Ärztliche Praxis: Macht mal Pause
Wer 24 Stunden am Stück wach bleiben musste, schneidet bei Verhaltenstests genauso schlecht ab wie ein Mensch mit einem Promill Alkohol im Blut. Ärzte, denen Schichtdienst regelmäßig solchen Schlafmangel aufzwingt, sollen trotzdem immer richtige, weil lebenswichtige Entscheidungen treffen. Das kann nicht funktionieren.
Wochenlange Ärztestreiks bestimmten im Sommer die Nachrichten. Wie bei jedem Tarifstreit ging's ums Gehalt – aber auch um angemessene Arbeitszeiten. Nun lässt sich über die Höhe von Löhnen trefflich diskutieren, und auch unbezahlte Überstunden sind für die meisten Berufstätigen heutzutage eher Regel als Ausnahme. Doch in diesem Fall betraf der Arbeitskampf uns alle: Denn Mediziner, die 24 Stunden und mehr im Einsatz sind, machen mehr Fehler – das belegen inzwischen einige Studien. Und Schichtdienste dieser Länge sind keine Seltenheit, bei Wochenarbeitszeiten von achtzig Stunden und mehr.
Merkwürdig lange hat es gedauert, bis Übermüdung und Überlastung und die damit verbundenen Folgen Diskussionsthema in medizinischen Fachkreisen und der Öffentlichkeit wurde. Und noch immer ist die Zahl der Untersuchungen dazu vergleichsweise gering. Wie anders präsentiert sich dagegen die Situation in Bereichen des Transportwesens und der Industrie, in denen viel häufiger ein Zusammenhang zwischen den Arbeitsbedingungen – und damit auch überlangen Arbeitszeiten – und deren schädlichen Effekte hergestellt und auch anerkannt wird.
Den Grundstein legte eine Publikation aus dem Jahr 1971, in der Forscher feststellten, dass Assistenzärzten nach einem 24-Stunden-Dienst bei der Auswertung von EKGs beinahe doppelt so viele Fehler unterliefen wie ausgeschlafenen Kollegen [1]. Den Weg in die Medien fand das Thema aber erst mit dem Bericht des Instituts für Medizin der US-amerikanischen Nationalen Akademien der Wissenschaften, wonach ärztliche Fehlentscheidungen für jährlich 44 000 bis 98 000 Todesfälle in US-Kliniken verantwortlich sein sollen [2]. Über den Einfluss von Übermüdung auf die Leistung des medizinischen Personals schwiegen sich die Autoren allerdings weit gehend aus.
In den folgenden Jahren stieg die Zahl an Studien und Publikationen zum Thema Patientensicherheit deutlich an [3]. Und der Fokus änderte sich: Während zuvor vor allem ärztliche Kunstfehler im Mittelpunkt standen, konzentrierten sich die Artikel nun weitaus stärker auf die Bereiche Organisationskultur – sowie personelle Ausstattung und Arbeitszeiten.
Aufbauend auf ihren früheren Studien, die eine geringere Fehlerquote bei verkürzten Bereitschaftsdiensten – unter 16 statt über 24 Stunden – erbracht hatten, untersuchten Charles Czeisler von der Harvard-Universität und sein Team nun, wie sich die Häufigkeit von langen Bereitschaftsdiensten auf die Leistungsfähigkeit von Assistenzärzten auswirkt [4]. Über 2700 junge Mediziner füllten dafür monatlich detaillierte Online-Fragebögen zu Arbeitszeiten und Schlafphasen aus und mussten auch angeben, wie viele – nach eigener Einschätzung – müdigkeitsbedingte und sonstige Fehler ihnen unterlaufen waren und wie oft sie während ihrer Arbeit oder in Seminaren eingenickt oder gar eingeschlafen waren.
Die Statistik lieferte schließlich klare Zahlen: Mussten die Assistenzärzte bis zu vier lange Bereitschaftsdienste im Monat hinter sich bringen, war das Risiko eines müdigkeitsbedingten Behandlungs- oder Diagnosefehlers 3,5 Mal so hoch wie bei einem Monat ohne Langzeitschichten. Rückten die jungen Mediziner mindestens fünfmal an, stieg diese Quote sogar auf das mehr als Siebenfache. Und auch Einnicken in unpassenden Momenten – während der Visite oder selbst bei Operationen – kam deutlich häufiger vor. Entsprechend traten vermehrt damit verknüpfte gesundheitliche Beeinträchtigungen bei den Patienten auf.
Nicht vergessen darf man bei diesen Zahlen, dass es um mehr als nur den Fehler an sich geht – schließlich hat er auch psychologische Konsequenzen für den Mediziner, der sich schuldbewusst fühlt. Das aber löst einen wahren Teufelskreis aus: Die resultierende Unsicherheit führt zu weiteren Fehlern, der ständige – auch selbst verursachte – Druck kann bis schließlich in Burn-out-Symptome münden, wie andere Studien zeigten.
