Medizinischer Fortschritt: Wie man inzwischen Covid-19 behandelt
Am Anfang kommt der Feind von außen. Er versucht in den Körper einzudringen und sich dort auszubreiten. Es gilt also, schnell die Verteidigung hochzufahren – aber genau diese Abwehrreaktion kann später zum Verhängnis werden. Deswegen hat man bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 nicht nur ein Problem, sondern gleich zwei: erstens natürlich das Virus. Zweitens aber auch das eigene Immunsystem, das durch Sars-CoV-2 bei manchen Erkrankten regelrecht Amok läuft.
Deswegen ist es oft nicht das Virus, das Körperstrukturen schädigt oder zerstört. Viele Patientinnen und Patienten sterben nicht an den Schäden, die das Virus direkt verursacht, sondern an der Überreaktion ihres eigenen Immunsytems. An diesen beiden Problemen orientieren sich auch die allermeisten Behandlungsansätze, an denen ungefähr seit dem letzten Februar weltweit geforscht wird. Was wurde in diesen zwölf Monaten erreicht?
»Es gibt immer wieder eine Reihe von aussichtsreichen Kandidaten«, sagt Martin Kolditz, stellvertretender Leiter der Pneumologie im Universitätsklinikum Dresden. »Aber bei genauerer Betrachtung hat sich dann immer herausgestellt: Das lang ersehnte wirklich überzeugende Medikament, mit dem sich Covid-19 wirkungsvoll und effizient behandeln lässt, wurde noch nicht gefunden.«
Er behandelt seit Ausbruch der Pandemie fast täglich Covid-19-Patienten. Anders als bei der Entwicklung eines Impfstoffs, wo eine bestimmte, klar definierte Reaktion im körpereigenen Abwehrsystem hervorgerufen werden soll, ist die Behandlung einer Infektion weitaus komplexer, nicht nur, weil sich der Verlauf von Patient zu Patient unterscheidet.
Eine Frage des Timings
Ein zentrales Problem bei der Behandlung, sagt Kolditz, sei das Timing. Die antiviralen Medikamente, die das Virus über verschiedene Wege direkt und indirekt angreifen, seien teilweise zwar durchaus wirksam – allerdings nur, wenn sie frühzeitig gegeben würden. »Die meisten dieser Wirkstoffe verhindern, dass das Virus in die Zellen eindringt oder sich vermehrt und ausbreitet. Wir haben die Erfahrung machen müssen, dass die Wirksamkeit nur ziemlich am Anfang der Infektion hoch ist. Die Vermehrung des Virus im Körper spielt offenbar nur sehr früh eine wesentliche Rolle«, sagt Kolditz. Wenn die Patienten in die Klinik kommen, ist die Infektion aber oft schon fortgeschritten.
Bei einem fortgeschrittenen, schweren Verlauf wiederum kommen die immunmodulierenden Medikamente zum Einsatz, die das überschießende Abwehrsystem unterdrücken und so eine überschießende Immunreaktion verhindern sollen. Doch die immunmodulierenden Medikamente sind eine so genannte symptomatische Behandlung: Sie behandeln die hervorgerufenen Probleme – das überschießende Abwehrsystem –, aber nicht die Ursache, das Virus. Deshalb kann man mit ihnen den Verlauf einer schweren Infektion zwar abmildern, aber nicht direkt stoppen.
Trotzdem sind vor allem diese beiden Ansätze derzeit die größten Quellen an Hoffnung für eine wirksame Behandlung von Covid-19. In Labors von Kliniken, Universitäten und Unternehmen wird daran weltweit mit teils großem Aufwand geforscht. Es gibt bereits erste zugelassene Medikamente, und auch wenn die noch nicht wirklich überzeugen, könnten sich die Forschungsanstrengungen in Zukunft einmal auszahlen – in Form von künftigen, wirksameren Medikamenten.
Welcher Wirkstoffkandidat einmal die große Erleichterung für Covid-19-Patient bringen wird, kann keiner mit Sicherheit sagen. Weit über 100 Wirkstoffe werden derzeit weltweit erprobt. Manche erscheinen aussichtsreich, in anderen liegt eher vage Hoffnung. »Ich bin aber überzeugt, die enormen Anstrengungen, die derzeit gemacht haben, fruchten in absehbarer Zeit. Und wir werden ein Mittel finden, mit dem sich das Virus wirkungsvoller bekämpfen lässt«, sagt Kolditz.
