Somalia: Lehren aus dem Déjà vu
So etwas wie die Hungerkatastrophe in Äthiopien in den 1980er Jahre sollte sich nicht wiederholen. Doch wieder hungern die Menschen am Horn von Afrika, und das obwohl die damals eingerichteten Warnsysteme funktioniert haben. Was ist schiefgelaufen?
Eine Hungerkatastrophe wie die gegenwärtige gab es am Horn von Afrika schon einmal: in der Mitte der 1980er Jahre. Damals starben mehrere hunderttausende Menschen und die Weltgemeinschaft machte sich daran zu verhindern, dass so etwas dort wieder passiert. Seit 1994 beobachtet die Food Security and Nutrition Analysis Unit spezifisch in Somalia die Versorgungslage, in Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET), das weltweit klimatische und ökonomische Indikatoren beobachtet, um Nahrungsmittelengpässe frühzeitig vorherzusagen. Und doch wiederholt sich die Tragödie.
Kurioserweise haben die nach der letzten Hungersnot eingerichteten Frühwarnsysteme einwandfrei funktioniert: Die Welt wusste schon vor geraumer Zeit, was passieren würde. Seit zwei Jahren hat es in Somalia praktisch überhaupt nicht geregnet. Im Sommer 2010 warnten Wissenschaftler bei FEWS NET auf der Basis von Klimaindikatoren vor einer möglichen Dürre mit angeschlossener Hungersnot in Ostafrika.
Eine politische Katastrophe
Eine Dürre allerdings macht noch keine Hungersnot. Der Südwesten der USA zum Beispiel leidet seit Jahren unter einem ähnlichen Trockentrend wie Ostafrika – hungern muss dort niemand. Es sind politische und ökonomische Faktoren, die aus einem Klimaereignis eine Katastrophe machen. Somalia ist bettelarm und vom Bürgerkrieg verwüstet. Es gibt keine sozialen Sicherungsnetze für die Betroffenen und das Bevölkerungswachstum ist eines der höchsten der Welt.
Hinzu kommt, dass die Landwirtschaft dort wenig produktiv ist: Die geringen Erträge können die wachsende Bevölkerung kaum ernähren, und schon eine kurze Trockenperiode treibt die Lebensmittelpreise in die Höhe. Besonders betroffen sind die Viehhirten, die beim gegenwärtigen Stand etwa die Hälfte der noch verbliebenen Wirtschaftsleistung Somalias erbringen. Sie werden von der Dürre gleich doppelt getroffen, denn ihre Herden sind nicht nur vom Verdursten bedroht, sondern wegen des dadurch entstandenen Überangebots quasi unverkäuflich.
Aber auch aus anderen Gründen bekommt die Region weniger Hilfe, als sie verdient. Kriege und Konflikte behindern Projekte, und das Horn von Afrika gilt als Brennpunkt im "Kampf gegen den Terror" – die Geberländer fürchten nicht immer zu Unrecht, dass Hilfe von den islamistischen Milizen oder kriminellen Banden schlicht gestohlen wird. Viele Organisationen hatten außerdem eine Dürre dieses Ausmaßes in Ostafrika gar nicht mehr auf der Rechnung – und das hat kurioserweise mit dem Klimawandel zu tun.
Versagen die Klimamodelle?
Denn die wichtigsten Klimamodelle sagen derzeit voraus, dass Ostafrika durch die globale Erwärmung im Schnitt feuchter werden soll, und dies berücksichtigen auch Hilfsorganisationen und Landwirtschaftsbehörden in ihren Plänen. In der Praxis allerdings hat diese Vorhersage ihre Tücken, und zwar nicht nur weil die aktuelle Trockenheit durch Erwärmungstrends im Indischen Ozean verschärft wird – Einwohner und Experten beobachten seit Jahren, dass in Ostafrika Trockenheit häufiger auftritt: Kam eine echte Dürre früher nur etwa alle zehn Jahre vor, fällt heutzutage fast jede zweite Saison zu wenig Regen.
Den Grund für diesen Widerspruch hat möglicherweise jüngst eine Publikation offen gelegt, die sich mit der Auswirkung des Klimawandels auf den so genannten ENSO-Zyklus (El-Niño-Southern-Oscillation) befasst. Diese Ergebnisse zeigen, dass die mit El Niño und La Niña verbundenen Schwankungen unter wärmeren Bedingungen intensiver ausfallen werden – mit schwereren Dürren, aber auch häufigeren Starkregenereignissen. Tatsächlich haben in der Region Extremereignisse zugenommen: In einigen Jahren leidet eine Region unter ungewöhnlicher Trockenheit, nur um Monate später von einer Flutkatastrophe heimgesucht zu werden.
