Mars: Wie kam der Rote Planet zu seinen Monden?
Woher kommen die Monde des Mars? Das ist eine Frage, die Wissenschaftler noch immer nicht beantworten können. Der Mond der Erde ist wahrscheinlich durch einen gigantischen Einschlag auf unserem Planeten vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstanden. Andere Monde im Sonnensystem, etwa einige der kleineren Trabenten des Jupiters, scheinen hingegen eingefangene Asteroiden zu sein. Welcher dieser beiden Entstehungswege für die Marsmonde Phobos und Deimos zutrifft, ist noch unklar – bis jetzt. Eine japanische Raumsonde, die im nächsten Jahr startet, wird versuchen, Proben von Phobos zurückzubringen. Sie könnten die neuesten Ergebnisse eines Orbiters der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bestätigen, die auf einen planetarischen Ursprung der beiden Monde hindeuten. »Man kann sich überraschen lassen, aber ich denke, wir werden es herausfinden«, sagt Jemma Davidson von der Arizona State University.
Am 24. April gaben die VAE bekannt, dass ihr Orbiter Hope den kleineren der beiden Marsmonde, Deimos, untersucht hat. Die Sonde lieferte einige der bisher besten Daten und Bilder von Deimos aus einer Höhe von nur 100 Kilometern über der Oberfläche des Mondes. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Zusammensetzung von Deimos eher mit der des Mars übereinstimmt als mit der einer Klasse von Asteroiden, die früher als wahrscheinliches Rohmaterial für Deimos und Phobos angesehen wurde: Asteroiden des Typs D im äußeren Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. »Wir glauben nicht, dass [Deimos] ein Asteroid ist«, sagt Hessa Al Matroushi, wissenschaftliche Leiterin der Mission am Mohammed Bin Rashid Space Center in Dubai.
Um das mit Sicherheit sagen zu können, wollen Wissenschaftler Proben von Phobos zur Erde zurückbringen. Ein entsprechender Versuch Russlands scheiterte 2012, als die Raumsonde Phobos-Grunt rund zwei Monate nach dem Start in den Pazifischen Ozean stürzte. »Sie kam nie aus der Erdumlaufbahn heraus«, erklärt John Logsdon, Raumfahrthistoriker und emeritierter Professor am Space Policy Institute der George Washington University. Die japanische Raumfahrtagentur JAXA (kurz für: Japan Aerospace Exploration Agency) hofft, diesem Schicksal mit ihrer Mission »Martian Moons Exploration« (MMX) zu entgehen. Das solarbetriebene Raumfahrzeug, das im September 2024 starten soll, wiegt mehr als drei Tonnen und hat in etwa die Größe eines SUV. Es soll im August 2025 in die Umlaufbahn des Mars eintreten, bevor es sich 2026 an Phobos heranpirscht, um Proben zu entnehmen und diese bis 2029 zur Erde zu bringen. Die Mission sei »superkomplex«, dürfte aber sehr lohnend sein, sagt Patrick Michel vom Observatorium Côte d'Azur in Frankreich, ein europäischer Mitarbeiter von MMX und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Mission.
Mondlandung mal anders
Am 17. April gaben NASA und JAXA bekannt, dass sie bei dieser Mission zusammenarbeiten werden. Im Rahmen dieser Partnerschaft wählte die NASA zehn US-Wissenschaftler für die Arbeit an MMX aus und wird außerdem zwei Instrumente für die Raumsonde liefern. »Wir haben großartige Partner bei JAXA, die diese ehrgeizige Mission leiten, um die ersten Proben des Marsmondes Phobos zurückzubringen«, sagte NASA-Administrator Bill Nelson in einer auf Twitter veröffentlichten Videobotschaft. »Gemeinsam werden wir unser Wissen über das Sonnensystem vertiefen.«
Von den beiden Monden des Mars ist Phobos der etwas größere. Beide sind unregelmäßig geformt und erinnern ein wenig an Kartoffeln. Phobos hat an seiner längsten Seite einen Durchmesser von etwa 27 Kilometern, Deimos ist 15 Kilometer breit. Phobos ist auch derjenige der beiden Trabanten, der dem Mars am nächsten ist. Er umkreist den Mars in einer Höhe von nur 6000 Kilometern über seiner Oberfläche und vollendet seine Umlaufbahn alle sieben Stunden und 39 Minuten. Deimos umkreist den Mars in einer Entfernung von mehr als 23 000 Kilometern und braucht etwas mehr als 30 Stunden für eine Umrundung. Beide Monde wurden bereits von mehreren Raumsonden abgelichtet, insbesondere von der NASA-Raumsonde Viking 2 im Jahr 1977, vom Mars Reconnaissance Orbiter in den 2000er Jahren und sogar vom Curiosity-Rover auf der Marsoberfläche im Jahr 2013. Aber auf keinem der beiden Monde ist jemals ein Raumfahrzeug gelandet.
