Künstliche Schwarze Löcher: Laute Löcher im Labor
Schwarze Löcher sind nie wirklich schwarz. Nach allem, was man annimmt, sendet jedes einzelne von ihnen ständig eine besondere Form von Strahlung aus, die es stetig schrumpfen und eines Tages ganz verschwinden lässt. Das zumindest sagte der Physiker Stephen Hawking vor mehr als 40 Jahren voraus. Seine Vermutung über die wohl seltsamste Eigenschaft der Schwarzen Löcher bringt bis heute eine Reihe von Problemen mit sich, die Fachleuten nach wie vor schlaflose Nächte bereiten.
Nach sieben Jahren einsamer Studien und Experimente meldet sich Jeff Steinhauer mit einer neuen Publikation zu Wort. In seinem Labor hat der Experimentalphysiker vom Technion – Israel Institute of Technology in Haifa ein künstliches Schwarzes Loch kreiert, das genau diese "Hawking-Strahlung" auszusenden scheint – und zwar auf Grund von Quantenfluktuationen, die sich aus dem Versuchsaufbau ergeben.
Es ist praktisch ausgeschlossen, bei einem natürlichen Schwarzen Loch die Hawking-Strahlung zu beobachten. Und alle früheren Versuche, sie künstlich im Labor zu erzeugen, bauten nicht auf spontanen Fluktuationen auf wie bei Steinhauers Experiment. Seine Ergebnisse kommen einer "echten" Beobachtung der Strahlung damit vermutlich so nahe wie nichts sonst.
Mit den Analogien Schwarzer Löcher könnte man vielleicht einige der Schwierigkeiten beheben, die das Phänomen den Theoretikern bereitet, hofft der Forscher. Etwa das so genannte Informationsparadox. Womöglich findet sich dadurch sogar ein Ansatzpunkt, um die Quantenmechanik mit der Theorie der Schwerkraft zu vereinen.
Auch Fachkollegen zeigen sich von Steinhauers Experiment beeindruckt, doch viele lassen noch Vorsicht walten. Die Ergebnisse seien beispielsweise nicht immer eindeutig. Zudem sehen viele die Aussagekraft solcher Labormodelle nach wie vor kritisch. "Wenn sich alle seine Aussagen bewahrheiten, ist das ein großartiges Experiment", sagt etwa Silke Weinfurtner, eine sowohl theoretisch als auch experimentell arbeitende Physikerin von der University of Nottingham. Aber: "Es liefert keinen Beweis dafür, dass um Schwarze Löcher in der Astrophysik auch Hawking-Strahlung existiert."
Zwillingsteilchen für ewig getrennt
Mitte der 1970er Jahre bemerkte Hawking an der University of Cambridge, dass der Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs – also die Oberfläche, von der nichts, nicht einmal Licht entkommen kann – merkwürdige Konsequenzen für die Physik des kosmischen Gebildes haben müsste. Sein Ausgangspunkt war, dass der Zufallscharakter, der allen quantenphysikalischen Prozessen zu Grunde liegt, die Existenz eines vollkommenen Nichts ausschließt. Selbst an der leersten Stelle im Universum herrscht ein Gewimmel von durch Energiefluktuationen erzeugten Photonenpaaren, die sich auf der Stelle gegenseitig vernichten. Aber genau wie aus der Puppe Pinocchio ein lebendiger Junge wurde, kann es vorkommen, dass diese "virtuellen" Photonen plötzlich eine reale Existenz annehmen. Dann nämlich, wenn der Ereignishorizont die beiden Teilchen voneinander trennt, bevor sie sich zerstören. Eines der beiden fällt ins Schwarze Loch, das andere entkommt in die Weite des Weltalls.
"Das war auf jeden Fall eine Pioniertat"Ulf Leonhardt
Das wiederum würde, wie Hawking zeigte, zum einen die Schwarzen Löcher strahlen lassen – wenn auch extrem schwach – und zum anderen ihre Masse verringern. Denn das Teilchen, das ins Innere stürzt, trägt immer eine Art "negative Energie", die das Schwarze Loch aufzehrt. Am umstrittensten aber ist Hawkings Feststellung, dass mit dem Verschwinden eines Schwarzen Lochs auch alle Informationen über die Objekte vernichtet werden, die es einst verschluckt hat. Denn diese Annahme widerspricht der sonst allgemein akzeptierten Vorstellung, dass die Gesamtmenge an Information im Universum konstant bleibt.
Anfang der 1980er Jahre schlug der Physiker Bill Unruh von der University of British Columbia in Vancouver ein Verfahren vor, wie sich einige von Hawkings Vorhersagen überprüfen lassen sollten. Er betrachtete ein Medium, das eine beschleunigte Bewegung erfährt, wie beispielsweise Wasser, das auf einen Wasserfall zufließt. Ähnlich einem Schwimmer, der nicht schnell genug gegen den reißenden Strom ankraulen kann, wären Schallwellen ab der Stelle, ab der sich das Medium mit Überschallgeschwindigkeit bewegt, nicht mehr in der Lage, sich entgegengesetzt zur Fließrichtung zu bewegen. Laut Unruh wird diese Stelle damit zu einem Äquivalent für einen Ereignishorizont – und genau hier sollte sich eine Schallwellenvariante der Hawking-Strahlung zeigen.
