagenden Zahn der Zeit festlegen, ist Gegenstand einer eher turbulenten Diskussion.
Mit viel Geduld und scharfem Blick lassen sich Berge sowohl beim Wachsen als auch beim Schrumpfen beobachten. Wobei schrumpfen nicht bedeuten muss, dass das Gelände wieder eingeebnet wird: Da die Erdkruste quasi auf der zähen Masse des Erdmantels schwimmt, sorgt der Abtransport von Material für einen ausgleichenden Auftrieb des verbleibenden Rests – so wie eine Luftmatratze, die auch weniger tief eintaucht, wenn der darauf liegende Paddler ins Wasser fällt. Darum hebt sich beispielsweise Skandinavien noch immer, seit es sich der Gletscher der letzten Eiszeit entledigt hat. Hinzu kann noch der aufreibende Druck einer drängelnden tektonischen Platte kommen, die so manches Gebirge in die Höhe treibt, seien es nun die Alpen durch Afrika oder der Himalaya durch Indien.

Berge wollen also hoch hinaus – und stoßen doch an ihre Grenzen, gesetzt durch eine Kraft, die dem Streben nach oben stetig Körnchen um Körnchen und manchmal auch in größeren Maßstäben entgegenwirkt: die Erosion. An ihrer Wirkung herrscht kein Zweifel, wohl aber an der Einschätzung, welche Faktoren denn in einem betrachteten Gebirgszug auf die Abtragungsrate den entscheidenden Einfluss ausüben. Sind es die Niederschläge? Oder die Neigung der Hänge? Vielleicht aber auch die Beschaffenheit des Gesteins? Und warum nicht sogar die Prozesse selbst, welche die Bergmassen in die Höhe bringen?

Geomorphologen, so erklärt Peter Molnar von der University of Colorado in Boulder, rätseln daher genauso über eine Frage, die Biologen und Psychologen nur zu bekannt ist: Wer spielt die wichtigere Rolle in der Entwicklung – Mutter Natur, also die Tektonik – oder die äußeren Einflüsse, also das Klima. Vier Forschungsgruppen präsentieren nun ihre Ergebnisse aus verschiedenen Teilen der Erde – und kommen zu völlig unterschiedlichen, sogar widersprüchlichen Antworten.

So hatten sich Peter Reiners von der Yale University und seine Kollegen die Gebirgskette der Kaskaden im Nordwesten der Vereinigten Staaten vorgenommen. Mithilfe thermochronologischer Methoden schlossen sie darauf, wie schnell das Gestein an die Oberfläche gelangte – oder anders betrachtet, wie schnell das darüberliegende Material abgetragen wurde. Millionen von Jahren Erosionsgeschichte können so überprüft werden.

Im Falle der Kaskaden kamen die Forscher zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Erosionsraten stimmten am besten mit heutigen Niederschlagsmustern überein – wo es besonders viel regnet, schrumpfte der Berg auch in den vergangenen Jahrmillionen schneller [1]. Da die hohen Berge selbst beeinflusst, wo es wie viel regnet, wäre es möglich, dass sich die Verteilung der Niederschläge seit der Hebung der Gebirgskette wenig verändert hat – insofern scheint das Resultat nachvollziehbar.

Douglas Burbank von der University of California in Santa Barbara, der mit seinen Mitarbeitern im Himalaya Erosions-bestimmenden Faktoren auf die Spur kommen wollte, würde darüber nur energisch den Kopf schütteln: Einen Zusammenhang mit Niederschlagsmengen und -mustern war in ihrer Untersuchungsregion gar nicht zu beobachten. Im Gegenteil – dort hatten sich die mit derselben Methode ermittelten Abtragungsraten kein bisschen geändert, obwohl die Niederschlagshöhen um den Faktor fünf schwankten [2]. Im Himalaya, so argumentieren daher die Forscher, ist die schiebende Kraft des indischen Subkontinents entscheidend, die das Gebirge regional unterschiedlich schnell in die Höhe treibt: In Gebieten mit rascher Hebung ist auch die Erosionsrate sehr hoch.

Cameron Wobus vom Massachusetts Institute of Technology würde angesichts der Ergebnisse bestätigend nicken, decken sie sich doch mit denen seiner Arbeitsgruppe, die im nahe gelegenen Nepal mit wiederum derselben Methode des Rätsels Lösung suchte [3]. Nur ziehen die Wissenschaftler hieraus den genau umgekehrten Schluss: Die hohen Erosionsraten in manchen Regionen des Himalaya seien verantwortlich dafür, dass diese Teile des Gebirges so schnell in die Höhe streben. Ihr zentrales Argument: der isostatische Ausgleich – je schneller Material abtransportiert wird, desto stärker der Auftrieb in den betroffenen Gebieten.

Zu guter Letzt verwirren Ergebnisse aus Taiwan, das eine im weltweiten Vergleich sehr starke Erosion erfährt, das Gesamtbild weiter. Hier nämlich, so berichten Simon Dadson von der University of Cambridge und seine Kollegen, spielen Niederschläge zwar sehr wohl eine entscheidende Rolle – aber nur, wenn sie im Rahmen von Taifunen niedergehen, was immerhin bis zu viermal jährlich der Fall ist, und dabei durch Hangrutschungen auf einmal große Sedimentmengen freisetzen [4]. Der zweite Faktor, der hier landschaftsbildnerisch tätig wird, sind Erdbeben, die auf dieser Insel nahe der Grenze zwischen der asiatischen und der philippinischen Platte häufig auftreten. Auch dabei wird durch die Zermürbung von Gesteinen plötzlich viel transportfähiges Material bereit gestellt. Dadsons Arbeitsgruppe beschränkte sich dabei nicht auf die thermochronologische Bestimmung, sondern zog auch Sedimenationsraten heran und berücksichtigte, wie schnell sich Flüsse in den vergangenen Jahrtausenden in die Täler eingeschnitten hatten – zu verfolgen anhand ehemaliger Flussterrassen.

In einem Punkt aber sind sich alle Forscher verblüffend einig: Keine entscheidende Rolle spielt die sonst normalerweise verantwortlich gemachte Kraft, die durch Flüsse und ihre Schleifarbeit an den Gebirgen angreift. Indizes, die Abflussmengen, Breite und Gefälle des Gewässerbetts und weitere typische Parameter berücksichtigen, zeigten in keiner der Untersuchung auch nur annähernd eine Bedeutung. Die Diskussion geht also weiter, denn die Antwort scheint wohl noch immer nicht gefunden – oder es gibt schlicht keine, die für alle Fälle passt.

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