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Lernen: Dem Fehlerteufel auf der Spur

Missgeschicke gehören zum Leben dazu. Unser Gehirn bemerkt sie oft blitzschnell – lernt allerdings nicht immer aus ihnen.
Silhouette eines Teufels mit Grabgabel vor rotem Hintergrund
Oft fällt uns ein Fehler bereits in dem Moment auf, in dem wir ihn begehen. Dafür sorgen spezielle Nervenzellen im Gehirn. (Symbolbild)

Auf Tiktok kursiert momentan ein lustiges Video: Ein Mann auf einem kleinen Boot hält stolz einen Fisch in der Hand, den er offenbar gerade gefangen hat. Er fotografiert ihn mit seinem Handy und will ihn dann wieder zurück ins Meer werfen. Doch stattdessen wirft er das Smartphone ins Wasser. Schon während das Gerät durch die Luft fliegt, fällt ihm der Fehler auf; sein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse. Was er sagt, ist mangels Tonspur nicht zu verstehen, aber doch zu erahnen.

Jeder kennt wahrscheinlich ähnliche Situationen, in denen man ein Missgeschick sofort bemerkt und trotzdem nicht mehr stoppen kann. Das Gehirn scheint mit aller Kraft auf die Bremse zu steigen, doch der Fehler lässt sich nicht rückgängig machen. Fachleute fragen sich seit Langem, was derweil unter der Schädeldecke passiert: Wie registrieren die Nervenzellen den Lapsus, und wie reagieren sie darauf?

Um solchen Fragen auf den Grund zu gehen, nutzten Forscherinnen und Forscher des Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles und des California Institute of Technology in Pasadena einen seltenen Umstand. Ihre Versuchspersonen hatten sich in einem ungewöhnlichen chirurgischen Eingriff haarfeine Elektroden tief ins Hirngewebe implantieren lassen. Nicht ohne Grund: Die 20 Männer und neun Frauen litten alle unter einer schweren Form der Epilepsie. Bei vielen Betroffenen nehmen die charakteristischen Krampfanfälle ihren Ausgang stets im selben Hirnbereich. Eine Therapiemöglichkeit besteht darin, den Herd operativ zu entfernen. Mit Hilfe derartiger Elektroden lässt sich im Vorfeld die betreffende Region genau lokalisieren. An großen Epilepsiezentren ist diese Vorgehensweise heute Standard.

Einzigartiger Einblick in die Arbeit der Neurone

Für die Wissenschaft ist sie ein besonderer Glücksfall. Denn die feinen Elektrodendrähte erlauben es, die Aktivität einzelner Nervenzellen aufzuzeichnen. Sie ermöglichen damit einen einzigartigen Einblick in die Arbeit der Neurone im Gehirn. Viele Patienten und Patientinnen stellen sich daher für Experimente zur Verfügung. Auch die 29 in Kalifornien hatten dazu ihre Zustimmung gegeben.

Ihre Mithilfe sollte dazu beitragen, der Fehlererkennung und -verarbeitung im Gehirn auf die Schliche zu kommen. Denn die Fähigkeit, eigene Missgeschicke zu bemerken, ist außerordentlich wichtig: Wenn wir es nicht mitbekommen, dass wir am Klavier die falsche Taste angeschlagen haben, können wir uns auch nicht korrigieren. Und dann wird das Stück beim nächsten Mal wieder schief klingen. Allgemeiner gesagt: Nur wer seine Fehler erkennt, kann aus ihnen lernen und sein Verhalten optimieren. Ohne einen verlässlichen Detektionsmechanismus (in der Forschung spricht man von Error-Monitoring) würden wir vermutlich nicht lange überleben.

Doch wie sieht dieser Mechanismus genau aus? Die Fachleute aus Kalifornien ließen ihre verdrahteten Probanden an einem einfachen Experiment teilnehmen, dem so genannten Stroop-Test. Jede Versuchsperson saß dabei vor einem Monitor, auf dem nach dem Zufallsprinzip eines von drei Wörtern aufleuchtete: »rot«, »grün« oder »blau«. Die Schrift war selbst rot, grün oder blau eingefärbt; allerdings stimmte die Farbe nicht immer mit der Bedeutung des Wortes überein (das Wort »rot« konnte zum Beispiel in blauen Lettern erscheinen).

