Wahrnehmung: Müde erkennen wir andere schlechter
Wer nachts schlecht geschlafen hat, spürt die Auswirkungen sofort – zur lähmenden Müdigkeit gesellen sich Unkonzentriertheit und Gereiztheit, und es fällt schwer, sich Dinge zu merken. Dass ein Mangel an nächtlicher Ruhe die Gedächtnisfunktionen des Gehirns stört, ist Wissenschaftlern bereits gut bekannt. Doch wie Forscher um Louise Beattie von der britischen University of Glasgow nun herausgefunden haben, behindert Schlafmangel nicht nur die Fähigkeit, sich etwas Neues zu merken wie beispielsweise ein unbekanntes Gesicht. Unausgeschlafene Versuchspersonen sind auch schlechter darin, gleichzeitig präsentierte Gesichter miteinander zu vergleichen.
Das Sicherheitspersonal, das am Flughafen Reisepässe kontrolliert, ist tagtäglich mit dieser Aufgabe konfrontiert und muss verdächtige Personen schnell erspähen. Bis zu zehn Jahre alte Passfotos sollen sie mit den Gesichtern der Menschen vergleichen, die vor dem Gepäckscanner Schlange stehen – und das schnell. Dieser so genannte "Reisepasstest", bei dem zwei Gesichter gleichzeitig präsentiert werden, findet sich auch im Glasgow Face-Matching Task (GFMT) wieder, der von Beattie und Kollegen in ihren Tests verwendet wurde.
Im ersten Experiment durchlief eine Gruppe von Probanden mit Insomnie – Ein- und Durchschlafstörungen – ebenso wie eine Gruppe von Probanden ohne Schlafstörungen den GFMT. Dabei wurden 40 Paare von Gesichtern gezeigt, 20 davon zeigten dieselbe Person aus leicht veränderten Blickwinkeln, die restlichen 20 zwei sehr ähnliche Gesichter von unterschiedlichen Personen. Wie von den Versuchsleitern erwartet, schnitten die Teilnehmer mit Schlafstörungen bei dieser Aufgabe schlechter ab als die Probanden aus der Kontrollgruppe.
Dennoch gab es ein überraschendes Element für die Forscher, berichtet David White von der University of New South Wales: "Beunruhigend ist, dass Menschen, die schlecht schlafen können, nicht weniger überzeugt von ihren Entscheidungen waren – obwohl schlechter Schlaf mit einer verringerten Trefferquote einherging." Denn nach jedem vorgelegten Gesichterpaar wurde gefragt, wie sicher die Versuchspersonen in ihrer Entscheidung waren. Bei richtigen Treffern waren beide Gruppen ähnlich selbstbewusst, aber bei inkorrekten Antworten vertrauten die Probanden mit Insomnie viel stärker auf die Richtigkeit ihrer Entscheidung als die Kontrollgruppe.
Im zweiten Experiment mussten die Probanden ein Schlaftagebuch führen und nach der dritten Nacht ins Labor kommen. Die Personen wurden in zwei Gruppen geteilt: jene, die in den letzten drei Nächten jeweils maximal 6,5 Stunden, und jene, die länger geschlafen hatten. Auch hier zeigte sich, dass Menschen mit kürzerer Bettruhe im Vergleich der Gesichter schlechter abschnitten. Und das, obwohl sie sich so viel Zeit für die Aufgabe nehmen konnten, wie sie wollten. Zudem waren sie genauso überzeugt von ihren Entscheidungen wie die ausgeschlafenen Teilnehmer der Kontrollgruppe. "Schlafstörungen sind in der Allgemeinbevölkerung weit verbreitet, besonders bei Arbeitskräften, die in Nachtschichten arbeiten", erklärt Studienleiterin Beattie. "Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass die Leistung im sehr wichtigen 'Reisepasstest' von schlechtem Schlaf beeinflusst wird. Das sollte Polizisten oder Zöllnern zu denken geben."
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