Eine Verkürzung der Arbeitszeiten täte also not, scheinen die Daten zu belegen. Tatsächlich aber zeigten manche entsprechende Versuche noch einen anderen Effekt, der seinerseits die Fehlerquote wieder steigern kann: mangelnde Kommunikation. Denn mit der Verkürzung geht auch einher, dass ein Arzt sich nun weniger intensiv um einen bestimmten Patienten kümmern kann. Die nötigen Wechsel zwischen den Kollegen gehen aber nur glatt, wenn bei der Übergabe auch alle nötigen Informationen fließen – und hier hapert es offenbar in manchen Fällen. Dieser unterbrochene Arzt-Patienten-Kontakt wird daher auch häufig von Medizinern selbst als Argument gegen eine Einschränkung der Arbeitszeit angeführt.
Mehr als 24 Stunden Schichtdienst aber sollen zumindest in Deutschland nach den neuen Tarifbedingungen eher zur Ausnahme von der Regel werden. Vereinbart wurden wöchentliche Arbeitszeiten von 42 Stunden an Universitätskliniken und 40 Stunden an kommunalen Krankenhäusern. An einen normalen Arbeitstag von acht Stunden kann ein Arzt nun Bereitschaftsdienst von bis zu 16 Stunden anhängen, wobei dieser je nach Arbeitsbelastung unterschiedlich bezahlt wird. Die maximale Arbeitszeit pro Woche beträgt damit 58 Stunden – kann aber mit persönlicher Einwilligung des Arztes noch weiter gesteigert werden.
Besonders wichtig aus Sicht des Marburger Bundes wären noch die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle und elektronische Zeiterfassung, um die zahlreichen, bislang meist nicht entlohnten Überstunden von Medizinern auch sichtbar und damit bezahlbar zu machen. Denn hier äußern manche Ärzte einen weiteren Kritikpunkt: Mit der Einschränkung der bisher üblichen Arbeitszeiten sinkt auch das Gehalt. So verzeichnen manche Kliniken, dass ihre Mediziner Überstunden nicht in Freizeit, sondern finanziell abgegolten haben möchten.
Zusammen mit Vereinbarungen zu Weiterbildungsmaßnahmen, Freiräumen für Forschung und Lehre, die bisher oft nebenher laufen mussten, und der Aussicht auf besser organisierte Arbeitsabläufe könnten die neuen Verträge also vielleicht den Weg in eine bessere Arbeitswelt für Ärzte ebnen – wäre da nicht wieder das bekannte Problem, dass für alle diese so schön klingenden Dinge auch klingende Münzen nötig sind, die allerorten fehlen. Neben leistungsfähigeren Ärzten ermöglichten sie aber auch eine größere Sicherheit für Patienten – und das liegt nun wirklich in unser aller Interesse.
Merkwürdig lange hat es gedauert, bis Übermüdung und Überlastung und die damit verbundenen Folgen Diskussionsthema in medizinischen Fachkreisen und der Öffentlichkeit wurde. Und noch immer ist die Zahl der Untersuchungen dazu vergleichsweise gering. Wie anders präsentiert sich dagegen die Situation in Bereichen des Transportwesens und der Industrie, in denen viel häufiger ein Zusammenhang zwischen den Arbeitsbedingungen – und damit auch überlangen Arbeitszeiten – und deren schädlichen Effekte hergestellt und auch anerkannt wird.
Den Grundstein legte eine Publikation aus dem Jahr 1971, in der Forscher feststellten, dass Assistenzärzten nach einem 24-Stunden-Dienst bei der Auswertung von EKGs beinahe doppelt so viele Fehler unterliefen wie ausgeschlafenen Kollegen [1]. Den Weg in die Medien fand das Thema aber erst mit dem Bericht des Instituts für Medizin der US-amerikanischen Nationalen Akademien der Wissenschaften, wonach ärztliche Fehlentscheidungen für jährlich 44 000 bis 98 000 Todesfälle in US-Kliniken verantwortlich sein sollen [2]. Über den Einfluss von Übermüdung auf die Leistung des medizinischen Personals schwiegen sich die Autoren allerdings weit gehend aus.
In den folgenden Jahren stieg die Zahl an Studien und Publikationen zum Thema Patientensicherheit deutlich an [3]. Und der Fokus änderte sich: Während zuvor vor allem ärztliche Kunstfehler im Mittelpunkt standen, konzentrierten sich die Artikel nun weitaus stärker auf die Bereiche Organisationskultur – sowie personelle Ausstattung und Arbeitszeiten.
