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Geologie: Reise in den Mantel der Erde

Vor 50 Jahren startete der erste Versuch, in den Erdmantel zu bohren – was damals unmöglich erschien, könnte heute gelingen. Bald beginnt ein neuer Anlauf.
CUSS 1
Seit mehr als einem Jahrhundert drängt es Geowissenschaftler danach, Gesteinsproben direkt aus dem Erdmantel zu gewinnen. Denn schon 1909 bemerkte der kroatische Meteorologe Andrija Mohorovičić, dass seismische Wellen ab etwa 30 Kilometer Tiefe schneller durch den Untergrund laufen als in den Schichten darüber – ein klares Signal, dass sich die Zusammensetzung und physikalischen Eigenschaften der jeweiligen Gesteine grundlegend unterscheiden. Der Forscher hatte die obere Grenze des Erdmantels entdeckt, die heute den Namen Mohorovičić-Diskontinuität (kurz: Moho) trägt. Diese Grenze markiert den Beginn des Erdinneren, der sich von der Unterseite der Erdkruste bis zum Erdkern in 2890 Kilometer Tiefe erstreckt. Die Kruste selbst ist unter den Kontinenten 30 bis 60 Kilometer mächtig, unter den Ozeanen dagegen nur sechs Kilometer dünn.

Gelänge es, den Mantel anzubohren und Proben direkt von dort zu entnehmen, brächte dies der Wissenschaft wertvolle neue Informationen – vergleichbar mit der Apollo-Mission für die Raumfahrt: Die Geologen erhielten einen Einblick in den Ursprung und die Entwicklung unseres Planeten. Doch das Vorhaben erweist sich als sehr schwierig, vielleicht ist es sogar komplizierter als die Mondlandung: Bis heute gelang es niemandem, tiefer als zwei Kilometer in die ozeanische Kruste zu bohren. Der erste Versuch, das "Projekt Mohole", blieb am Ende im geopolitischen Sumpf stecken und erreichte sein Ziel nicht.

CUSS 1 | Vor 50 Jahren starteten Geologen einen ersten Versuch, in den Erdmantel zu bohren. Vom Forschungsschiff "CUSS 1" aus gelang es ihnen immerhin, die Erdkruste anzukratzen.
Jetzt soll ein neues Mohole-Projekt dank moderner Technologien erfolgreich enden: In den nächsten Jahren werden daher geophysikalische Untersuchungen an drei Orten im Pazifik durchgeführt – an der am besten geeigneten Stelle folgt dann die erste Tiefenbohrung in den Mantel. Bis er erreicht wird, benötigen die Forscher eine Menge Schiffszeit und viel Geld – das Projekt wird deutlich teurer als eine der gegenwärtig laufenden einzelnen Bohrexpedition in die Kruste. Aber immerhin dürfte das Unterfangen billiger ausfallen als ein Flug zum Mond. Innerhalb des nächsten Jahrzehnts könnte dann die eigentliche Bohrung beginnen und in 15 Jahren abgeschlossen sein, sofern die nötigen finanziellen Mittel fließen und das wissenschaftliche Interesse erhalten bleibt.

Die Uridee

Die ersten ernsthaften Pläne, den Mantel anzusteuern, brüteten einige US-amerikanische Geowissenschaftler Ende der 1950er Jahre aus. Vor allem Harry Hess, einer der Urväter der Plattentektoniktheorie, und Walter Munk – er war Pionier in der Erforschung der Meeresströmungen und klärte, warum der Mond immer die gleiche Seite der Erde zuwendet – fanden Gefallen an dieser Idee. Während eines samstäglichen Sektfrühstücks bei Munk im kalifornischen La Jolla 1957 tüftelten sie deshalb das Projekt Mohole aus – einen Plan, wie man erstmals die Erdkruste durchstoßen könnte, um in den oberen Mantel zu gelangen.

Damals begann gerade die Suche nach Öl vor der Küste, und die Konzerne hatten noch überhaupt nicht darüber nachgedacht, ihre Bohrungen auf die Tiefsee auszuweiten. Das Mohole-Projekt benötigte daher völlig neue Technologien wie etwa dynamische Positioniersysteme, die dafür sorgen, dass Bohrschiffe exakt lagetreu am Einsatzort bleiben. Mit finanzieller Unterstützung der US National Science Foundation beauftragten Hess und Co den Bohrkahn CUSS 1. Innerhalb von nur vier Jahren installierten sie die nötigen Seitenpropeller an der CUSS 1 und entwickelten ein Schaltprogramm, mit dem sie das Schiff exakt auf Position halten konnten.

