Fledermäuse: Nächtliche Helfer
Fledermäuse helfen gegen schlechte Augen und Zahnschmerzen, Fieber und Haarausfall. Davon waren zumindest die alten Ägypter überzeugt. Über die Tür gehängt, sollten die Tiere genau jene Dämonen vertreiben, die angeblich für solche gesundheitlichen Probleme verantwortlich waren. Und das sind längst nicht die einzigen abstrusen Geschichten, die Menschen über die nächtlichen Jäger erfunden haben. Im mittelalterlichen Europa zum Beispiel galten die Flattertiere als Teufelsboten und wirksame Zutaten für allerlei Hexentränke. Ihre wirklichen Talente aber wurden lange unterschätzt. Wegen ihrer heimlichen Lebensweise und schlechten Reputation haben sie in der ökologischen Forschung bis vor Kurzem eher ein Schattendasein geführt. Statt sich die Nächte um die Ohren zu schlagen, konzentrierten sich Wissenschaftler lieber auf leichter zu beobachtende Tiere wie Vögel oder Bienen. "Erst in letzter Zeit hat sich da die Wahrnehmung verschoben", sagt Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. "Jetzt wird immer deutlicher, dass Fledermäuse in vielen Ökosystemen eine wichtige Rolle spielen."
Geflügelte Strippenzieher, die in den Lebensräumen der Erde aktiv werden können, gibt es schließlich mehr als genug. Immerhin haben Fledermäuse sämtliche Kontinente außer der Antarktis erobert und stellen mit mehr als 1100 bekannten Arten die zweitgrößte Säugetier-Ordnung. Nur die Nager haben es auf eine noch größere Vielfalt gebracht. Vor allem in den Tropen und Subtropen flattern zahlreiche Arten durch die Nacht, die sich den unterschiedlichsten Lebensstilen verschrieben haben. Insektenjäger sind dort ebenso unterwegs wie Vegetarier – und ganz klischeemäßig auch ein paar Vampire, die sich vom Blut anderer Tiere ernähren. Sie alle aber beeinflussen jeweils auf ganz eigene Weise die anderen Pflanzen und Tiere in ihrem Lebensraum. Und davon kann auch der Mensch profitieren.
Insektenfresser helfen bei der Schädlingsbekämpfung
"Insektenfresser dezimieren zum Beispiel sehr deutlich die Bestände ihrer Beutetiere", sagt Christian Voigt. Kein Wunder angesichts der riesigen Schwärme, zu denen sich die nächtlichen Jäger in manchen Regionen zusammenfinden. In der Khao-Chon-Pran-Höhle in Thailand etwa leben rund 2,6 Millionen Freischwanzfledermäuse der Art Tadarida plicata. "Wenn die abends ausfliegen, ist das ein sehr beeindruckendes Schauspiel", weiß der IZW-Forscher aus eigener Erfahrung. Mehr als eine Stunde lang strömt dann ein riesiges Band aus Flattertieren aus der Höhle. Und jedes davon kann in einer Nacht sein eigenes Körpergewicht von 12 bis 15 Gramm an Beutetieren fressen. Da kommen allein im Umfeld dieser Höhle 17,5 Tonnen Insekten pro Nacht zusammen. Auf ganz Thailand hochgerechnet macht das 20 000 Tonnen pro Jahr. Einen ähnlichen Hang zu Massenveranstaltungen hat auch eine verwandte Art in Nordamerika, die Mexikanische Bulldog-Fledermaus(Tadarida brasiliensis). Geschätzte hundert Millionen dieser Tiere leben in Höhlen im Norden Mexikos und im Süden der USA. Ihrem gewaltigen Appetit fallen nicht nur Insekten aus ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zum Opfer. Da sie für ihre Beutezüge bis in 3000 Meter Höhe aufsteigen und in einer Nacht mehr als 100 Kilometer zurücklegen können, erwischen sie auch Insektenschwärme, die über größere Entfernungen wandern.