Die vielversprechendsten Kandidaten aus den beiden Ansätzen direkter Bekämpfung des Virus und Immunsystemkontrolle stellen wir im Folgenden vor, anschließend gibt es noch einen Überblick über andere Behandlungsoptionen und Faktoren, die einen teils überraschend hohen Einfluss auf den Behandlungsverlauf haben.
Antivirale Therapien:
Medikamente, die eine Vermehrung oder Ausbreitung des Virus bekämpfen
Seit Beginn der Pandemie taucht ein Mittel immer wieder in der Diskussion auf: Remdesivir vom Hersteller Gilead Sciences aus den USA. Remdesivir hemmt unter anderem ein wichtiges Enzym von Sars-CoV-2, die so genannte RNA-Polymerase. Das hat zur Folge, dass die Vervielfältigung des Erbguts – und damit des Virus – erschwert ist.
Remdesivir ist weltweit als Behandlungsoption bei Covid-19 längst im Klinikalltag angekommen. Allerdings ist die Wirkung schwächer als erhofft. »Wir setzen Remdesivir nur noch in wenigen Fällen ein, wenn sich die Krankheit noch in einer frühen Phase befindet«, sagt Kolditz.
Neben Remdesivir werden zahlreiche weitere Medikamente als Mittel gegen Covid-19 erprobt. Die meisten sind schon zur Behandlung anderer Virusinfektionen zugelassen, so etwa das in Japan und China zur Behandlung von Grippe zugelassene Favipiravir von Fujifilm Toyama Chemical, das ebenfalls die virale RNA-Polymerase hemmt.
Nicht bei der Vermehrung, sondern bei der Verbreitung setzt der Wirkstoff APN01 von Apeiron Biologics an. APN01 ist im Grunde das körpereigene Angiotensinkonversionsenzym 2 (ACE2), nur eben biotechnisch hergestellt. Das ist ein Botenstoff, der im Körper vorkommt und offenbar einen schützenden Effekt gegenüber Sars-CoV-2 hat: Unter anderem blockiert ACE2 den ACE2-Rezeptor auf den Viren, das diese zum Eindringen in Lungenzellen brauchen.
Es gibt noch zahlreiche andere Wirkstoffe, die das Virus direkt oder indirekt angreifen oder behindern. Ganz gezielt an das Virus binden etwa Antikörper, ihnen wird im Folgenden ein eigener Abschnitt gewidmet.
Antikörper gegen Sars-CoV-2
Das Wirkprinzip von Antikörpern ist ebenso einfach wie effektiv: Sie binden ganz gezielt an bestimmte Moleküle, etwa solche, die auf der Oberfläche des Virus sitzen. Damit setzen sie das Virus außer Gefecht. Es gibt mehrere Möglichkeiten, Antikörper gegen Sars-CoV-2 zu gewinnen. Man kann zum Beispiel Plasma von Genesenen verabreichen, in dem Antikörper enthalten sind. Oder man stellt die Antikörper im Labor her. Es gibt zudem die Möglichkeit, die genetischen Informationen in Form von mRNA zu verabreichen, damit der Körper die Antikörper selbst herstellt.
Doch leider wirken auch Antikörper vor allem in den frühen Krankheitsphasen, das heißt, in den ersten Tagen nach Symptombeginn. Ausgerechnet sie lassen sich normalerweise nicht einfach einnehmen, wenn man zu Hause ist und den Verdacht hat, an Covid-19 erkrankt zu sein. Das liegt nicht nur am Preis, sondern vor allem daran, dass Antikörper in der Regel intravenös verabreicht werden.
Und wenn die Patienten ins Krankenhaus kommen, ist es oft zu spät. »Es macht nur selten Sinn, den Antikörper jemandem zu geben, der wegen schwerem Covid-19 stationär aufgenommen wurde. Denn dann ist die Krankheit in der Regel zu weit fortgeschritten«, sagt Martin Witzenrath, Stellvertretender Klinikdirektor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin.
