Meeresverschmutzung: Boom bei Schiffen, die unter falscher Flagge fahren
Schiffe transportieren 90 Prozent der weltweit gehandelten Fracht und sind daher für die Weltwirtschaft von entscheidender Bedeutung. Aber wenn Tanker und andere große Schiffe abgewrackt werden, verschmutzt das die Meere enorm. Besonders wenn Menschen sie in Ländern auseinandernehmen, in denen die Umweltvorschriften für Abwrackwerften lax sind.
Die Zahl der Schiffe, die auf andere Nationen als ihr wahres Herkunftsland registriert sind – auch »Billigflaggen« genannt –, ist seit dem Jahr 2002 sprunghaft angestiegen. Das geht aus einer Studie im Magazin »Marine Policy« hervor. Die Taktik ermöglicht es Schiffseignern aus Nationen mit strengen Umweltvorschriften, ihre Schiffe billig abwracken zu lassen – allerdings oft auf sehr umweltschädliche Weise.
Eigentümer in wohlhabenden Nationen, darunter Mitglieder der Europäischen Union sowie die USA, Südkorea und Japan, kontrollieren den Großteil der weltweiten Fracht- und Tankerflotten. Eine Analyse von Abwrackprotokollen zeigt, dass zwischen 2014 und 2018 rund 80 Prozent dieser Schiffe in nur drei Nationen abgewrackt wurden, in denen die Werften schwachen Umwelt-, Arbeits- und Sicherheitsvorschriften unterliegen: Bangladesch, Indien und Pakistan.
Unter Flagge der Komoren und Palau
Demnach sind Billigflaggen in den vergangenen Jahrzehnten zum Standard unter den Geschäftsinhabern in der EU geworden. Strenge EU-Vorschriften verlangen, dass alle in EU-Ländern registrierten Schiffe in von der Europäischen Kommission zugelassenen Werften recycelt werden. Doch wenn Schiffe außerhalb der EU geflaggt sind, können ihre Besitzer die Vorschriften umgehen.
Die Länder sind dafür verantwortlich, internationale und regionale Sicherheits- und Umweltvorschriften für Schiffe durchzusetzen, die unter ihrer Flagge registriert sind. Einige Billigflaggenstaaten tun dies bekanntermaßen nicht. Zwischen 2002 und 2019 ist der Anteil der Schiffe im Besitz von EU-Nationen, die in Ländern mit niedrigem Einkommen registriert sind, von 46 Prozent auf 96 Prozent gestiegen, heißt es in der Studie.
Zwischen 2002 und 2019 verlagerte sich die Spitze der Billigflaggen von Panama und Liberia zu zwei kleinen Inselstaaten, den Komoren und Palau. Diese stellen gegen eine Gebühr Flaggen aus, ohne dass es dafür entsprechende Vorschriften gibt. Indem Eigner ihre Schiffe im Ausland registrieren, können sie zudem Steuern sparen.
Die internationalen Abkommen zum Umweltschutz versagen
Internationale Verträge sind beklagenswert ineffektiv, wenn es darum geht, Umweltunrecht zu verhindern, sagt Studienautor Zheng Wan, ein Verkehrsforscher an der Shanghai Maritime University in China, der die Analyse leitete. Dazu zählt beispielsweise die Basler Konvention von 1992, die verhindern soll, dass gefährlicher Abfälle aus entwickelten in weniger entwickelte Länder gebracht werden. Oder auch die Hongkong-Konvention von 2009 für sicheres und umweltgerechtes Recycling von Schiffen.
Das Abwracken von Schiffen in einkommensschwachen Ländern ist mit hohen Gesundheitsrisiken und schwerer Umweltverschmutzung verbunden. Oft gelangen dabei Quecksilber, Blei, Asbest, ozonschädigende Substanzen und Pestizide in Boden und Meer. Bis zum Jahr 2027 werden einer Schätzung zufolge fast 5000 Arbeiter in Schiffsrecycling-Werften in Indien an Mesotheliom sterben, einem bösartigen Tumor, der durch das Einatmen von Asbest verursacht wird.
»Es ist unmoralisch, wenn Schiffseigner in wohlhabenden Industrieländern Arbeiter in Ländern mit niedrigem Einkommen potenziell ernsthaften Schäden aussetzen«John Cheerie, Gesundheitsforscher
»Durch die Geschäftspraktiken werden viele internationale Verträge und regionale Vorschriften nicht durchsetzbar, weil Billigflaggennationen in der Regel wenig Interesse an einer Regulierung haben«, sagt Wan. »Außerdem wird die Gesundheit der Arbeiter von Ländern mit niedrigem Einkommen, die die Schiffsabwrackung durchführen, immer ignoriert.«
»Es ist unmoralisch, wenn Schiffseigner in wohlhabenden Industrieländern internationale Konventionen umgehen und Arbeiter in Ländern mit niedrigem Einkommen potenziell ernsthaften Schäden aussetzen«, fügt John Cheerie, Gesundheitsforscher am Institute of Occupational Medicine in Edinburgh, Großbritannien, hinzu. »Es ist wichtig, dass die internationale Gemeinschaft dieses Problem angeht und Schlupflöcher beseitigt«, sagt er.
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