Im März und April 1961 meißelten die Geoforscher ihren ersten Bohrkern aus der Erdkruste in der Nähe der pazifischen Insel Guadalupe. Sie zogen ihn aus 3800 Meter Tiefe unter dem Meeresspiegel und 170 Meter Sediment, bevor sie einige Meter Basalt durchstießen, was sie damals 1,5 Millionen US-Dollar kostete (entspräche heute etwa 40 Millionen US-Dollar).

Dies blieb jedoch der einzige Erfolg des Projekts. Nach der Expedition wechselte die Leitung, die einige schlechte Entscheidungen hinsichtlich der Bohrgeräte traf. Außerdem liefen die Kosten aus dem Ruder. 1966 erfolgte schließlich das Aus, als der US-Kongress die weitere Finanzierung einstellte.

Zur gleichen Zeit gewann die Theorie von der Plattentektonik zunehmend an Akzeptanz; das Interesse an Fragen, wie die ozeanische Kruste entstand und wie sie sich entwickelte, wuchs rasant. Mohole bewies, dass es möglich war, in die Erdkruste vorzudringen – und das Programm trug dazu bei, dass Geologen während der nächsten vier Jahrzehnte über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiteten, um aus wissenschaftlichem Interesse die ozeanische Kruste anzubohren. Ihre Kooperationen gehören zu den erfolgreichsten Langzeitprojekten der internationalen Forschungsgemeinschaft.

Die tiefe Grenze

Ihr Ziel ist gewaltig: Der Erdmantel macht etwa zwei Drittel der Masse des Planeten aus – ein gewaltiges Volumen. Um zu verstehen, wie die Erde zu dem wurde, was sie heute ist, muss man die Zusammensetzung und Dynamik des Mantels kennen. Fast die gesamte Erdkruste entstand ursprünglich aus Mantelmaterial. Frischere Bruchstücke wurden später in der Erdgeschichte nur in geringem Umfang während der Gebirgsbildung nach oben gedrückt, wo sie für Untersuchungen leicht zugänglich sind. Vulkane spuckten weitere Bröckchen eingebettet in Lava aus, und die Spreizung des Ozeanbodens an den Mittelozeanischen Rücken brachte ebenfalls etwas Mantelmaterial an die Oberfläche. Diese Beispiele deuten an, dass der Mantel vor allem aus so genannten Peridotiten besteht, die sich aus magnesiumreichen, kieselsäurearmen Mineralen wie Olivin und Pyroxenen aufbauen. Zudem legen sie nahe, dass sich das Mantelmaterial regional stark unterscheidet, was seismische Messungen bestätigen. In welchem Umfang dies der Fall ist, bleibt jedoch vorerst ungeklärt.

Durch die geotektonischen Kräfte, die sie an die Oberfläche gebracht haben, und den Kontakt mit Meerwasser hatten sich die Gesteine allerdings schon chemisch verändert. Viele wichtige Elemente und Isotope – darunter Wasserstoff, Uran, Thorium, Lithium oder Edelgase – sind zudem relativ instabil oder leicht flüchtig und liegen im vorhandenen Gesteinsmaterial nicht mehr in der ursprünglichen Konzentration vor. Einige Kilogramm frischer Peridotite aus der Tiefe könnten also wertvolle neue Informationen liefern.

Alter der Erdkruste | Die besten Standorte für eine Tiefenbohrung in den Mantel befinden sich auf den jüngsten Flächen der ozeanischen Kruste (rot). Besonders geeignet könnten drei Areale bei den Hawaiiinseln, vor Baja California und auf der Cocos-Platte vor Costa Rica sein.
Um dorthin vorzudringen, muss man die komplette ozeanische Kruste durchstoßen, was Geologen ebenfalls erfreuen dürfte: Bislang wissen sie nur wenig über die thermischen, chemischen und biologischen Vorgänge, die sich im Gestein des Meeresbodens abspielen, da entsprechende Beobachtungen fehlen.

Die Technologie, mit der man ein wenige Zentimeter breites Loch durch sechs Kilometer Gestein am Meeresgrund treiben kann, steht jetzt immerhin zur Verfügung – oder ließe sich zumindest leicht realisieren. Das japanische Bohrschiff "Chiky", das 2002 vom Stapel lief, hat bereits viel versprechende Ausrüstung an Bord. Eine Steigleitung umgibt das Bohrgestänge, in dem die Bohrkerne an die Oberfläche gebracht werden sollen. Bohrschlamm und ausgestanztes Gesteinsmaterial drückt dagegen in dem umhüllenden Rohr der Steigleitung nach oben. Dadurch lässt sich der Bohrschlamm leichter wiederverwerten und sein Druck im Bohrloch besser kontrollieren – eine unschätzbare Hilfe, um die Wände des Bohrlochs zu stabilisieren.