Die japanische MMX-Mission soll das ändern. Sie baut auf dem Erfolg der japanischen Missionen Hayabusa und Hayabusa 2 auf, die 2010 beziehungsweise 2020 Proben von Asteroiden lieferten. Beide Sonden streiften jedoch nur wenige Sekunden lang über die Oberflächen ihrer Ziele. MMX wird an zwei Stellen auf Phobos landen und zwei Stunden auf der Oberfläche verbringen, um insgesamt etwa zehn Gramm Material zu sammeln. »Das ist ein großer Unterschied zu Hayabusa«, erklärt Michel. Oberflächenoperationen auf Phobos stellen viele Herausforderungen dar, da der Mond nur ein Tausendstel der Erdanziehungskraft hat – und auf Grund seiner ungewöhnlichen Form ein ungleichmäßiges Gravitationsfeld. MMX wird mit zwei Methoden Proben sammeln: mit einem Kernbohrer an einem ausfahrbaren Arm, um Proben aus einer Tiefe von mehr als zwei Zentimetern zu entnehmen, und mit einem pneumatischen Probenehmer, um Material von der Oberfläche aufzustoßen.
Im Schneckentempo über Phobos
Bevor MMX ihre Proben sammelt, soll die Sonde im Jahr 2026 oder 2027 jedoch noch einen kleinen Rover auf der Oberfläche absetzen, der von Wissenschaftlern in Frankreich und Deutschland entwickelt wurde. Der Rover von der Größe einer Mikrowelle wird bei einem Übungslandeversuch aus einer Höhe von 45 Metern abgeworfen – so zumindest der Plan. Nach dem Aufprall auf der Oberfläche wird der Rover dann mit seinen vier ausfahrbaren Rädern aufgerichtet, um eine 100-tägige Mission zu beginnen.
»Der Rover wäre problemlos in der Lage, einen Rückwärtssalto zu machen«Markus Grebenstein, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Auf Grund der schwachen, unregelmäßigen Anziehungskraft des Mondes kann sich der Rover allerdings trotz seines Gewichts von nur 25 Kilogramm nicht schneller als im Schneckentempo fortbewegen, da er sonst Gefahr läuft, ins Weltall zu stürzen. »Wenn wir schneller als 80 Millimeter pro Sekunde unterwegs sind, könnten wir den Rover umkippen oder sogar das Phobos-System verlassen«, sagt Markus Grebenstein vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, der Projektleiter des Rovers. Wenn man die begrenzte Lebensdauer des Rovers berücksichtige, schränke diese Geschwindigkeitsbegrenzung die Reichweite im Grunde auf etwa 100 Meter ein. Dennoch dürfte sich der Rover als unschätzbar wertvoll erweisen. Er wird die Oberfläche von Phobos untersuchen und der MMX-Raumsonde wichtige Informationen über die Oberflächeneigenschaften des Mondes liefern, die in die beiden Landeversuche einfließen werden. Der Rover wird auch den Einsatz von Robotern auf einem so kleinen Körper wie Phobos testen. Ein Fernziel könnte darin bestehen, den Rover an seine Grenzen zu bringen, indem man am Ende der Mission seine Hinterräder hochdreht und versucht, ihn umzudrehen. »Der Rover wäre problemlos in der Lage, einen Rückwärtssalto zu machen«, erklärt Grebenstein. »Vielleicht dürfen wir am Ende seiner Lebensdauer solche Experimente machen.«
Die vielleicht ersten Proben vom Mars