So hat etwa der Antikörper Bamlanivimab von Eli Lilly in den USA eine Notfallgenehmigung zur Therapie von leichten und mittelschwerer Covid-19-Erkrankungen erhalten – bei einem schweren Verlauf raten Fachleute allerdings davon ab, den Wirkstoff einzusetzen. Bamlanivimab ist gegen einen Abschnitt des Sars-CoV-2-Spike-Proteins gerichtet, das ist ein Molekül, das auf der Oberfläche des Virus sitzt.
Eine Kombination aus den beiden Antikörpern Casirivimab und Imdevimab von Regeneron ist inzwischen ebenfalls zugelassen – auch hier lediglich für leichte und mittelschwere Infektionen.
Immunmodulierende Therapien:
Dexamethason – richtig eingesetzt, kann es die Sterberate von Covid-19 signifikant senken
Das bekannteste Medikament, um eine überschießende Immunreaktion zu unterdrücken, ist Kortison. Die Substanz Dexamethason gehört zur Gruppe der Kortisone. Sie wird unter anderem bei vielen verschiedenen Autoimmunerkrankungen verabreicht, bei denen sich das Abwehrsystem gegen den eigenen Körper wendet. Weil dies ebenso bei fortgeschrittenen Sars-CoV-2-Infektionen der Fall ist, wirkt bei Covid-19 auch Dexamethason. Und das überraschend gut. »Dexamethason gehört heute zum Therapiestandard bei den meisten schweren Verläufen«, sagt Kolditz.
Allerdings sollte das kortisonartige Präparat sorgfältig gegeben werden. »Ungefähr 80 Prozent der Patienten, bei denen der Verlauf nicht sehr schwer ist, profitieren nicht von Dexamethason. Im Gegenteil, es kann ihnen durch seine die Abwehrkräfte schwächende Wirkung sogar schaden und zum Beispiel andere Infektionen begünstigen«, sagt Martin Witzenrath aus Berlin. Viele der anderen Patienten aber, darunter vor allem diejenigen unter Beatmung, würden von einer Dexamethasongabe spürbar profitieren, das bestätigt auch Witzenrath.
Gezielte Eingriffe in die Entzündungskaskade
Eine überschießende Immunreaktion kann man auch als Entzündung bezeichnen. »Aber Entzündung ist nicht gleich Entzündung«, erklärt Witzenrath. An einer Entzündungsreaktion sind viele verschiedene Arten von Immunzellen und unzählige Botenstoffe beteiligt. Weil viele Reaktionen aufeinander aufbauen, spricht man von einer Kaskade.
Im Lauf der letzten Monate haben Fachleute immer mehr Botenstoffe und Zelltypen ausgemacht, die bei den durch Covid-19 ausgelösten überschießenden Abwehrreaktionen eine wichtige Rolle zu spielen scheinen. So zeigte sich zum Beispiel, dass die Zahl der Makrophagen teilweise deutlich steigt. Makrophagen, auch Fresszellen genannt, sind eine besonders große Zellart des menschlichen Immunsystems, die unter anderem Mikroorganismen und defekte Zellen umschließt und verdaut.
»Die Erfahrung des behandelnden Arztes spielt bei Covid-19 oft eine wesentliche Rolle für eine bestmögliche Therapie«Martin Witzenrath
Derzeit befinden sich viele Wirkstoffe in der klinischen Prüfung, die jeweils an einem bestimmten Teil der Entzündungskaskade angreifen; sie könnten womöglich die überschießende Immunreaktion eindämmen. Unter den Wirkstoffen sind bekannte Mittel, die bereits zur Behandlung anderer Erkrankungen zugelassen sind. Tocilizumab von Roche etwa hemmt den Botenstoff Interleukin-6, Studien zeigen bislang allerdings uneinheitliche Ergebnisse: Während in manchen Untersuchungen die Patienten seltener beatmungspflichtig wurden oder die Todesrate sank, zeigten dagegen andere Untersuchungen keine Verbesserung.
Andere Behandlungsansätze und Einflussfaktoren:
Die richtige Unterstützung der Atmung
Wenn es um die Unterstützung der Atmung geht, spricht Martin Witzenrath von »Eskalationsstufen«. Patienten, die eine Frühphase eines Lungenversagens haben, werden zunächst mit Sauerstoff über die Nase unterstützt. Wenn das nicht mehr ausreicht, kommt eine so genannte High-Flow-Sauerstofftherapie hinzu: Dabei wird ein sehr hoher Luftfluss mit viel Sauerstoff hergestellt, der das – noch selbständige – Atmen etwas erleichtert.