Je größer der Zeitdruck, desto mehr Fehler machen wir

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mussten nun so schnell wie möglich per Tastendruck angeben, welche Farbe das jeweilige Wort hatte. Typischerweise machen Versuchspersonen bei einer solchen Aufgabe hin und wieder Fehler: Sie sehen etwa ein blau gefärbtes »rot« und tippen auf die Taste für »rot« statt »blau«. Je größer der Zeitdruck, desto höher ist die Fehlerquote. »Wir sprechen in diesen Fällen von einem ›action error‹«, erklärt Ueli Rutishauser, Professor für Neurowissenschaften am Cedars-Sinai Medical Center und einer der Köpfe hinter dem Experiment. »Darunter fallen nicht nur Fehler bei motorischen Handlungen wie in diesem Fall, sondern etwa auch Situationen, in denen wir jemanden mit dem falschen Namen ansprechen.«

Kurz erklärt:

»Action error«
beschreibt eine fehlerhafte Handlung – etwa beim Klavierspielen die falsche Taste zu drücken oder jemandem mit falschem Namen anzusprechen.

»Error-related negativity« (ERN)
ist die Bezeichnung für ein Hirnsignal, das typischerweise auftritt, sobald wir einen eigenen Handlungsfehler bemerken. Dabei sinkt die Hirnstromkurve im Elektroenzephalogramm stark ab.

Ex-ante-Konflikt
So nennt man einen Konflikt, der einem Handlungsfehler vorausgeht. Hierbei wägen wir in der Regel verschiedene Handlungsmöglichkeiten ab. Gerade unter Zeitdruck entscheiden wir uns hin und wieder für die falsche.

Ex-post-Konflikt
Dieser »Hätte ich doch …«-Modus beschreibt nach einer falschen Handlung die Erkenntnis, dass wir eine andere Option hätten wählen müssen.

Mismatch-Theorie
Das Gehirn vergleicht ständig den erwarteten Ausgang einer Handlung mit der Realität. Laut der Mismatch-Theorie erzeugt es bei größeren Abweichungen eine Fehlermeldung.

»Post-error slowing« (PES)
Passiert uns ein Fehler, versuchen wir, ihn künftig zu vermeiden, indem wir die entsprechende Handlung langsamer ausführen. Auch die Überraschung nach einem Fehler kann uns vorübergehend ausbremsen.

Das Gehirn der Probanden und Probandinnen registrierte einen derartigen Lapsus sehr schnell: Eine Zehntelsekunde nach dem fehlerhaften Knopfdruck begannen manche der Neurone in der Nähe der implantierten Elektroden deutlich schneller zu feuern. »Zu diesem Zeitpunkt hatten unsere Versuchspersonen noch gar kein Feedback über ihren Fehler erhalten«, betont Rutishauser. »Die Error-Zellen hatten ihn also selbst bemerkt, ohne jede Rückmeldung.«

Das Ergebnis lässt auch Erkenntnisse aus den 1990er Jahren in einem neuen Licht erscheinen. Damals hatten der deutsche Psychologe Michael Falkenstein und wenig später sein US-Kollege William Gehring im Elektroenzephalogramm (EEG) ein interessantes Signal entdeckt: Kurz nach einem Handlungsfehler macht die Hirnstromkurve demnach einen Ausschlag nach unten. Gehring bezeichnete das Phänomen als »error-related negativity«, kurz ERN.

Die »Oh, shit«-Antwort der Neurone

ERN-Signale entstehen ebenfalls, ohne dass dafür ein Feedback nötig wäre. Gehring vermutete, der Dip in der EEG-Kurve könne Ausdruck eines Systems zur Fehlererkennung und -kompensation sein. Wir drücken die falsche Taste, und unser Gehirn bemerkt sofort: Verdammt, das war nicht richtig. »Falkenstein hat das einmal sehr plakativ als ›Oh, shit‹-Antwort bezeichnet«, sagt Markus Ullsperger von der Universität Magdeburg. Der Neuropsychologe erforscht schon lange die Prozesse, mit denen das Gehirn Fehler erkennt und aus ihnen lernt. »Tatsächlich beginnen manche unserer Versuchspersonen zu fluchen, wenn sie in unseren Laborexperimenten einen Fehler machen.«

Die Entdeckung des ERN-Signals stieß auf enorme Resonanz: Erstmals hatte man eine elektrische Signatur für die Vorgänge gefunden, die beim Entdecken und Verarbeiten von Fehlern im Gehirn ablaufen. Das Interesse nahm noch zu, als erste Studien darauf hindeuteten, dass der typische Negativausschlag bei manchen psychischen Erkrankungen verändert ist. So soll er bei Menschen mit Schizophrenie geringer ausfallen – allerdings nur, wenn sie sich gerade in einer akuten Erkrankungsepisode mit Halluzinationen, Wahn und unzusammenhängenden Gedanken befinden. »Die Ergebnisse aus derartigen Studien sind aber oft nicht einfach zu interpretieren, weil die Betroffenen meist Medikamente nehmen, die das ERN-Signal beeinflussen«, erklärt Ullsperger.