Das Ziel von MMX ist die Entnahme von Proben des »ursprünglichsten Materials auf Phobos«, sagt Michel, die Hinweise auf die Herkunft des Planeten enthalten könnten. Die Proben könnten zudem weitere spannende Erkenntnisse liefern: Es wird angenommen, dass die Oberfläche von Phobos mit Material bedeckt ist, das durch Einschläge vom Mars ausgeworfen wurde und sich dann auf dem Mond abgesetzt hat. Wenn Japan seine Proben im Jahr 2029 zur Erde bringt, könnte die Nation also die ersten unberührten Proben enthalten, die vom Roten Planeten selbst gesammelt wurden. Damit würde das milliardenschwere Projekt der NASA zur Rückführung von Marsproben, das frühestens im Jahr 2033 Proben zu unserem Planeten zurückschicken soll, um einiges übertroffen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Proben von MMX Beweise für früheres Leben oder die Bewohnbarkeit des Mars enthalten, aber sie könnten nützliche Informationen über die frühere Geologie des Planeten liefern. »Wir hoffen, dass wir sie mit dem Probenahmeverfahren einfangen können«, sagt Michel. »Mit dieser Mission könnten wir die ersten Proben vom Mars bergen.«
Nach seinen beiden Landungen wird MMX die Oberfläche verlassen und die gesammelten Proben in einer Kapsel zur Erde schicken. Während die Hauptsonde selbst in der Marsumlaufbahn verbleibt und später an Deimos vorbeifliegt, um den Mond aus der Ferne zu untersuchen, soll die Probenkapsel im Juli 2029 in einer australischen Wüste landen. Davidson gehört zu den von der NASA ausgewählten Fachleuten, die dann die Proben auf der Erde untersuchen werden. »Anhand der Minerale werden wir feststellen können, ob es sich um ein Mineral vom Mars oder um einen eingefangenen Asteroiden handelt«, sagt sie.
Sollten die Proben darauf hindeuten, dass es sich bei den Monden um eingefangene Asteroiden handelt, würde das interessante Rückschlüsse darauf zulassen, wie sie aus dem äußeren Asteroidengürtel zum Mars gelangt sind. Handelt es sich bei ihnen jedoch um Brocken vom Mars selbst, die durch einen Einschlag in einer frühen Phase seiner Geschichte entstanden sind, wirft dies eigene Probleme auf – nicht zuletzt die Frage, wie sich kleinere Objekte wie diese um einen Planeten gebildet haben, verglichen mit der Größe unseres eigenen Mondes um die Erde, der mit einem Durchmesser von etwa 3500 Kilometern unvorstellbar groß ist. »Es passt nicht zu den Modellen, die wir haben, wie das Material eines Rieseneinschlags aussehen würde«, sagt Davidson. »Was auch immer wir herausfinden, wir müssen überdenken, was wir bisher über diese Prozesse zu wissen glaubten.«
MMX und Hope stehen für ein wieder entfachtes Interesse an den Marsmonden, die 2015 von der Planetary Society als erstklassige Standorte für die Erkundung des Roten Planeten durch den Menschen vorgeschlagen wurden. »Wenn wir keine Menschen auf die Marsoberfläche schicken können, könnten wir sie vielleicht zu einem Rendezvous mit Phobos und Deimos schicken«, sagt Logsdon, einer der Mitautoren des Berichts der Planetary Society. Jetzt seien wir näher dran als je zuvor, herauszufinden, woher sie stammen, was uns helfen könnte, mehr darüber zu verstehen, wie sich unser Sonnensystem und seine unzähligen Planeten, Monde und Asteroiden gebildet haben. »Zu verstehen, wie die Monde entstanden sind, ist wirklich grundlegend für das Verständnis der Dynamik unseres Sonnensystems«, sagt Davidson.
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