Schon lange haben Wissenschaftler den Verdacht, dass der Hunger der nächtlichen Jäger für die Landwirtschaft bares Geld ist. Schließlich stehen auf dem Fledermaus-Speiseplan auch zahlreiche Arten, die sich als Schädlinge unbeliebt gemacht haben. Schätzungen zufolge sparen die Landwirte im Südwesten der USA allein durch die Aktivitäten der Bulldog-Fledermäuse jedes Jahr eine halbe Million Dollar für Pestizide ein. Insgesamt sollen die Insektenfänger in den USA jährlich Leistungen von mehr als drei Milliarden Dollar erbringen. "Auch in Thailand tragen sie viel zur Schädlingsbekämpfung bei", sagt Christian Voigt. Schließlich ist Tadarida plicata eine Gegenspielerin von etlichen Spitzkopfzikaden, die in manchen Jahren zu Massenentwicklungen neigen und als Reisschädlinge gefürchtet sind.
Was genau können die ortsansässigen Fledermäuse dagegen ausrichten? Um das besser einschätzen zu können, haben Thomas Cherico Wanger von der Stanford University und seine Kollegen Daten über Fledermausbestände, deren Aktivitätsräume und die Zahl der erbeuteten Insekten, über Reisfelder und deren Ertrag sowie über das Vorkommen und die Schadwirkung einer Spitzkopfzikade namens Sogatella furcifera zusammengetragen. Alle diese Informationen haben sie dann in ein Computermodell eingespeist. Demnach verhindern die fast acht Millionen Fledermäuse Thailands im Durchschnitt pro Jahr einen Verlust von fast 3000 Tonnen Reis im Wert von mehr als 1,2 Millionen Dollar. Damit schützen sie wahrscheinlich Nahrung für 26 000 Menschen. Und das seien noch konservative Schätzungen, betonen die Forscher. Schließlich dezimieren die Tiere auch noch andere Schädlinge wie die Spitzkopfzikade Nilaparvata lugens, die bei einer Massenentwicklung im Jahr 1990 immerhin 200 bis 240 Millionen Dollar Schaden in Thailands Reiskulturen angerichtet hat.
Fledermäuse retten Maisernte
Den Wert der fliegenden Schädlingsbekämpfer für den Maisanbau haben Wissenschaftler inzwischen nicht nur berechnet, sondern sogar in einem Experiment nachgewiesen. Dazu haben Josiah Maine und Justin Boyles von der Southern Illinois University in Carbondale sechs Versuchsflächen in den Maisfeldern von Illinois nachts mit grobmaschigen Netzen überspannt und so die Fledermäuse, nicht aber die Insekten ausgesperrt. Daraufhin machten sich dort 59 Prozent mehr gefräßige Larven des Baumwollkapselbohrers (Helicoverpa zea)über die Pflanzen her als auf Feldern ohne Netz. Entsprechend registrierten die Forscher dann auch 56 Prozent mehr beschädigte Körner pro Maiskolben. Solche Insektenattacken aber ebnen auch den Weg für Infektionen mit gefährlichen Pilzen wie dem Schimmelpilz Aspergillus flavus und Fusarium graminearum, die giftige und Krebs erregende Substanzen wie Aflatoxin und Fumonisin produzieren. Tatsächlich fanden sich auf den fledermausfreien Flächen deutlich mehr Kolben mit Pilzbefall und höhere Fumonisin-Konzentrationen. Da weltweit mehr als eine Milliarde Tonnen Mais pro Jahr produziert wird, kann sich eine solche Leistung auch wirtschaftlich durchaus sehen lassen. Die Forscher schätzen den Wert der Insektenvernichtung durch Fledermäuse allein für den Anbau dieser Ackerfrucht auf mehr als eine Milliarde Dollar. Und dabei ist der indirekte Nutzen durch die Unterdrückung des Pilzwachstums noch gar nicht eingerechnet.