»Es gibt Menschen mit bestimmten Hirnschädigungen, die registrieren genau, wenn sie im Stroop-Test einen Fehler machen. Und dennoch machen sie ihn beim nächsten Mal wieder«Ueli Rutishauser, Cedars-Sinai Medical Center, Los Angeles

Für deutlich belastbarer hält er die Ergebnisse zu Zwangsstörungen: »Dort findet man regelmäßig eine Erhöhung der ›error-related negativity‹«, sagt er. Das passe gut zum Krankheitsbild. Die Patientinnen und Patienten bekämen von ihrem Gehirn dauernd ein Fehlersignal: »Deine Hände sind noch dreckig, du musst sie noch einmal waschen; der Herd ist bestimmt noch an, kontrollier das noch einmal!« Bei Eltern oder Geschwistern von Betroffenen sei die EEG-Kurve auf ähnliche Weise verändert, selbst wenn sie gesund seien. »Vermutlich ist das ein Zeichen für ein erhöhtes Erkrankungsrisiko«, so der Psychologe.

Interessanterweise haben ERN-Signale ein ähnliches Timing wie die Error-Zellen: Der charakteristische Abfall der Kurve lässt sich ebenfalls bereits eine Zehntelsekunde nach dem Fehler nachweisen. Es ist demnach gut denkbar, dass die Aktivitätsänderung der durch die implantierten Elektroden entdeckten Nervenzellen bei der Entstehung der »error-related negativity« eine wesentliche Rolle spielt. Doch dazu leisten wohl noch weitere neuronale Prozesse einen substanziellen Beitrag: Im EEG addieren sich die elektrischen Potenziale zahlloser Neurone zu einem Gesamtsignal. Einzelne von ihnen »herauszuhören«, ist daher unmöglich.

Hirn pass auf! | Beim so genannten Stroop-Test sieht eine Versuchsperson auf einem Monitor Begriffe für Farben. Die Worte können in unterschiedlichen Schriftfarben erscheinen. Die Aufgabe besteht darin, durch Tastendruck die Farbe der Lettern anzugeben (und die Wortbedeutung zu ignorieren). Hierbei passieren leicht Fehler, die spezielle Nervenzellen im Gehirn rasch detektieren – meist noch bevor die Person ein Feedback erhält. Diese »Error-Neurone« befinden sich im prä-supplementärmotorischen Areal sowie im anterioren zingulären Kortex. Beide Areale enthalten zudem »Fehler integrierende Neurone«. Diese sorgen dafür, dass wir beim nächsten Mal besser aufpassen, damit uns der Fehler nicht noch einmal passiert.

Um die »error-related negativity« zu detektieren, müssen die EEG-Elektroden an ganz bestimmten Stellen auf dem Schädel aufgeklebt werden. »Lange Zeit hat man angenommen, dass diese Signale in einer Region ihren Ursprung haben, die wir den anterioren zingulären Kortex oder ACC nennen«, erklärt Rutishauser. Er fährt sich mit den Fingern über den Scheitel, bis zu einem etwa eine Hand breit von der Stirn entfernten Punkt. »Sie liegt ungefähr hier, aber tief im Innern des Gehirns. Wir haben festgestellt, dass dort tatsächlich Nervenzellen sitzen, die auf Fehler reagieren.« Allerdings sind sie offenbar nicht für das eigentliche Monitoring zuständig: In einem angrenzenden Gebiet, dem prä-supplementärmotorischen Areal (kurz: prä-SMA), existieren Fehler-Neurone, die noch früher feuern. Es handelt sich dabei um eine Region, die für die Bewegungssteuerung verantwortlich ist.