Aufbauend auf ihren früheren Studien, die eine geringere Fehlerquote bei verkürzten Bereitschaftsdiensten – unter 16 statt über 24 Stunden – erbracht hatten, untersuchten Charles Czeisler von der Harvard-Universität und sein Team nun, wie sich die Häufigkeit von langen Bereitschaftsdiensten auf die Leistungsfähigkeit von Assistenzärzten auswirkt [4]. Über 2700 junge Mediziner füllten dafür monatlich detaillierte Online-Fragebögen zu Arbeitszeiten und Schlafphasen aus und mussten auch angeben, wie viele – nach eigener Einschätzung – müdigkeitsbedingte und sonstige Fehler ihnen unterlaufen waren und wie oft sie während ihrer Arbeit oder in Seminaren eingenickt oder gar eingeschlafen waren.
Die Statistik lieferte schließlich klare Zahlen: Mussten die Assistenzärzte bis zu vier lange Bereitschaftsdienste im Monat hinter sich bringen, war das Risiko eines müdigkeitsbedingten Behandlungs- oder Diagnosefehlers 3,5 Mal so hoch wie bei einem Monat ohne Langzeitschichten. Rückten die jungen Mediziner mindestens fünfmal an, stieg diese Quote sogar auf das mehr als Siebenfache. Und auch Einnicken in unpassenden Momenten – während der Visite oder selbst bei Operationen – kam deutlich häufiger vor. Entsprechend traten vermehrt damit verknüpfte gesundheitliche Beeinträchtigungen bei den Patienten auf.
Nicht vergessen darf man bei diesen Zahlen, dass es um mehr als nur den Fehler an sich geht – schließlich hat er auch psychologische Konsequenzen für den Mediziner, der sich schuldbewusst fühlt. Das aber löst einen wahren Teufelskreis aus: Die resultierende Unsicherheit führt zu weiteren Fehlern, der ständige – auch selbst verursachte – Druck kann bis schließlich in Burn-out-Symptome münden, wie andere Studien zeigten.
Eine Verkürzung der Arbeitszeiten täte also not, scheinen die Daten zu belegen. Tatsächlich aber zeigten manche entsprechende Versuche noch einen anderen Effekt, der seinerseits die Fehlerquote wieder steigern kann: mangelnde Kommunikation. Denn mit der Verkürzung geht auch einher, dass ein Arzt sich nun weniger intensiv um einen bestimmten Patienten kümmern kann. Die nötigen Wechsel zwischen den Kollegen gehen aber nur glatt, wenn bei der Übergabe auch alle nötigen Informationen fließen – und hier hapert es offenbar in manchen Fällen. Dieser unterbrochene Arzt-Patienten-Kontakt wird daher auch häufig von Medizinern selbst als Argument gegen eine Einschränkung der Arbeitszeit angeführt.
Mehr als 24 Stunden Schichtdienst aber sollen zumindest in Deutschland nach den neuen Tarifbedingungen eher zur Ausnahme von der Regel werden. Vereinbart wurden wöchentliche Arbeitszeiten von 42 Stunden an Universitätskliniken und 40 Stunden an kommunalen Krankenhäusern. An einen normalen Arbeitstag von acht Stunden kann ein Arzt nun Bereitschaftsdienst von bis zu 16 Stunden anhängen, wobei dieser je nach Arbeitsbelastung unterschiedlich bezahlt wird. Die maximale Arbeitszeit pro Woche beträgt damit 58 Stunden – kann aber mit persönlicher Einwilligung des Arztes noch weiter gesteigert werden.
Besonders wichtig aus Sicht des Marburger Bundes wären noch die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle und elektronische Zeiterfassung, um die zahlreichen, bislang meist nicht entlohnten Überstunden von Medizinern auch sichtbar und damit bezahlbar zu machen. Denn hier äußern manche Ärzte einen weiteren Kritikpunkt: Mit der Einschränkung der bisher üblichen Arbeitszeiten sinkt auch das Gehalt. So verzeichnen manche Kliniken, dass ihre Mediziner Überstunden nicht in Freizeit, sondern finanziell abgegolten haben möchten.
Zusammen mit Vereinbarungen zu Weiterbildungsmaßnahmen, Freiräumen für Forschung und Lehre, die bisher oft nebenher laufen mussten, und der Aussicht auf besser organisierte Arbeitsabläufe könnten die neuen Verträge also vielleicht den Weg in eine bessere Arbeitswelt für Ärzte ebnen – wäre da nicht wieder das bekannte Problem, dass für alle diese so schön klingenden Dinge auch klingende Münzen nötig sind, die allerorten fehlen. Neben leistungsfähigeren Ärzten ermöglichten sie aber auch eine größere Sicherheit für Patienten – und das liegt nun wirklich in unser aller Interesse.
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