Das Klima wird rauer
Unabhängig davon, wie sich die Regenmengen tatsächlich entwickeln, sind die höheren Temperaturen für sich genommen schon ein Problem – je wärmer es wird, desto mehr Wasser brauchen die Pflanzen. Wir müssen also damit rechnen, dass Ostafrika auch in Zukunft mit vergleichbaren Dürren konfrontiert sein wird. Eine Lehre aus der aktuellen Dürre ist, dass am Horn von Afrika Wissen Ohnmacht ist. Forscher haben Dürre und Hungersnot präzise über Monate hinweg vorhersagen können, ohne dass das auch nur das Geringste geändert hätte. Jetzt, da die Katastrophe da ist, läuft Hilfe an, doch die Situation ist längst über die Möglichkeiten der Nothelfer hinausgewachsen. Das Beispiel Ostafrika zeigt ein wesentliches strukturelles Problem der Nothilfe: Wenn die Katastrophe erst einmal da ist, kommt auch Geld aus den Geberländern, aber dann ist es für zigtausende Menschen zu spät. Vor der Krise allerdings stehen nicht die Mittel zur Verfügung, um solche Ereignisse nachhaltig zu verhindern.
Dabei böte gerade die Situation am Horn von Afrika sehr gute Möglichkeiten zur Verbesserung der Lage. Das Land wäre nämlich sehr wohl in der Lage, alle Menschen zu ernähren. Die Erträge sind einfach deutlich niedriger als in anderen Teilen Afrikas, und das wiederum bedeutet, dass mit vergleichsweise einfachen Mitteln weit mehr Nahrung produziert werden könnte. Die zusätzliche Produktion würde die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung gegen zukünftige Katastrophen steigern, den Druck des Bevölkerungswachstums auf die Landnutzung verringern und damit auch die sozialen und politischen Konflikte um das Land selbst, die bis heute eine dauerhafte Verbesserung illusorisch erscheinen lässt. Eigentlich ist es ganz einfach. Eigentlich.
Kurioserweise haben die nach der letzten Hungersnot eingerichteten Frühwarnsysteme einwandfrei funktioniert: Die Welt wusste schon vor geraumer Zeit, was passieren würde. Seit zwei Jahren hat es in Somalia praktisch überhaupt nicht geregnet. Im Sommer 2010 warnten Wissenschaftler bei FEWS NET auf der Basis von Klimaindikatoren vor einer möglichen Dürre mit angeschlossener Hungersnot in Ostafrika.
Zuerst kündigte sich zu jener Zeit eine La-Niña-Wetterlage im Ostpazifik an, die weltweit die Wetterkonstellationen verändert und die mit trockeneren Bedingungen im ostafrikanischen Herbst einhergeht. Entsprechend fiel in der Regenzeit von Oktober bis Dezember 2010 kaum Regen in Somalia. Dazu kommt, dass schon die Jahre zuvor verhältnismäßig trocken waren und der Bevölkerung zusetzten. Bereits 2008 warnte die Direktorin des Welternährungsprogramms Josette Sheeran deshalb vor einem "stillen Tsunami des Hungers", der sich am Horn von Afrika ankündigte. Im Frühjahr 2011 fiel dann auch die nächste komplette Regenzeit von März bis Mai aus – als Ursache identifizierten Forscher wärmeres Wasser in Teilen des Indischen Ozeans, das die Luftströmungen verändert und über veränderte Drucksysteme Feuchtigkeit aus Ostafrika abzieht. Das Ergebnis ist die schlimmste Dürre seit 60 Jahren.
Eine politische Katastrophe
Eine Dürre allerdings macht noch keine Hungersnot. Der Südwesten der USA zum Beispiel leidet seit Jahren unter einem ähnlichen Trockentrend wie Ostafrika – hungern muss dort niemand. Es sind politische und ökonomische Faktoren, die aus einem Klimaereignis eine Katastrophe machen. Somalia ist bettelarm und vom Bürgerkrieg verwüstet. Es gibt keine sozialen Sicherungsnetze für die Betroffenen und das Bevölkerungswachstum ist eines der höchsten der Welt.
Hinzu kommt, dass die Landwirtschaft dort wenig produktiv ist: Die geringen Erträge können die wachsende Bevölkerung kaum ernähren, und schon eine kurze Trockenperiode treibt die Lebensmittelpreise in die Höhe. Besonders betroffen sind die Viehhirten, die beim gegenwärtigen Stand etwa die Hälfte der noch verbliebenen Wirtschaftsleistung Somalias erbringen. Sie werden von der Dürre gleich doppelt getroffen, denn ihre Herden sind nicht nur vom Verdursten bedroht, sondern wegen des dadurch entstandenen Überangebots quasi unverkäuflich.