Falkenstein und Gehring glaubten, dass ERN-Signale immer dann entstehen, wenn bestimmte neuronale Netzwerke den erwarteten Ausgang einer Handlung mit der Wirklichkeit vergleichen. Kommt es hier zu Unstimmigkeiten, generiert das Gehirn eine Fehlermeldung. In der Wissenschaft firmiert diese These unter dem Namen »Mismatch-Theorie«. Im Jahr 2004 erregten jedoch die US-Psychologen Nick Yeung, Matthew Botvinick und Jonathan Cohen mit einem anderen Vorschlag Aufsehen: Demnach ist ein ERN-Signal kein Zeichen für einen Fehler, sondern stattdessen für einen Konflikt.

Der Gedankengang der US-Forscher lässt sich gut am Stroop-Test nachvollziehen, etwa am blau geschriebenen Wort »rot«: In diesem Fall entsteht ein Konflikt zwischen der korrekten Antwort (Taste für »blau« drücken) und der falschen, die durch die Wortbedeutung nahegelegt wird (Taste für »rot« drücken). Und tatsächlich gibt es Beobachtungen, die die Konfliktthese stützen. So werden bestimmte Regionen im ACC auch nach einer korrekten Handlung aktiv (im Beispiel: wenn man die Taste für »blau« gedrückt hat). Das gilt jedoch nur dann, wenn es zugleich eine falsche Handlungsalternative gab, die aus irgendwelchen Gründen ebenfalls attraktiv oder plausibel war und daher einen starken inneren Konflikt verursachte (im Beispiel: die Bedeutung des Wortes »rot«).

Im »Hätte ich doch …«-Modus

Ein Teil des Konflikts tritt schon vor dem Fehler auf, nämlich während wir die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten abwägen. Der Fachbegriff dafür lautet »ex ante« (von lateinisch ante = davor). Wir können ihn in aller Regel lösen, wenn wir uns vor der Entscheidung genügend Zeit lassen, um die konkurrierenden Informationen zu verarbeiten – hier: Wortfarbe und Wortbedeutung. »In Experimenten zum Fehler-Monitoring werden die Versuchspersonen jedoch absichtlich unter Zeitdruck gesetzt«, erklärt Ullsperger. »Wenn sie dann einen Fehler machen, löst sich das Konfliktsignal nicht auf, sondern wird sogar noch größer.« Denn nach der Handlung merken sie, dass sie eigentlich die andere Möglichkeit hätten wählen müssen. Sie geraten also in eine Art »Hätte ich doch …«-Modus. Und dieser so genannte Ex-post-Konflikt (von post = danach) sorgt dafür, dass die Hirnstromkurve kurzzeitig in den Keller rauscht.

Das Gehirn kann daher ebenfalls Fehler identifizieren, indem es auf solche starken Konfliktsignale nach einer Entscheidung achtet. Yeung, Botvinick und Cohen glauben, dass diese Art des Monitorings deutlich einfacher ist, als eine wirklich erfolgte Handlung mit der eigentlich intendierten Aktion zu vergleichen. Mit Hilfe der implantierten Elektroden konnten die Forscher um Ueli Rutishauser nun jedoch eine Probe aufs Exempel machen. Dabei zeigte sich, dass Fehler-Neurone in aller Regel nicht auf Konflikte reagieren: Ob das Wort »rot« in blauen oder roten Lettern geschrieben ist, hat keinen Einfluss auf die Feuerrate. Stattdessen gibt es eine andere Gruppe von Nervenzellen, die ausschließlich auf Konflikte, nicht aber auf Fehler ansprechen. Auf neuronaler Ebene unterscheidet unser Gehirn offensichtlich sehr genau zwischen beiden Signalen. Diese Resultate widersprechen der Konfliktthese also.

»Die Fehler integrierenden Neurone sorgen dafür, dass wir etwas unternehmen, um den Fehler künftig zu vermeiden«Ueli Rutishauser, Cedars-Sinai Medical Center, Los Angeles

Die Forscher konnten neben Fehler- und Konfliktzellen zudem noch eine weitere Gruppe identifizieren, die Fehler integrierenden Neurone. Ihnen kommt möglicherweise eine maßgebliche Rolle zu: Sie scheinen dafür zu sorgen, dass der Aufschrei der Fehlerneurone nicht ungehört verhallt, sondern eine Verhaltensanpassung anstößt. Angenommen, eine Versuchsperson drückt im ersten Durchlauf des Stroop-Tests die falsche Taste. Die Fehler integrierenden Neurone werden dann beim nächsten Versuch besonders aktiv – ganz so, als wollten sie warnen: Jetzt aber Vorsicht, du hast eben schon falschgelegen! »Sie sorgen dafür, dass wir etwas unternehmen, um den Fehler künftig zu vermeiden«, erklärt Rutishauser. »Die gängige Strategie ist, dass wir uns beim nächsten Mal einfach etwas mehr Zeit nehmen.« In der Fachwelt spricht man auch von »post-error slowing«, abgekürzt PES. Je höher die Aktivität der Fehler integrierenden Neurone, desto stärker fiel bei den Probanden und Probandinnen das PES aus.

