Objekt des Monats: Kosmischer Nachwuchs
Wenn ein Roter Riesenstern das Ende seines Lebens erreicht hat, wird sein ausgebrannter Kern allmählich freigelegt: Intensive Sternwinde bilden um den heißen Rumpf eine Hülle aus Gas und Staub. Die energiereiche Strahlung des heißen Kerns ionisiert das kühlere Gas der Hülle und regt sie zum Leuchten an. So entsteht im Lauf von mehreren hunderttausend Jahren ein Planetarischer Nebel. Einer der größten Vertreter dieser Klasse ist NGC 7008 im Sternbild Schwan. Seine ungewöhnliche, detailreiche Form trug ihm eine ganze Reihe von englischen Eigennamen ein, die allesamt erst in der jüngeren Vergangenheit aufkamen: Embryo Nebula, Fetus Nebula oder Coat Button Nebula (deutsch: Mantelknopfnebel). Auf Grund des untypischen Erscheinungsbilds hat auch keiner der großen historischen Beobachter NGC 7008 als Planetarischen Nebel eingestuft. Das tat erstmals der US-amerikanische Astronom Francis G. Pease (1881 – 1938), der eine Fotoplatte untersuchte, die im Jahr 1914 am 60-Zoll-Reflektor des Mount Wilson Observatory aufgenommen worden war.
NGC 7008 steht knapp zehn Grad nordnordöstlich des hellen Sterns Deneb (Alpha Cygni) im nordöstlichen Teil des Sternbilds Schwan, nahe der Grenze zum Kepheus. Mit den Koordinaten 𝛼 = 21h 00,6m, 𝛿 = +54° 33' liegt er am Nordrand der Milchstraße (siehe »Versteckt im Schwan«), rund sieben Grad westnordwestlich des 4,7 mag hellen Sterns Pi1 Cygni. Da der Nebel für den kleinen Sucher eines Teleskops zu lichtschwach ist, bedarf es beim Aufsuchen einer guten Sternkarte. Mit deren Hilfe muss man die betreffende Stelle zunächst identifizieren und mit mindestens 20-facher Vergrößerung im Teleskop absuchen.
Schon länger bekannt
Als William Herschel den Nebel am 14. Oktober 1787 entdeckte, beschrieb er ihn als »ziemlich hell« und von »unregelmäßigem Umriss«. Im Jahr 1829 beobachtete ihn dann sein Sohn John, der vermerkte: »[…] auflösbar; er scheint zwei Nuklei oder Punkte größter Verdichtung aufzuweisen; er berührt einen schönen Doppelstern.« John Herschel katalogisierte diesen Doppelstern, der unmittelbar südlich der knapp 90 Bogensekunden großen Nebelscheibe steht, als h 1606. Der 9,5 mag helle Hauptstern hat eine orange Farbe; sein zwei Größenklassen schwächerer Begleiter hält einen Abstand von 18 Bogensekunden bei einem Positionswinkel von 195 Grad. Lord Rosse (1800 – 1867) verzeichnete seinerzeit drei eingebettete Sterne und mehrere helle Knoten, deren hellster am nördlichen Rand des Nebels liegt.
Und in der Tat: Der hellste Bereich in der Nebelscheibe von NGC 7008 ist eine 11 × 8 Bogensekunden messende, in Ost-West-Richtung ausgedehnte Region am Nordrand. Eine interessante Anekdote sei in diesem Zusammenhang erwähnt: Ein anderer, nur 5 Bogensekunden großer Knoten, 22 Bogensekunden westnordwestlich des Zentralsterns, wurde im Jahr 1967 von Luboš Perek und Luboš Kohoutek als eigenständiger Planetarischer Nebel in ihrem Katalog gelistet und erhielt die Bezeichnungen PK 93+5.1 und K 4–44. Die französischen Astronominnen Marguerite Chopinet und Marie-Claire Lortet-Zuckermann argumentierten jedoch bereits 1976, dass es sich hierbei lediglich um eine Verdichtung in NGC 7008 handelt, was sich seitdem bestätigt hat.
