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News: Leichtes Leben stumpft ab

Fische in Zuchtanlagen führen ein relativ geruhsames Leben: Sie werden gut gefüttert, müssen sich nicht vor Räubern fürchten und auch die Wassertemperaturen und die Sauerstoffversorgung bleibt immer recht angenehm. Wie bei Mäusen, deren Umgebung nur karg ausgestattet ist, scheint sich die reizarme Umgebung aber auf das Gehirn auszuwirken. Denn im Vergleich mit wildlebenden Artgenossen ist dieses bei den Zuchtfischen deutlich kleiner.
Unter Anglern ist schon länger bekannt, dass Forellen und Lachse aus Fischzuchtanlagen nicht so gewitzt sind wie ihre freilebenden Artgenossen. Gut behütet wachsen die Tiere zwar schneller heran und werden insgesamt auch größer, aber sie sind zum Beispiel bei weitem nicht so vorsichtig gegenüber Räubern. Dieser Unterschied spiegelt sich offenbar auch in der Größe des Gehirns der Fische wider. Denn wie Michael Marchetti und Gabrielle Nevitt von der University of California in Davis berichten, sind bestimmte Hirnabschnitte bei den Freilandbewohnern deutlich größer als bei ihren wohlversorgten Verwandten.

Die Wissenschaftler verglichen bei 48 wildlebenden Regenbogenforellen und 51 Fischen derselben Art aus Zuchtanlagen acht verschiedene Messgrößen des Gehirns. In sieben davon zeigten sich die Wildformen überlegen: Unter anderem waren ihr Endhirn (Telencephalon) und der Riechkolben (Bulbus olfactorius) größer, berichteten die Forscher am 9. August 2000 auf der Jahrestagung der Ecological Society of America in Snowbird (Abstract). Das Telencephalon ist bei ursprünglichen Wirbeltieren wie Fischen noch relativ klein ausgeprägt, bei Säugetieren jedoch ist es stark vergrößert und seine äußere Schale ist durch Windungen und Furchen stark gefaltet.

Marchetti vermutet, dass die Fische genau dasselbe Phänomen zeigen wie Mäuse in Gefangenschaft, die unter besonders einfachen Bedingungen aufgezogen werden – in den Gehirnen der Tiere bilden sich weniger Verknüpfungen als in freier Natur mit ihren vielfältigen Reizen und Gefahren. Schließlich leben die Fische in den Zuchtanlagen relativ sorgenfrei, was Nahrung und Feinde betrifft, und auch die Umweltbedingungen wie Wassergeschwindigkeit, Temperatur und ungenießbares Futter verändern sich kaum.

Mit weiteren Messungen wollen die Forscher nun herausfinden, ob die Unterschiede durch den Einfluss der Umgebung auf das sich entwickelnde Gehirn entstehen oder allmähliche genetische Veränderungen durch die ständige Zucht in Gefangenschaft darstellen. Dafür werden sie auf Tiere einer einzigen Abstammungslinie zurückgreifen, die zum einen unter normalen Gefangenschaftsbedingungen und zum anderen in einer eher freilandähnlichen Umwelt aufwachsen.

Die Erkenntnisse sind nicht nur für Angler interessant, sondern auch für künftige Wiedereinbürgerungsversuche an Gewässern mit Forellen oder Lachsen aus Fischzuchten. Denn wenn sich die behüteten Exemplare im Freiland als nicht überlebenstauglich erweisen, kann das böse Folgen für die geschwächten natürlichen Populationen haben, die sich zum Beispiel mit den neuen Mitbewohnern fortpflanzen. Marchetti schlägt daher vor, dass Fischzüchter ihre Anlagen ein wenig realitätsnäher gestalten sollten, um die Tiere besser auf das reizvolle, aber gefährliche Leben außerhalb des Beckens vorzubereiten.

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