Auch für andere Zweige der Landwirtschaft sind Fledermäuse durchaus interessante Verbündete. Bea Maas von der Universität Wien und ihre Kollegen haben zum Beispiel sowohl den Fledermäusen als auch den tagaktiven Vögeln den Zugang zu Kakaoplantagen in Indonesien versperrt. Daraufhin wurden nicht nur die Pflanzen fressenden Insekten häufiger, auch die Früchte entwickelten sich schlechter – was am Ende zu fast einem Drittel weniger Ernte führte. "Für die europäische Landwirtschaft gibt es solche Untersuchungen noch nicht", sagt Christian Voigt. Er vermutet ähnliche Effekte aber auch bei Raps und etlichen anderen hier zu Lande wichtigen Ackerfrüchten. In deutschen Wäldern zumindest räumen die nächtlichen Jäger unter den krabbelnden Pflanzenfressern kräftig auf. Das haben Stefan Böhm von der Universität Ulm und seine Kollegen bei einem weiteren Experiment mit Netzen herausgefunden. Sie haben die Kronen von Stieleichen auf der Schwäbischen Alb und im Nationalpark Hainich in Thüringen gegen die Besuche von Fledermäusen und Vögeln abgeschirmt und zwischen Juli und Oktober dreimal die Schäden an den Blättern ermittelt. In allen Fällen wiesen diese Bäume eine größere beschädigte Blattfläche und mehr Löcher pro Blatt auf als Vergleichsbäume ohne Netz. Besonders stark setzten die knabbernden Vegetarier den Eichen auf der Schwäbischen Alb zu – und das, obwohl der Hainich mit seinem wärmeren und trockeneren Klima eigentlich die insektenfreundlicheren Bedingungen bietet. Dafür leben im dortigen Nationalpark allerdings auch mehr Fledermäuse und Vögel, was den Bäumen offenbar das Leben leichter macht.
Dünger aus dem Darm
Eine pflanzenfreundliche Wirkung entfalten die nächtlichen Jäger allerdings nicht nur beim Fressen, sondern auch beim Verdauen ihrer Beute. Der Kot von Fledermäusen wird etwa in Thailand oder Ägypten bis heute als Dünger genutzt, früher war das mancherorts sogar ein echter Industriezweig: Allein zwischen 1903 und 1923 haben Firmen mindestens 100 000 Tonnen dieses so genannten Guanos aus den Carlsbad-Höhlen in New Mexico geholt, die vor allem der Obstproduktion in Kalifornien zugutekamen. Doch nicht nur der Mensch macht sich die stickstoffreiche Substanz zu Nutze. So ist bekannt, dass in Fledermaushöhlen ganze Nahrungsnetze auf Guano basieren. Etliche Tiere wie der Höhlen-Salamander (Eurycea spelaea) ernähren sich entweder direkt davon oder stellen anderen Kotfressern nach.Und auch in Baumhöhlen entfaltet er eine erstaunliche Wirkung, haben Christian Voigt und seine Kollegen in einem atlantischen Tiefland-Regenwald in Costa Rica herausgefunden. Dort wächst die imposante Waldmandel (Dipteryx panamensis), deren Äste über das Kronendach hinausragen und an deren Stammbasis oft große Löcher klaffen. "Die aber sind sehr beliebte Quartiere für viele verschiedene Fledermausarten", erklärt Christian Voigt. Die Tiere nutzen diese Höhlen nicht nur als Schlafplatz für den Tag, sondern auch als Toilette. Kann also der Baum vielleicht von den Nährstoffen profitieren, die seine Bewohner fallen lassen? Um das herauszufinden, hat sich das IZW-Team auf die Spur des Stickstoffs gesetzt. Im Fledermauskot reichert sich von Natur aus eine schwerere Variante dieses Elements an, die Chemiker als N-15 bezeichnen. Mit ihrer Hilfe kann man daher verfolgen, wo die Nährstoffe aus dem Guano landen. Allerdings erlebten die Forscher bei ihren Analysen zunächst einmal eine Enttäuschung: Die Erde in den Fledermaushöhlen enthielt nicht mehr N-15 als die im Umkreis des Baums. Mussten sie also die Theorie von den düngenden Flattertieren zu den Akten legen?
Ein weiterer Versuch bestätigte diese Befürchtung nicht. Wenn die Tiere nämlich in künstlichen Quartieren lebten und verdauten, fanden sich am Boden durchaus auch ihre Nährstoffspuren. "Offenbar wird der Stickstoff in einem lebenden Baum so rasch abtransportiert, dass er sich erst gar nicht in der Höhle ansammelt", schließt Christian Voigt. Feine Wurzeln scheinen ihn aufzunehmen und über den Stamm bis in die Krone zu transportieren. Die Forscher konnten diesen Weg sogar bis in die Samenschalen der Waldmandeln verfolgen: Stammten diese von Bäumen mit Fledermaushöhlen, enthielten sie deutlich mehr N-15 als bei Exemplaren ohne flatternde Bewohner. Als besonders effektive Düngerproduzenten haben sich dabei die Vampirfledermäuse erwiesen, die vom Blut anderer Tiere leben. "Die fressen eine sehr proteinreiche Nahrung und haben daher mehr Stickstoff im Kot", erklärt Christian Voigt. Den tragen sie von ihren "Restaurants" auf den außerhalb gelegenen Viehweiden in ihre Schlafquartiere im Wald und wirken so als fliegende Nährstofftransporteure. "In manchen Bäumen versammeln sich Hunderte dieser Tiere, die den Boden ihrer Höhle mit einer schwarzen Pfütze aus verdautem Blut bedecken", berichtet der IZW-Forscher. Dieser Stickstoffschub kann gerade für die Bäume der Tropen sehr nützlich sein. Denn in den dortigen Böden sind für das Pflanzenwachstum wichtige Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor chronisch knapp. Die Forscher vermuten daher, dass in tropischen Wäldern auch viele andere große Baumarten mit Höhlen in den Stämmen von den Diensten der Flattertiere profitieren.