Schwimmen gegen den Ereignishorizont
Unruhs Idee hat Steinhauer in einer Wolke aus Rubidiumatomen umgesetzt, die er auf eine Temperatur nur Bruchteile über dem absoluten Nullpunkt abkühlte. Hält man die Atome in einer zigarrenförmigen Falle gefangen, nehmen sie einen Zustand an, den man als Bose-Einstein-Kondensat (BEK) bezeichnet. Die Schallgeschwindigkeit beträgt darin nur einen halben Millimeter pro Sekunde. Indem er einige der Atome auf mehr als einen Millimeter pro Sekunde beschleunigte, brachte Steinhauer die Atome auf Überschallgeschwindigkeit – und erzeugte so einen künstlichen Ereignishorizont.
Bei diesen ultrakalten Temperaturen erfährt das BEK schwache Quantenfluktuationen, die denen entsprechen, die im leeren Raum auftreten. Diese wiederum, erklärt der Forscher, rufen Schallwellenpakete hervor – so genannte Phononen –, analog zu den Photonen des Vakuums. Auch hier sollten sich in manchen Fällen die Partnerteilchen trennen, wobei eines im überschallschnellen Ereignishorizont verschwindet und das andere als Hawking-Strahlung frei wird.
Auf der Seite des akustischen Ereignishorizonts, auf der sich die Atome schneller als der Schall bewegen, wurden die Phononen wie erwartet eingefangen. Und als Steinhauer das BEK abbildete, entdeckte er Korrelationen zwischen der Atomdichte in Bereichen, die sich in gleichem Abstand zum Ereignishorizont befanden, aber auf der jeweils anderen Seite. Das zeige, dass die Photonenpaare miteinander verschränkt waren – was wiederum nahelegt, dass sie spontan aus ein und derselben Quantenfluktuation entstanden, erklärt Steinhauer: Das BEK habe Hawking-Strahlung emittiert.
Im Gegensatz dazu musste die Strahlung, die er in einer früheren Version seines Versuchsaufbaus erzeugte, von außen angestoßen werden, sie entstand also nicht von selbst. Eine andere Variante, die Unruh und Weinfurtner mit Hilfe von Wasserwellen realisierten, beinhaltete keine Quanteneffekte.
Genau wie Schwarze Löcher wohl nicht völlig schwarz sind, war Steinhauers akustisches Pendant demnach nicht völlig geräuschlos. Könnte man es hören, würde sein Klang an statisches Rauschen erinnern.
Schwierige Verschränkung
"Das war auf jeden Fall eine Pioniertat", sagt Ulf Leonhardt, Physiker vom Weizmann Institute of Science im israelischen Rehovot, Chef einer Arbeitsgruppe, die das Strahlungsphänomen mit Hilfe von Laserlichtwellen in einem Glasfaserkabel erzeugen möchte. Seiner Meinung nach ist Steinhauer der Nachweis der Verschränkung allerdings noch nicht vollständig gelungen. Die Korrelationen fand der Physiker nämlich nur bei Phononen von vergleichsweise hoher Frequenz, während Phononenpaare eher niedriger Energie nicht korreliert gewesen zu sein scheinen. Für Leonhardt bleiben zudem noch gewisse Zweifel, ob es sich bei dem Medium aus Rubidiumatomen tatsächlich ein echtes BEK handelte. Was seiner Meinung nach bedeutet, dass auch andere Arten von Fluktuationen auftreten könnten, die der Hawking-Strahlung lediglich ähnlich sähen.
Unklar bleibt zudem, was solche Laboranalogien über die Mysterien realer Schwarzer Löcher aussagen. "Ich glaube nicht, dass es hilft, das so genannte Informationsparadox besser zu verstehen", meint Leonard Susskind, theoretischer Physiker von der Stanford University in Kalifornien. Im Gegensatz zu ihren kosmischen Geschwistern vernichten die akustischen Schwarzen Löcher ganz sicher keine Information, weil sich das BEK nicht in Nichts auflöst.
Dennoch: Wenn sich Steinhauers Ergebnisse bestätigen, wäre es ein "Triumph für Hawking, vielleicht genauso, wie die vorausgesagte Entdeckung des Higgs-Bosons ein Triumph für Higgs und Kollegen war", meint Susskind. Wenige hatten an der Existenz des Teilchens gezweifelt, aber erst die Entdeckung im Jahr 2012 bescherte Peter Higgs und Françoise Englert, der an der Vorhersage beteiligt war, den Nobelpreis für Physik.
Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Black-hole mimic triumphs" in "Nature".
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