Doch war das reduzierte Tempo eindeutig dem Ziel geschuldet, weitere falsche Tastendrücke auszuschließen? Vielleicht spielte dabei ja ein ganz anderer Punkt eine Rolle – nämlich die Überraschung der Versuchspersonen, dass sie überhaupt einen Fehler gemacht hatten. Durch den unerwarteten Lapsus war ihr Gehirn eventuell so stark in Beschlag genommen, dass es kurzzeitig einfach nicht so schnell reagieren konnte. Tatsächlich zeigen Experimente mit Makaken, dass es Nervenzellen gibt, die auf überraschende Resultate reagieren. Das heißt, sie werden auch aktiv, wenn das Ergebnis besser ausfällt als gedacht. Wenn wir beispielsweise wiederholt an einer sehr schwierigen Aufgabe scheitern, würden diese Neurone dann feuern, wenn wir einmal keinen Fehler machen.

Der Psychologieprofessor und Hirnforscher Jan Wessel von der University of Iowa glaubt, dass es im Gehirn eine Art Detektor für unerwartete Handlungskonsequenzen gibt. »Wir haben vor einigen Jahren zeigen können, dass die Aktivität im ACC – oder präziser im anterior-medialen zingulären Kortex – sehr ähnlich ist, wenn wir einen Fehler machen oder wenn eine korrekte Handlung ein unerwartetes Ergebnis hat«, sagt er. Zusammen mit seiner Mitarbeiterin Yoojeong Choo hat er kürzlich untersucht, ob Überraschungen auch zu einem PES führen. Die Probandinnen und Probanden mussten wiederholt unter Zeitdruck eine einfache Aufgabe erledigen. Unmittelbar nach ihrem Tastendruck erschien auf dem Bildschirm ein großes Dreieck (egal ob die Antwort korrekt oder falsch gewesen war). In seltenen Fällen leuchtete stattdessen aber ein ganz anderes Symbol auf, beispielsweise ein Anker oder ein Frosch.

Beim nächsten Mal langsamer

Wie erwartet, verlängerte sich nach einem Fehler im darauf folgenden Versuch die Reaktionszeit. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zeigten also ein »post-error slowing«. Das war aber auch dann der Fall, wenn nach einer korrekten Antwort unerwarteterweise der Anker oder der Frosch erschienen war. Das spricht dafür, dass das PES nach einem Fehler ebenfalls auf den Überraschungseffekt zurückzuführen ist (schließlich sehen wir Fehler in der Regel nicht voraus). Doch das ist wohl nur die halbe Antwort: Wenn bis zur nächsten Aufgabe mindestens 1,7 Sekunden verstrichen, ließ sich nach einer Überraschung kein PES mehr nachweisen. Innerhalb dieser Spanne konnte das Gehirn der Versuchspersonen die ungewöhnliche Art des Feedbacks folglich offensichtlich verarbeiten und brauchte keine zusätzliche Bedenkzeit mehr.

Das »slowing« nach einem Fehler hielt dagegen deutlich länger an: Die Probandinnen und Probanden ließen sich im darauf folgenden Versuch auch dann mehr Zeit, wenn dieser erst drei Sekunden später erfolgte. »Wir interpretieren das so, dass der frühe Teil des PES überraschungsbedingt ist«, sagt Wessel. »Daran schließt sich aber ein fehlerspezifischer Teil an – ein strategisches ›post-error slowing‹, um Fehler künftig zu vermeiden.«

»Es gibt Menschen mit bestimmten Hirnschädigungen, die registrieren genau, wenn sie im Stroop-Test einen Fehler machen. Und dennoch machen sie ihn beim nächsten Mal wieder«Ueli Rutishauser, Cedars-Sinai Medical Center, Los Angeles

