Quantencomputer: Quanteninformation fliegt von Halbleitern zu Atomwolken
Quantencomputer werden oft als Wunderrechner angepriesen. Sie sollen eines Tages dabei helfen, neue Medikamente zu entwickeln, sollen die Materialforschung revolutionieren und optimale Transportwege berechnen. Damit sie aber das Potenzial abrufen können, das ihnen theoretisch zugeschrieben wird, müssen noch zahlreiche Hürden genommen werden. Eines der derzeit drängendsten Probleme ist, dass die bislang existierenden Maschinen noch viel zu klein sind. Damit ist nicht ihre tatsächliche Größe gemeint, sondern die Anzahl der Informationseinheiten, die sie für ihre Berechnungen nutzen können. Viele Fachleute setzen ihre Hoffnung daher auf einen modularen Ansatz; sie wollen viele kleine Quantenprozessoren miteinander zu einem großen verbinden. Allerdings lässt sich Quanteninformation derzeit noch nicht übertragen, speichern und wieder abrufen. Nun hat eine Forschungsgruppe um die Physikerin Sarah Thomas vom Imperial College London genau das geschafft, wie sie im Fachjournal »Science Advances« berichtet.
Quanteninformation verhält sich völlig anders als klassische Information. Während herkömmliche Bits nur den Wert eins oder null haben können, sind Qubits in der Lage sich im Zustand null, eins oder einer Überlagerung der beiden zu befinden. Eine Messung zerstört diese Überlagerung jedoch sofort; das Qubit nimmt dann entweder den Wert null oder eins an. Darüber hinaus können zwei Qubits miteinander verschränkt werden: Der Zustand des einen hängt dann unmittelbar von dem des anderen ab. Die Messung eines Qubits legt in so einem Fall augenblicklich den Wert des anderen fest. Diese ungewöhnlichen quantenmechanischen Eigenschaften der Überlagerung und Verschränkung ermöglichen es Quantencomputern, bestimmte Berechnungen durchzuführen, die für gewöhnliche Rechner außer Reichweite liegen.
Bit versus Qubit
Klassische Bits (links), wie sie heutige Computer nutzen, können zwei verschiedene Zustände einnehmen: eins oder null. Die Informationseinheiten von Quantencomputern, so genannte Qubits (rechts), können ebenfalls eins oder null sein – und alles dazwischen. Wenn sie sich in einem überlagerten Zustand befinden (durch den Pfeil dargestellt), entsprechen sie einer Kombination von null und eins. Fachleute veranschaulichen diese Vielfalt an Überlagerungen durch eine Kugeloberfläche, die so genannte Blochsphäre.
Quantencomputer können jeden ihrer Qubits in einen gewünschten Zustand führen. Der Pfeil, der den Zustand des Qubits darstellt, kann also auf jeden Punkt der Kugeloberfläche gelenkt werden. Sobald aber eine Messung vorgenommen wird, etwa am Ende der Berechnung, kollabiert der überlagerte Zustand des Qubits zu null oder eins.
Die wahre Vielfalt der Qubits kann also nur während der Berechnungen ausgenutzt werden. Zudem müssen die Recheneinheiten von der Umwelt abgeschirmt werden, da äußere Störungen wie Messungen wirken: Wenn der Zustand des Qubits inmitten einer Berechnung ungewollt kollabiert, verfälscht das das Ergebnis.
Extrem empfindliche Zustände
Die Quantennatur der Qubits ist ihre größte Stärke und Schwäche zugleich. Während sie es erlaubt, komplexe Berechnungen durchzuführen, sind Qubits durch ihre quantenmechanischen Merkmale extrem empfindlich. Jede kleinste Störung führt dazu, dass die überlagerten Zustände kollabieren. Zudem ist es unmöglich, Quanteninformationen zu vervielfältigen. Das macht es technisch herausfordernd, leistungsfähige Quantencomputer zu bauen, die die angepriesenen Probleme lösen – denn dafür wären Millionen von Qubits nötig.