Jung und kompakt
Die mit dem Astrometriesatelliten Gaia bestimmte Entfernung von NGC 7008 zur Erde beträgt etwa 2100 Lichtjahre. Allerdings sind solche Messungen notorisch schwierig, weil das Licht der Nebelhülle sie beeinträchtigt. Der visuell erkennbare Teil wäre demnach ungefähr 0,9 Lichtjahre groß und – nach dem kompakten Aussehen zu urteilen – ein eher jüngeres Objekt, das kinematisch betrachtet nur wenige tausend Jahre alt ist. Auf Grund der Messunsicherheit mag die tatsächliche Entfernung, und damit die physische Ausdehnung und das Alter, etwas größer sein. Für eine junge und somit kompakte Nebelhülle spricht die Tatsache, dass trotz der interstellaren Absorption – also der Abschwächung und Rötung des Lichts durch Gas und Staub – noch deutlich Einzelheiten zu erkennen sind (siehe »Detailreiche Hülle«). Und diese führen uns zu dem bereits erwähnten ungewöhnlichen Anblick des Planetarischen Nebels.
Anblick im Teleskop
Bei 20-facher Vergrößerung an einem 13-Zentimeter-Refraktor offenbart sich NGC 7008 bereits als winzige Scheibe, die jedoch schwieriger zu sehen ist, als man auf Grund ihrer Helligkeit von 9,8 mag vermuten würde. Das liegt zum einen an der für Planetarische Nebel eher moderaten Flächenhelligkeit von 11,0 mag pro Quadratbogenminute, aber hauptsächlich an der hellen und nahe stehenden Primärkomponente des Doppelsterns h 1606. Das Wechseln auf eine 55-fache Vergrößerung macht die Sekundärkomponente sichtbar, und die Scheibe von NGC 7008 nimmt eine sichelförmige Gestalt an, die nach Osten hin geöffnet ist. Der nördliche Rand erscheint am hellsten (siehe »Visueller Eindruck von NGC 7008«). Der 13,2 mag helle Zentralstern von NGC 7008 ist ebenfalls sichtbar. Man kann ihn leicht für einen Hinter- oder Vordergrundstern halten, weil er deutlich aus dem optischen Zentrum des Nebels verschoben ist und sich im westlichen Ringabschnitt befindet.
Eine 150-fache Vergrößerung erweist sich am 13-Zentimeter-Teleskop von Michael Fritz als optimal. NGC 7008 erscheint nun als unvollständiger Ring, dem der Südostquadrant fehlt. Das könnte durch eine im schrägen Aufblick davor liegende, dunklere Region verursacht sein. Dem fantasiebegabten Beobachter ergibt sich dadurch die besagte Idee eines zusammengerollten Embryos. Eine höhere Vergrößerung ist selbst beim Verwenden eines Nebelfilters nicht mehr sinnvoll möglich.
Neben der Aufhellung im Norden des Rings ist eine weitere südlich des Zentralsterns zu sehen, im südwestlichen Ringsegment. Die erwähnte Verdichtung K 4–44 von Perek und Kohoutek konnte von Michael Fritz nicht erkannt werden; dafür ist eine Öffnung von mehr als 13 Zentimetern erforderlich. Ein 14 mag heller Stern ist im nordöstlichen Teil des Nebels eingebettet, und ein schwächerer Stern von etwa 14,5 mag steht 1,1 Bogenminuten westlich von seinem Zentrum, schon deutlich außerhalb des Rings. Einige Beobachter haben das Aussehen von NGC 7008 auch mit einem Tropfen, einem Ei, einer Parabel oder einem Hufeisen verglichen. Was erkennen Sie? Das Ultraschallbild eines Embryos oder vielleicht einen Mantelknopf?
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