Pflanzenkrankheiten: Orangen am Abgrund?
In Florida und Brasilien sterben die Orangenbäume. Und nicht nur dort – weltweit breitet sich inzwischen ein tödliches Bakterium aus, das in Zitruspflanzen eindringt und sie buchstäblich aushungert. Huanglongbing, Gelbe-Trieb-Krankheit, heißt der Schädling, der schon im 18. Jahrhundert in Indien Zitrusplantagen verwüstete. HLB ist eine der zerstörerischsten Krankheiten für diese Südfrüchte überhaupt. Verbreitet durch Welthandel, wird die Infektion nun zu einem Problem aller Anbauländer.
Bisher verheerte die Krankheit vor allem südostasiatische Staaten wie Thailand, wo die Seuche seit den 1960er Jahren wütet. Statt jahre- oder jahrzehntelang Früchte zu tragen, werfen befallene Haine dort nur wenige Jahre Profit ab, bevor sie Huanglongbing (HLB) zum Opfer fallen. Der mittlere Hektarertrag liegt bei weniger als einem Drittel dessen, was ohne HLB möglich ist. Experten schätzen, dass die Krankheit weltweit inzwischen 100 Millionen Zitruspflanzen dahingerafft hat. Betroffen waren bisher vor allem die tropischen und subtropischen Regionen Asiens, aber das ändert sich jetzt.
Feind auf dem Vormarsch
Dieses Verhängnis droht nun auch Orangenbauern in anderen Weltregionen, seit 2004 und 2005 die ersten infizierten Pflanzen in Brasilien und Florida auftraten, die zu den bedeutendsten Anbaugebieten der Welt gehören. Speziell in Florida ist die Zitrusanbaufläche seither rückläufig. Schätzungen gehen davon aus, dass die Krankheit allein dort jährlich einen wirtschaftlichen Schaden von über 500 Millionen Dollar verursacht – und HLB breitet sich weiter in der Region aus, seit 2009 etwa nach Mexiko und Kalifornien.
Wissenschaftler vermuten, dass die Krankheit ursprünglich aus Afrika stammt und dort schon sehr lange mit einer mit den Zitrusgewächsen verwandten Pflanze koexistiert. Übergesprungen auf Zitrusfrüchte ist der Erreger wahrscheinlich allerdings erst vor evolutionär relativ kurzer Zeit – HLB ist zu tödlich und zu aggressiv, um älter als ein paar Jahrhunderte zu sein, ansonsten wären die Zitrusfrüchte entweder resistent geworden oder ausgestorben. Vermutlich übertrug vor etwa 500 Jahren ein Insekt die Krankheit auf Zitruspflanzen einer europäischen Siedlung in Ostafrika. Von dort gelangte sie erst nach Indien, wo schon Quellen aus dem 18. Jahrhundert von den typischen Symptomen der Infektion berichten.
Im Jahr 1956 zeigte der chinesische Pflanzenforscher Lin Kung Hsiang, dass es sich bei HLB um eine Infektionskrankheit handelt, indem er den damals unbekannten Erreger durch Aufpfropfen infizierter Pflanzenteile auf gesunde Bäume übertrug. Im Zuge dieser Experimente erkannte er auch, dass die Krankheit offenbar durch einen Vektor übertragen wird. Zehn Jahre später entdeckten Wissenschaftler in Südafrika bei der Erforschung einer dort unter dem Namen Greening bekannten Zitrusseuche, dass ein pflanzensaftsaugendes Insekt das Syndrom von Baum zu Baum trug, und im darauf folgenden Jahr zeigten mehrere Forscher anhand der Gemeinsamkeiten von Greening, Huanglongbing und anderen regional bekannten Zitruskrankheiten, dass es sich um eine einzige Krankheit handelt, die in weiten Regionen des Globus Obstplantagen verheert. Weitere Forschungen belegten zudem, dass Huanglongbing in zwei Formen vorkommt: der afrikanischen Variante, die kühleres Klima bevorzugt, und der hitzetoleranten asiatischen Form, die sich derzeit in Amerika ausbreitet.
Insekten tragen den Parasit weiter
Ursprünglich vermuteten Wissenschaftler ein Virus hinter der Plage, doch inzwischen gilt das Bakterium Liberibacter als Auslöser der Krankheit. Der Erreger infiziert das Phloem der Pflanzen – den Teil der Leitbündel, in dem Zucker und Aminosäuren aus den Blättern zu den anderen Pflanzenteilen transportiert werden. Durch die Infektion sterben Teile des Gewebes ab, und der Fluss der Nährstoffe kommt teilweise zum Erliegen – in den Organellen sammelt sich Stärke an und die Blätter nehmen ein unregelmäßiges, fleckiges Erscheinungsbild an. Einzelne Triebe verfärben sich gelb, und die Früchte infizierter Pflanzen bleiben klein und unregelmäßig geformt. Die ökonomischen Folgen der Seuche sind erheblich, denn die befallenen Bäume sterben innerhalb von drei bis fünf Jahren.
Von Baum zu Baum gelangt das Bakterium mit Hilfe parasitärer Insekten, Blattflöhe der Arten Diaphorina citri, die bevorzugt asiatisches HLB überträgt, und Trioza erytreae, den Vektor der afrikanischen Variante der Krankheit. Allerdings können die etwa drei bis vier Millimeter langen Insekten, die als Larve und adultes Tier vom Pflanzensaft verschiedener Zitrusgewächse leben, nachweislich jeweils beide Varianten des Erregers übertragen.
