Direkt zum Inhalt

Teilchenphysik: Nun schrumpft auch das Deuteron

Die Größe des Protons gibt Physikern bereits seit geraumer Zeit Rätsel auf: Neue Messungen hatten ergeben, dass das Teilchen offenbar über einen kleineren Radius verfügt als bislang gedacht. Jetzt ermittelten Forscher auch abweichende Werte für schwere Wasserstoffkerne, in denen noch ein Neutron hinzukommt – und suchen nach einer Ursache für die Diskrepanz.
Präzise Lasermessung

Mittlerweile haben sie schon den zweiten Atomkern geschrumpft: Ein internationales Forscherteam hat sich mit einer neuen Methode nach dem Proton, also dem Kern des Wasserstoffatoms, nun auch den nächstschwereren Atomkern vorgenommen und dessen Radius bestimmt. Wie zuvor maßen sie auch dieses Mal einen Wert, der signifikant unter dem liegt, der seit Jahren in der Literatur festgeschrieben steht. Das wirft grundlegende Fragen zur Gültigkeit der früheren Werte auf – und könnte zu Korrekturen bei Naturkonstanten führen oder sogar auf neue physikalische Kräfte hinweisen.

Das Proton ist Bestandteil aller Atomkerne. Im einfachsten Fall – dem des Wasserstoffs – besteht der gesamte Kern nur aus einem einzigen Proton. Beim zweitleichtesten Kern gesellt sich ein Neutron zu ihm. Das Ergebnis bezeichnet man als Deuteron, der Kern des schweren Wasserstoffs beziehungsweise des Deuteriums. Bei früheren Messungen hatte man die winzigen Radien der Deuteronen mit Hilfe von Elektronen ermittelt. Bei den neuen hingegen nutzten die Wissenschaftler Myonen, die schweren und instabilen Schwesterteilchen der Elektronen.

Versuche mit myonischem Deuterium

Das Komplizierte daran: Die Myonen leben nur zwei millionstel Sekunden. Innerhalb dieser Zeit müssen die Forscher die Myonen einfangen, abbremsen, auf das Ziel bringen, mit den Protonen und Deuteronen reagieren lassen und schließlich ihre Messungen durchführen. Doch die Vorteile sind erheblich: Da Myonen sehr viel schwerer als Elektronen sind, bewegen sie sich viel näher am Atomkern und sind deshalb weitaus bessere Sonden für die Größe von Atomkernen. Schießt man Myonen auf normale Atome, können sie die Elektronen verdrängen und ihren Platz einnehmen, bevor sie wieder zerfallen. Man spricht dann von myonischem Wasserstoff oder myonischem Deuterium. Messungen an diesen künstlichen Atomen eignen sich sehr gut, um die Größe der Atomkerne zu bestimmen. Genau dies hatten die Forscher vor einigen Jahren getan und dabei einen überraschend kleinen Protonenradius ermittelt. Nun zeigt sich, dass auch der Wert beim Deuteron viel kleiner ist als gedacht.

Experimentierhalle am Paul Scherrer Institut | Blick in die Experimentierhalle, in der das Experiment zur Deuterongröße durchgeführt wurde.

Für die neuen Messungen konnten die Forscher dieselbe Apparatur am Schweizer Paul Scherrer Institut nutzen, die auch in der Vorgängerstudie zum Einsatz kam. Die Einrichtung stellt den weltweit besten Myonenstrahl zur Verfügung. »Wir haben nur Deuterium statt normales Wasserstoffgas eingefüllt und den Laser auf eine neue Wellenlänge eingestellt. Das war in wenigen Stunden geschehen«, sagt Studienautor Randolf Pohl, der inzwischen an der Universität Mainz forscht.

Mit den neuen Daten dürften auch Zweifel an eventuellen Messfehlern ausgeräumt werden. Denn die Ergebnisse passen zu früheren, indirekten Messungen der Differenz zwischen den Radien von myonischem Wasserstoff und Deuterium.

Naturkonstante auf dem Prüfstand

Doch warum sind beide Kerne so viel kleiner? Die endgültige Lösung für dieses Rätsel wird wohl noch auf sich warten lassen. Es gibt aber bereits Indizien, die für eine Korrektur der Rydberg-Konstante sprechen, die für alle atomaren Messungen eine entscheidende Rolle spielt. Denn die mit extremer Präzision bestimmte Rydberg-Konstante – sie ist die am genauesten bekannte Naturkonstante überhaupt – müsste nur um einen winzigen Betrag geändert werden, um die Diskrepanz zwischen den alten und den neuen Erhebungen zu erklären.

»Am wahrscheinlichsten ist die Rydberg-Konstante in der elften Nachkommastelle falsch«, erläutert Pohl. Eine Korrektur würde sowohl bei den Protonen als auch bei den Deuteronen die verschiedenen Messmethoden wieder in Einklang bringen. Dann hätte man über die Jahre auf Grund der nur minimal falsch ermittelten Konstante den Radius von Proton und Deuteron ein bisschen zu groß eingeschätzt.

Dass die Rydberg-Konstante falsch festgelegt wurde, könnte wiederum mehrere Ursachen haben. Weitere Messungen sollten helfen, dieses Problem besser einzugrenzen. Mit der Rydberg-Konstante müsste man aber wohl auch andere Naturkonstanten leicht ändern.

Eine neue Physik?

Sollten künftige Messungen und theoretische Prüfungen allerdings den Literaturwert der Rydberg-Konstante bestätigen, stünden die Wissenschaftler tatsächlich vor einem Rätsel. Es bestünde die – zwar noch rein hypothetische, aber dennoch sehr spannende – Chance, dass sich hier eine bislang völlig unbekannte Naturkraft bemerkbar macht, die aus welchen Gründen auch immer bislang nie aufgefallen ist. Für eine solche Überraschung mit »neuer Physik«, wie Wissenschaftler dies nennen, spricht eine weitere ungeklärte Diskrepanz.

So ist seit 15 Jahren bekannt, dass das Myon ein unerwartetes magnetisches Moment besitzt, das nicht so recht in die heutige Theorie passt. Zwar würde man nicht wegen einer einzigen solchen Anomalie gleich eine neue Kraft postulieren – die Erklärung könnte ja auch hier in theoretischen oder experimentellen Schwierigkeiten liegen. »Aber die Messungen an den myonischen Deuteronen passen perfekt auf eine solche neue Kraft«, so Pohl. Man darf gespannt bleiben, was weitere Versuche bringen – und ob die Magerkur bei den Atomkernen sich auch bei Helium und anderen Elementen fortsetzt.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.