Es ist übrigens keineswegs so, dass das PES umso stärker ausfällt, je größer zuvor die »error-related negativity« war. »Einen Fehler zu bemerken, ist die eine Sache; danach das Verhalten so zu verändern, dass vergleichbare Fehler in Zukunft seltener auftreten, eine ganz andere«, betont Rutishauser. »Es gibt Menschen mit bestimmten Hirnschädigungen, die registrieren genau, wenn sie im Stroop-Test einen Fehler machen. Und dennoch machen sie ihn beim nächsten Mal wieder.«

Doch selbst wenn unser Denkorgan einwandfrei funktioniert, tun wir uns oft schwer damit, aus Fehlern zu lernen. Das zeigen beispielsweise Experimente der US-Ökonominnen Lauren Eskreis-Winkler und Ayelet Fishbach. Vor einigen Jahren erfanden die Forscherinnen dazu extra eine neue Schrift mit ganz eigenen Symbolen, die sehr entfernt an chinesische Schriftzeichen erinnern. Sie gruppierten die Symbole zu Paaren und legten diese mehr als 300 Versuchspersonen vor, die zu jedem Paar eine Frage beantworten sollten, etwa: Welches der folgenden zwei Zeichen steht für ein Tier? Direkt danach erhielten sie eine Rückmeldung, ob sie richtig oder falsch geraten hatten. In beiden Fällen wussten sie anschließend also, welche Antwort korrekt gewesen wäre.

Nach einer kurzen Unterbrechung folgte ein zweiter Durchgang. Darin sahen sie dieselben Symbolpaare und bekamen dieselbe Frage gestellt. Dieser Test zeigte, wie gut die Probanden und Probandinnen die Bedeutung der Zeichen gelernt hatten. Damit sie sich anstrengten, erhielten sie für jede richtige Antwort etwas Geld. Das Ergebnis war verblüffend: Hatten die Versuchspersonen in der ersten Runde ein positives Feedback bekommen, lagen sie zu 80 Prozent auch im Testdurchgang richtig. Sie hatten demnach aus ihrer korrekten Antwort gelernt. Ganz anders sah es aus, wenn sie in der ersten Runde falsch getippt hatten: Dann lag ihre Trefferquote nur bei 59 Prozent. Hätten sie nur geraten, hätte man 50 Prozent erwartet. Die beiden Werte liegen so nahe beieinander, dass sich statistisch kein Lerneffekt nachweisen lässt.

Den Kopf in den Sand gesteckt

Menschen lernen offenbar aus ihren Erfolgen viel leichter als aus ihren Fehlern. Doch woran liegt das? Die beiden Wissenschaftlerinnen schlagen als Erklärung emotionale Barrieren vor: Fehler bedrohen unseren Selbstwert, denn sie lassen sich als Versagen interpretieren, als Zeichen dafür, dass wir »nicht gut genug« waren. Tatsächlich gaben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein niedrigeres Selbstwertgefühl zu Protokoll, wenn sie falschgelegen hatten. Je stärker dieser Effekt ausfiel, desto weniger lernten sie zudem aus ihrem Misserfolg.

Um ihr positives Selbstbild zu schützen, scheinen Menschen Informationen zu meiden, die ein schlechtes Licht auf sie werfen. Statt sich mit Fehlschlägen zu befassen, stecken sie daher gewissermaßen den Kopf in den Sand – ein Phänomen, das als »Vogel-Strauß-Effekt« bezeichnet wird. Ein schönes Beispiel dafür haben US-Forscher im Jahr 2016 veröffentlicht. Sie hatten untersucht, wie oft sich Investoren und Investorinnen in ihre Online-Depots einloggten. Ergebnis: Wenn die Börsenkurse in den Keller rauschten, schauten die meisten am Tag darauf deutlich seltener in ihr Portfolio, vermutlich aus Angst, Verluste gemacht zu haben. Offenbar riskieren Menschen eher ihr Geld als ihr gutes Selbstbild.

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  • Quellen

Choo, Y. et al.: Early action error processing is due to domain-general surprise, whereas later processing is error specific. Journal of Neuroscience 43, 2023

Eskreis-Winkler, L., Fishbach, A.: You think failure is hard? So is learning from it. Perspectives on Psychological Science 17, 2022

Fu, Z. et al.: Neurophysiological mechanisms of error monitoring in human and non-human primates. Nature Reviews Neuroscience 24, 2023

Fu, Z. et al.: Single-neuron correlates of error monitoring and post-error adjustments in human medial frontal cortex. Neuron 101, 2019

Ullsperger, M.: Beyond peaks and troughs: Multiplexed performance monitoring signals in the EEG. Psychophysiology 61, 2024

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