Kostspielige Bekämpfung
Züchter verfolgen heute eine Dreifachstrategie gegen Bakterium und Insekten: Zum einen muss sichergestellt werden, dass Jungbäume frei von HLB sind. Zusätzlich bekämpfen sie die Überträger des Erregers mit großen Mengen Pestiziden, und drittens müssen sie befallene Bäume sofort entfernen. Diese Strategie hat sich besonders in den großen Anbaugebieten Brasiliens bewährt, sie funktioniert jedoch nur so lange, wie der Anteil der befallenen Bäume niedrig bleibt.
Zusätzlich ist der Ansatz für die Farmer sehr kostspielig, denn er erfordert, dass befallene Pflanzen sofort vernichtet werden, damit sie Liberibacter nicht als Reservoir und Sprungbrett für seine weitere Verbreitung dienen können. Deswegen sind viele Züchter in Florida dazu übergegangen, die Symptome zu behandeln, indem sie eine Nährstofflösung auf die Blätter sprühen, um den unterbrochenen Transport durch die Leitbündel zu ersetzen. Wie lange sich das Verhängnis auf diese Weise herauszögern lässt, ist bislang unbekannt – und die infizierten Bäume helfen dem Erreger, sich weiter zu verbreiten.
Experten sehen dieses Verfahren deswegen sehr kritisch, denn über kurz oder lang wären dann alle Bäume einer Plantage befallen. "Wir glauben nicht, dass die Zitrusindustrien in Florida oder Brasilien ökonomisch überleben können, wenn 100 Prozent der Bäume von HLB betroffen sind", schrieb 2011 eine Gruppe von Agrarwissenschaftlern im Branchenblatt "Citrus Industry". Das ist eine bedrohliche Perspektive, denn bisher gibt es schlicht kein Gegenmittel gegen Liberibacter. Tatsächlich ist bisher nicht einmal streng nachgewiesen, dass Liberibacter tatsächlich der Erreger der Krankheit ist – dazu müsste man ihn in Kultur vermehren, was bisher noch nicht gelungen ist. Und auch in der Praxis ist die Krankheit wegen ihrer langen Inkubationszeit und der schwierig zu stellenden Diagnose nur sehr schwer unter Kontrolle zu halten.
Europa im Fadenkreuz
Da die Krankheit prinzipiell überall auf der Welt auftauchen kann, zittern nun auch die Europäer – aus dem Mittelmeerraum stammen heute schließlich die meisten nach Deutschland importierten Zitrusfrüchte. Bisher ist die Region noch frei von Huanglongbing.
"Die Situation im Mittelmeerraum unterscheidet sich von der in den Ländern, in denen HLB jüngst aufgetreten ist", erklärt Leandro Peña vom Institut für Agrarstudien in Valencia. In Brasilien und Florida sei der Vektor schon seit Jahren verbreitet und habe deswegen die Krankheit verbreiten können, sobald sie auf den Kontinent gelangte. Dagegen gebe es im Mittelmeerraum noch keine Blattflöhe. "Insektenforscher sind sich wohl auch einig, dass der Überträger Diaphorina citri die verhältnismäßig kalten Winter im Mittelmeerraum nicht verkraftet", fügt er an.
Damit allerdings ist das Thema nicht erledigt, denn Trioza erytreae und die von ihm übertragene afrikanische Variante von Huanglongbing vertragen schließlich deutlich kühleres Klima. Und es gibt Beispiele aus jüngster Zeit, dass die Überträger in neue Gebiete einwandern können: Auch Florida, das inzwischen ein großes Problem mit Blattflöhen und dem von ihnen übertragenen HLB hat, kannte die Insekten vor 1998 nicht.
Experten beurteilen die Lage als ausgesprochen bedrohlich. Eine Studie von 2011 errechnete, dass beim gegenwärtigen Stand der Technik Zitrusplantagen nur dann ökonomisch betrieben werden können, wenn der Anteil der infizierten Pflanzen unter drei Prozent bleibt. Die Erfahrungen speziell in Florida zeigen jedoch, dass der Anteil der infizierten Pflanzen unter Umständen binnen kurzer Zeit drastisch ansteigt – Forscher berichten, dass binnen zehn Monaten bis zu 40 Prozent der Bäume einer Plantage befallen waren. Huanglongbing hat das Potenzial, ganze Regionen ökonomisch zu vernichten.
Deswegen konzentrierten sich die Hoffnungen der Industrie auf genetisch veränderte, HLB-resistente Zitruspflanzen, meint Leandro Peña, der selbst an solchen Pflanzen forscht. "Es besteht ein gewisser Konsens, dass genetisch veränderte Zitruspflanzen langfristig die aussichtsreichste Lösung sind." Forscher arbeiten derzeit an Zitrusvarianten, die direkt resistent gegen das Bakterium sind oder aber den Vektor entweder durch spezielle Geruchsstoffe abstoßen oder gar mit pflanzlichen Insektiziden töten.
Entsprechende Sorten durch konventionelle Zucht zu erhalten, sei jedenfalls extrem schwierig, gibt Peña zu bedenken: Es gebe schlicht keine gegen HLB resistenten Pflanzen, auf deren Basis man geeignete Sorten züchten könne. "Eine klare transgene Lösung haben wir allerdings auch noch nicht anzubieten", gibt der Pflanzenforscher zu. "Wir werden noch mindesten fünf Jahre brauchen, um etwas zu entwickeln, das funktioniert."
Bis dahin bleibt den Zitrusproduzenten im Kampf gegen Huanglongbing nur die teure Radikalkur mit Unmengen Pestiziden und kontinuierlicher Vernichtung befallener Bäume. Und dass das langfristig gut geht, da sind sich die Experten keinesfalls sicher. Leandro Peña jedenfalls ist skeptisch: "Meiner persönlichen Meinung nach ist das nicht nachhaltig und wird auf Dauer nicht funktionieren."
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