Die "Chikyu" kann bis zu zehn Kilometer Bohrgestänge transportieren und in Wassertiefen von maximal 2,5 Kilometern operieren. Für größere Distanzen müssen Ingenieure daher neue Bohrausrüstungen, Schmiermittel und kabelgebundene Messinstrumente entwickeln, mit denen man in den Mantel vordringen kann. Schließlich herrschen dort bis zu zwei Kilobar Druck und 300 Grad Celsius Hitze.

Nur drei Standorte kommen in Frage

Auf die Suche nach dem besten Bohrort gilt es ebenfalls einige Faktoren zu berücksichtigen: Am besten wäre ein Standort in der Nähe der Mittelozeanischen Rücken, wo sich neue Erdkruste bildet und wo der Ozean nicht zu tief ist. Gleichzeitig sollte die Kruste bereits möglichst kalt sein, um Überhitzung der Technik zu vermeiden – Vorgaben, die die Zahl der potenziellen Kandidaten stark reduziert. In Frage kommen daher wohl nur drei Gebiete: der Meeresboden vor der Küste von Hawaii, Baja California und Costa Ricas pazifische Seite, die aber alle Vor- und Nachteile aufweisen. Die Kruste bei den Hawaiiinseln zum Beispiel ist am kühlsten, liegt aber auch am tiefsten. Die nahen aktiven Vulkane könnten zudem den Mantel chemisch beeinflussen und die Schichtung der darüberliegenden Kruste stören. Andere Ozeanbecken kommen wiederum kaum in Frage, denn im Pazifik bildet sich die Kruste am schnellsten, weshalb sie auch am einfachsten aufgebaut ist.

In den kommenden Monaten bricht bereits eine Expedition zur Cocos-Platte vor Costa Rica auf, um dort zum ersten Mal in die unteren Schichten der Erdkruste vorzudringen. Hier entwickelt sich das Gestein blitzartig in geologischen Maßstäben: Neues Krustenmaterial drückt hier mit einer Geschwindigkeit von 20 Zentimetern pro Jahr nach außen – Weltrekord. Das sorgt gleichzeitig dafür, dass die Kruste deutlich dünner ausfällt als andernorts, weshalb die untere Kruste erreicht werden könnte, ohne dass man extrem tief bohren muss.

Vorausgegangene Forschungsfahrten stießen bereits in 1,5 Kilometer Tiefe vor und erreichten die Grenzschicht zwischen Ganggesteinen und Gabbro. Dieses Jahr soll die Bohrung nun weitere 400 Meter tief vorangetrieben werden, so dass zum ersten Mal Gabbro aus der unteren Kruste gewonnen wird. Niemals zuvor konnten Forscher frisches Gestein aus diesem Bereich herausbrechen.

Weiterer Auftrieb für das Mohole-Projekt

Das Material könnte einige wichtige Fragen klären: Wie formt sich Krustenmaterial an den Mittelozeanischen Rücken? Wie dringt Magma aus dem Mantel in die Kruste vor? Wie trägt die untere Kruste zu magnetischen Anomalien im Ozeanboden bei?

Und auch wenn die Moho-Grenze noch mindestens 3,5 Kilometer tiefer liegt, so dürfte die Fahrt dem neuen Mohole-Projekt weiteren Auftrieb verschaffen. Denn es ist die größte wissenschaftliche Herausforderung in der Geschichte der Geowissenschaften – und es markiert womöglich den Beginn einer noch größeren Anstrengung: Da sich Kruste und Mantel regional deutlich unterscheiden, äußern Forscher vielleicht bald den Wunsch, noch mehr Löcher zu bohren. Oder um es mit Harry Hess' Worten aus dem Jahr 1958 auszudrücken: "Vielleicht finden wir mit diesem einen Loch weniger über das Erdinnere heraus, als wir uns erhoffen. Doch jenen, die Einwände gegen das Projekt erheben, möchte ich sagen: Wenn es keine erste Bohrung gibt, können wir auch keine zweite, zehnte oder hundertste durchführen. Wir müssen einen Startschuss abgeben."

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