Deshalb setzen viele Fachleute ihre Hoffnungen auf Modularität. Dafür jedoch müssen sie in der Lage sein, die Quanteninformationen ungestört von einem Modul auf ein anderes zu übertragen. Außerdem wird eine Übertragung allein nicht genügen: Falls der Aufbau komplizierter wird und mehrere Bauteile miteinander vernetzt sind, muss man Quanteninformationen zumindest kurzzeitig speichern können, bevor man sie weiterverarbeitet. Und all das muss geschehen, ohne dass die überlagerten und verschränkten Zustände gestört werden.
Das Team um Sarah Thomas hat nun eine Möglichkeit gefunden, dies zu realisieren. In einem Experiment haben die Forschenden verschränkte Photonen erzeugt. Anschließend haben sie die Quanteninformation auf eine warme Wolke von Rubidiumatomen übertragen und dort gespeichert. Sie waren außerdem in der Lage, die gespeicherten Quanteninformationen wieder abzurufen – und zwar in einer Form, die sich mit gängigen Glasfaserkabeln übertragen lässt. Mehr als fünf Jahre lang hatten die Physikerinnen und Physiker an diesem Versuch getüftelt, bis alles funktionierte. Die Schwierigkeit bestand unter anderem darin, die Wellenlänge der verschränkten Photonen an die Atomwolke anzupassen, damit die Übertragung funktioniert.
Quantenpunkte als Photonenquelle
Für ihren Versuch nutzten die Fachleute so genannte Quantenpunkte. Dabei handelt es sich um Halbleiter, die einzelne Ladungsträger wie Elektronen oder Löcher (die wie ein positiv geladenes Antiteilchen des Elektrons wirken) in einem Potenzialtopf fangen. In diesem Topf können die Teilchen nur diskrete Energiewerte annehmen, wodurch sie sich wie ein Atom verhalten. Quantenpunkte sind aber deutlich einfacher zu handhaben als einzelne Atome, weshalb sie vielfältige Anwendungen finden. Unter anderem eignen sich Quantenpunkte, um Quantencomputer zu realisieren.
In den 2010er Jahren fanden Physiker heraus, dass sich Quantenpunkte außerdem dazu nutzen lassen, verschränkte Photonen zu erzeugen. Dafür muss man im Potenzialtopf je zwei Paare aus Elektronen und Löchern fangen. Da sich ein Loch in einem Festkörper ähnlich wie das Antiteilchen des Elektrons verhält, können sich Elektron und Loch wie Teilchen und Antiteilchen gegenseitig vernichten und ein Photon erzeugen. Wenn sich beide Elektron-Loch-Paare in einem Quantenpunkt gegenseitig vernichten, entstehen dabei zwei Photonen, die miteinander verschränkt sind.
Die Forschenden um Thomas platzierten den Quantenpunkt in die Nähe einer 120 Grad Celsius warmen Wolke aus Rubidiumatomen, die als Quantenspeicher diente. Die Wellenlänge der verschränkten Photonen aus dem Quantenpunkt war so gewählt, dass die Atome die Lichtteilchen absorbieren können – und somit in einen angeregten Zustand übergehen. In diesem Zustand können sie verharren (und dabei die Quanteninformation speichern), bis die Information von den Forschenden abgerufen wurde. Dafür beschienen die Fachleute die Atomwolke mit geeigneten Laserpulsen, wodurch die Atome die Quanteninformation wieder in Form von Photonen abgaben. Die Wellenlänge dieser Lichtteilchen war dabei so gewählt, dass sie über gewöhnliche Glasfaserkabel transportiert werden können.
Solche Quantenspeicher könnten nicht nur dabei helfen, größere Quantencomputer zu entwickeln. Sie könnten es auch ermöglichen, ein Netzwerk aufzubauen, über das Quanteninformation verschickt wird: ein »Quanteninternet«. Erste Anwendungen in diese Richtung gibt es schon: So wurden in Einzelfällen bereits kryptografische Schlüssel in Quanteninformation codiert und durch Satelliten über weite Distanzen übertragen. Da Quanteninformation nicht kopiert werden kann, stellt das einen sicheren Übertragungsweg dar. Für großflächige Anwendungen eines Quanteninformationsnetzwerks sind Quantenspeicher und Quantenrepeater unabdingbar. Die Arbeit von Thomas und ihrem Team stellt dabei einen wichtigen Fortschritt dar.
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