"Für die Bäume in Deutschland gilt das wahrscheinlich eher nicht", meint Christian Voigt. Denn zum einen sind die hiesigen Böden deutlich nährstoffreicher als die der Tropen, ein zusätzlicher Düngerschub bringt da nicht so große Vorteile. Vor allem aber leben die mitteleuropäischen Fledermäuse meist nicht in Öffnungen an der Basis des Stamms, sondern in Spechthöhlen weiter oben. Dort aber hat der Baum keine Wurzeln, mit denen er den Stickstoff aufnehmen könnte.
Fledermäuse verbreiten Samen und bestäuben Pflanzen
Überhaupt scheinen die Leistungen der tropischen und subtropischen Flattertiere vielfältiger zu sein als die ihrer Kollegen in gemäßigten Breiten. Das liegt daran, dass dort neben Insektenjägern auch zahlreiche Vegetarier unterwegs sind. Rund 250 Arten fressen Früchte oder Nektar von mehr als 500 Bäumen und Sträuchern. In Afrika und Asien haben sich die Flughunde auf diesen Lebensstil spezialisiert, in der Neuen Welt die Blattnasen-Fledermäuse. Wenn so ein Tier den Magen voller Früchte hat, fliegt es oft weite Strecken, bevor es die Reste seiner Mahlzeit wieder ausscheidet. Deshalb sind Fledermäuse wichtige Samenverbreiter. Sie sorgen sehr effektiv dafür, dass Jungpflanzen auch in großer Entfernung von ihrem Mutterbaum keimen können. Flughunde zum Beispiel verteilen nicht nur Mangosamen in der Landschaft. Rund ein Drittel der wirtschaftlich wichtigen Hölzer Afrikas gehören zu Gattungen, die auf die Dienste dieser nächtlichen Obsternter setzen. Vor allem in der Neuen Welt tragen Fledermäuse sogar dazu bei, dass auf gerodeten Flächen schneller wieder Wald wächst. Denn viele Blattnasen haben ein Faible für die Früchte von Pionierpflanzen, etwa aus den Gattungen der Feigen oder der Ameisenbäume.
Andere flatternde Vegetarier zeigen dagegen ein besonderes Talent für die Bestäubung von Pflanzen. Schließlich können sie große Mengen Pollen über weite Entfernungen tragen. Die Blüten, die sich auf diese Besucher eingestellt haben, öffnen sich meist in der Dämmerung. Sie sind in der Regel groß und produzieren viel Nektar, typisch sind auch eine weiße oder blassgelbe Farbe und ein moschusartiger Duft. Die zugehörigen Fledermäuse haben meist lange, schmale Schnauzen, zierliche Kiefer, relativ wenige Zähne und lange Zungen. Eine der wirtschaftlich wichtigsten Arten in dieser Gruppe ist der Höhlen-Langzungen-Flughund(Eonycteris spelaea) in Südostasien. Der bestäubt nämlich die Durian-Bäume, deren melonengroße Früchte in der Region hoch geschätzt und teuer gehandelt werden – ein Millionen-Geschäft, das ohne die Kooperation des nächtlichen Blütenbesuchers nicht funktionieren würde. Genauso wenig wie die Tequilaproduktion in Mittelamerika. Denn dafür braucht man den Saft von Agaven, die von verschiedenen Blütenfledermäusen bestäubt werden. "Man darf Tiere natürlich nicht nur nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen beurteilen", betont Christian Voigt. Für den Schutz von Fledermäusen aber gibt es schon aus rein ökonomischer Sicht Gründe genug. Auch wenn sie nicht gegen Fieber und Haarausfall helfen.
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