Dass die Hilfe so spärlich und spät eingetroffen ist, hat eine Reihe von Gründen. Einerseits liegt das Problem in der Struktur von derartigen Hilfen – die Geberländer unterstützen entweder langfristige Entwicklungsprojekte oder Nothilfe im Fall einer Katastrophe. Katastrophen, die man verhindern könnte, bevor sie eintreten, fallen oft schlicht durch das Raster, und so blieben die Hilferufe von FEWS NET ungehört. So lange bis tatsächlich Menschen verhungerten.
Aber auch aus anderen Gründen bekommt die Region weniger Hilfe, als sie verdient. Kriege und Konflikte behindern Projekte, und das Horn von Afrika gilt als Brennpunkt im "Kampf gegen den Terror" – die Geberländer fürchten nicht immer zu Unrecht, dass Hilfe von den islamistischen Milizen oder kriminellen Banden schlicht gestohlen wird. Viele Organisationen hatten außerdem eine Dürre dieses Ausmaßes in Ostafrika gar nicht mehr auf der Rechnung – und das hat kurioserweise mit dem Klimawandel zu tun.
Versagen die Klimamodelle?
Denn die wichtigsten Klimamodelle sagen derzeit voraus, dass Ostafrika durch die globale Erwärmung im Schnitt feuchter werden soll, und dies berücksichtigen auch Hilfsorganisationen und Landwirtschaftsbehörden in ihren Plänen. In der Praxis allerdings hat diese Vorhersage ihre Tücken, und zwar nicht nur weil die aktuelle Trockenheit durch Erwärmungstrends im Indischen Ozean verschärft wird – Einwohner und Experten beobachten seit Jahren, dass in Ostafrika Trockenheit häufiger auftritt: Kam eine echte Dürre früher nur etwa alle zehn Jahre vor, fällt heutzutage fast jede zweite Saison zu wenig Regen.
Den Grund für diesen Widerspruch hat möglicherweise jüngst eine Publikation offen gelegt, die sich mit der Auswirkung des Klimawandels auf den so genannten ENSO-Zyklus (El-Niño-Southern-Oscillation) befasst. Diese Ergebnisse zeigen, dass die mit El Niño und La Niña verbundenen Schwankungen unter wärmeren Bedingungen intensiver ausfallen werden – mit schwereren Dürren, aber auch häufigeren Starkregenereignissen. Tatsächlich haben in der Region Extremereignisse zugenommen: In einigen Jahren leidet eine Region unter ungewöhnlicher Trockenheit, nur um Monate später von einer Flutkatastrophe heimgesucht zu werden.
Das Klima wird rauer
Unabhängig davon, wie sich die Regenmengen tatsächlich entwickeln, sind die höheren Temperaturen für sich genommen schon ein Problem – je wärmer es wird, desto mehr Wasser brauchen die Pflanzen. Wir müssen also damit rechnen, dass Ostafrika auch in Zukunft mit vergleichbaren Dürren konfrontiert sein wird. Eine Lehre aus der aktuellen Dürre ist, dass am Horn von Afrika Wissen Ohnmacht ist. Forscher haben Dürre und Hungersnot präzise über Monate hinweg vorhersagen können, ohne dass das auch nur das Geringste geändert hätte. Jetzt, da die Katastrophe da ist, läuft Hilfe an, doch die Situation ist längst über die Möglichkeiten der Nothelfer hinausgewachsen. Das Beispiel Ostafrika zeigt ein wesentliches strukturelles Problem der Nothilfe: Wenn die Katastrophe erst einmal da ist, kommt auch Geld aus den Geberländern, aber dann ist es für zigtausende Menschen zu spät. Vor der Krise allerdings stehen nicht die Mittel zur Verfügung, um solche Ereignisse nachhaltig zu verhindern.
Dabei böte gerade die Situation am Horn von Afrika sehr gute Möglichkeiten zur Verbesserung der Lage. Das Land wäre nämlich sehr wohl in der Lage, alle Menschen zu ernähren. Die Erträge sind einfach deutlich niedriger als in anderen Teilen Afrikas, und das wiederum bedeutet, dass mit vergleichsweise einfachen Mitteln weit mehr Nahrung produziert werden könnte. Die zusätzliche Produktion würde die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung gegen zukünftige Katastrophen steigern, den Druck des Bevölkerungswachstums auf die Landnutzung verringern und damit auch die sozialen und politischen Konflikte um das Land selbst, die bis heute eine dauerhafte Verbesserung illusorisch erscheinen lässt. Eigentlich ist es ganz einfach. Eigentlich.
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