News: Papierspaltereien
Dabei haben sich die Probleme bei der Konservierung von Dokumenten über die Jahrhunderte verändert. "In Deutschland wurde seit der Erfindung des Buchdrucks Ende des 15. Jahrhunderts verstärkt mit Papier gearbeitet. Bei den frühen Dokumenten war man sich immer über ihren Wert bewusst, sie wurden sorgfältig aufbewahrt", erklärt Anna Therese Haberditzl von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Mit der breiten Verwendung von Eisengallustinte vom 17. Jahrhundert an trat jedoch nach längerer Aufbewahrung der so genannte Tintenfraß auf: Denn das in der Tinte enthaltene Eisensulfat setzt sich an der Luft zu Schwefelsäure um, die schließlich das Papier zerstört.
"Bekannt ist das Problem zum Beispiel von den Notenblättern von Johann Sebastian Bach. Die dicken Tintenkleckse von Viertelnoten fressen regelrecht Löcher in das Papier", erzählt Haberditzl. Vor allem Papier minderer Qualität aus Kriegszeiten oder von Taschenbüchern und Zeitungen setzt der Säurefraß zu. In der Landesarchivdirektion werden deshalb Papiere, die durch starken Schimmel, Tinten- oder Säurefraß beschädigt sind, durch das so genannte Papierspaltverfahren restauriert.
Das ist allerdings sehr aufwändig und teuer – ein einzelnes Blatt in Stand zu setzen, kostet immerhin fünf bis zehn Euro. Um fehlende Stellen in einem Dokument auszubessern, wird es beim so genannten Anfasern durch neu geschöpftes Papier ergänzt und dann beidseitig mit gelatinebeschichteten Trägerpapieren belegt. Anschließend wird das sprichwörtlich papierdünne Blatt so gespalten, dass Vorder- und Rückseite nur noch an einem schmalen Rand zusammenhängen und sich auseinander klappen lassen. In die offene Mitte zwischen fügt der Konservator ein stützendes Kernblatt ein. Nach dem Zusammenfügen ist von den Restaurierungsarbeiten praktisch nichts mehr zu sehen.
"Das ganze Papierspaltverfahren besteht aus rund 25 Einzelschritten", erklärt Haberditzl. Wenn möglich, werden die historischen Papiere nass behandelt, um Schadstoffe herauszuspülen und die Zellulose, aus der das Papier hauptsächlich besteht, quellen zu lassen. Dabei darf das Papier jedoch nicht lose im Flüssigkeitsbad liegen, weshalb man es durch Siebe fixiert. In einem der letzten Schritte müssen die durch Gelatineklebstoff angeklebten Trägerpapiere schließlich wieder entfernt werden. Dazu nutzt man bisher Proteasen – handelsübliche Enzyme, welche die Gelatine in heißen Bädern zerkleinern. Diese Enzyme lassen sich allerdings nicht vollständig wieder herunterwaschen, und ihre Aktivität kann über viele Jahre erhalten bleiben. Im trockenen Zustand passiert zwar nichts, doch bei Feuchtigkeit wird das Papier abgebaut.
Wegen dieser Probleme hat nun Hans Bisswanger von der Universität Tübingen ein neues Verfahren erfunden: Hierbei werden die Enzyme auf sehr haltbares Polyestermaterial aufgebracht und dort chemisch fest gebunden. Um den Enzymen einen größeren Aktionsradius zu geben, fügt der Wissenschaftler zwischen den Träger und das Enzym außerdem einen so genannten Spacer ein. Dafür hat sich in den Experimenten ein großes Protein als günstig erwiesen. Die auf dem Träger gebundenen Enzyme, die in gereinigter Form viel Geld kosten, können so immer wieder bei Papierrestaurierungen verwendet werden. "Die Enzyme sind bereits seit einem Jahr aktiv, ich gehe davon aus, dass sie auch noch länger halten", so Bisswanger.
"Normalerweise würde man die Enzyme über Hemmstoffe an- und abschalten, zum Beispiel mit so genannten Komplexbildnern, die dem Enzym essentielle Wirkstoffe, Metallionen, entziehen und es inaktivieren", sagt der Biochemiker. Doch solche Stoffe könnten dem Dokument schaden, indem sie beispielsweise mit Bestandteilen der Tinte auf dem Papier reagieren. Die Lösung bestand in der Verwendung von Enzymen aus thermophilen Bakterien: Sie sind bei Raumtemperatur inaktiv. Soll die Gelatine abgebaut werden, so wird das Papier einfach auf 50 bis 60 Grad Celsius erhitzt, und die Enzyme beginnen zu arbeiten. Anschließend, wenn die Gelatine restlos entfernt ist, lassen sich die Trägerpapiere ablösen.
Für den Biochemiker bestand die Forschungsarbeit darin, die richtigen Enzyme zu finden. Sie ließen sich zwar auch aufwändig durch Veränderung bereits verfügbarer Proteasen mit Hilfe gentechnologischer Methoden herstellen, doch der Forscher bediente sich der Natur: Denn thermophile Mikroorganismen, wie manche Bakterienstämme, findet man in vulkanischen Gebieten, in heißen Quellen, aber auch im Ackerboden. Diese Stämme ließen sich im Labor züchten. Für das Papierspaltverfahren verwendet Bisswanger ein Enzym aus dem Bakterium Thermus, das aus kochenden Quellen isoliert wurde, und ein in nigerianischen Bodenproben gefundenes hitzeresistentes Bakterium der Gattung Streptomyces. "Um das Verfahren zur technischen Reife zu bringen, wäre es denkbar, das Enzym biotechnologisch zu produzieren, indem die entsprechenden Gene in einfach zu kultivierende Bakterien eingebaut werden."
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