Die vorletzte Eskalationsstufe: Die invasive Beatmung, bei der der Patient nicht mehr selbstständig atmet. Wenn das auch nicht mehr ausreicht, kann in größeren Zentren noch eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) eingesetzt werden: Dabei wird Blut aus dem Körper in eine Maschine gepumpt, dort mit Sauerstoff angereichert, und wieder zurück in den Körper geleitet. Weil damit die Lunge im Grunde fast gar nicht mehr arbeiten muss, kann sich das Organ manchmal besser und schneller erholen.
»Das klingt alles nach einem geordneten Vorgehen, aber in der Praxis kann man hier eine Menge falsch machen, etwa durch einen zu frühen oder zu späten Beginn einer invasiven Beatmung«, erklärt Martin Witzenrath. Daher empfiehlt er, Patienten mit schwerem Verlauf in spezielle Behandlungszentren (siehe nächster Absatz) zu verlegen.
Die Erfahrung der behandelnden Ärzte
Das Krankheitsbild Covid-19 ist im Lauf der letzten Monate für viele Ärzte vertrauter geworden – sie haben praktische Erfahrung in der Behandlung gewonnen. »Die Erfahrung des behandelnden Arztes spielt bei Covid-19 oft eine wesentliche Rolle für eine bestmögliche Therapie«, sagt Witzenrath. In Deutschland wurden mittlerweile fast in allen Regionen Behandlungszentren für Covid-19 eingerichtet – bei einem schweren Verlauf rät Witzenrath dazu, die Therapie hier vorzunehmen.
Die Behandlung der Folgeerkrankungen
Sars-CoV-2 befällt nicht nur die Lunge, es kann im ganzen Körper Schäden verursachen. Medikamente können helfen, diese Folgeschäden jeweils abzumildern. Damit wird zwar die Ursache nicht behandelt, aber zumindest der Krankheitsverlauf kann eingedämmt werden.
Besonders häufig greift Sars-CoV-2 etwa die Gefäße und Gefäßwände an. Die Folge: Das Risiko für eine Gerinnselbildung steigt deutlich. Eine Gerinnselbildung wiederum kann zu tödlichen Komplikationen wie Lungenembolien führen. Vorbeugend wirken hier Medikamente, die die Blutgerinnung hemmen, das sind zum Beispiel Acetylsalicylsäure (ASS) und Heparin. »Wir sehen an den Laborwerten, wie die aktuelle Blutgerinnung ist, und geben dann eine individuelle Dosis an Gerinnungshemmern«, berichtet Kolditz aus dem klinischen Alltag.
Es gibt daneben noch zahlreiche etablierte Medikamente, die teilweise heute schon eingesetzt werden, um Komplikationen durch Sars-CoV-2 zu behandeln, darunter zum Beispiel blutdrucksenkende Mittel oder Medikamente zur Behandlung von durch Covid-19 entstandenen Nierenschäden.
Kombinationstherapien
Manchmal gilt tatsächlich: Mehr hilft mehr. Das können Medikamente mit einem ähnlichen Ansatz sein, etwa die Kombination mehrerer Antikörper, die bereits zugelassen wurde, oder antivirale Substanzen. Witzenrath und Kollegen führen derzeit eine klinische Studie mit einer Kombination zweier antiviraler Medikamente durch.
Auch die Kombination von Mitteln mit ganz verschiedenen Wirkmechanismen kann Erfolg versprechend sein. Bereits im November erteilte die amerikanische Gesundheitsbehörde einer Kombination aus Remdesivir und Baricitinib eine Notzulassung. Baricitinib greift in die Entzündungskaskade ein und wirkt damit hemmend auf ein überschießendes Immunsystem, Remdesivir behindert die Vermehrung des Virus.
»Eine große Zahl an Kombinationstherapien wird in klinischen Studien getestet. Hier könnte es in Zukunft noch die eine oder andere positive Überraschung geben«, sagt der deutsch-amerikanische Virologe Heinz Feldmann, der das Virologielabor der Rocky Mountain Laboratories am US-amerikanischen National Institute of Health leitet.
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