News: Retorten-Sperma
Während die Gesellschaft noch über Sinn und Unsinn der Stammzellforschung diskutiert, ist die Wissenschaft schon einen Schritt weiter: Nachdem bereits Eizellen aus embryonalen Stammzellen gewonnen worden sind, gelang jetzt auch das fruchtbare männliche Gegenstück.
"Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag."
So heißt es im deutschen Embryonenschutzgesetz, mit dem der Gesetzgeber 1990 glaubte, eine eindeutige und endgültige Definition geleistet zu haben: Jede totipotente, also zu einem Individuum entwicklungsfähige Zelle gilt bereits als Embryo. Daher sind Experimente bis zum Acht-Zell-Stadium des werdenden Menschen verboten, da noch jede Zelle das volle Entwicklungspotenzial besitzt. Forschung an embryonalen Stammzellen – sofern sie nicht aus Deutschland stammen – ist dagegen erlaubt, gelten diese Zellen doch lediglich als pluripotent: Sie können sich zwar zu jedem beliebigen Gewebetyp entwickeln, nicht jedoch zu einem kompletten Individuum. Insbesondere fehlt ihnen die Möglichkeit zur Bildung von Geschlechtszellen. So glaubte man zumindest bisher – vor Hübner und Schöler.
Denn Karin Hübner und Hans Schöler – beide arbeiten zurzeit an der University of Pennsylvania – hatten im Mai 2003 dieses zellbiologische Dogma zum Einsturz gebracht: Sie ließen embryonale Mäuse-Stammzellen, sowohl von weiblichen als auch von männlichen Tieren, zu Eizellen heranreifen [1].
Der nächste Schritt ließ nur vier Monate auf sich warten: Ein japanisches Team um Yayoi Toyooka und Toshiaki Noce vom Mitsubishi Kagaku Institute of Life Sciences in Tokio konnte Spermien aus Stammzellen von Mäusen herstellen [2]. Ob diese Geschlechtszellen – die es theoretisch gar nicht geben dürfte – auch ihrer eigentlichen Bestimmung nachgehen können, sprich Nachwuchs erzeugen, blieb allerdings noch offen.
Diesen noch fehlenden Nachweis der Zeugungsfähigkeit gelang jetzt Niels Geijsen und seinen Kollegen vom Whitehead Institute for Biomedical Research im amerikanischen Cambridge [3]. Die Forscher hatten zunächst aus einem männlichen Mausembryo Stammzellen entnommen und diese zu so genannten embryoid bodies heranwachsen lassen. Diese "Embryoid-Körper" sehen zwar aus wie Embryonen, sind aber keine – zumindest nach heutigem Kenntnisstand, da sie sich nicht weiterentwickeln.
Geijsen und seine Kollegen konnten nun aus diesen Embryoid-Körpern primordiale Keimzellen gewinnen – also die Vorläufer von Ei- und Samenzellen – und sie zu Linien embryonaler Keimzellen weiter differenzieren lassen. Und aus diesen Keimzellen entstanden tatsächlich Spermien – allerdings mit einer kleinen Einschränkung, wie Arbeitsgruppenleiter George Daley zugibt: "Sie sahen aus wie normale Spermien, hatten aber keinen Schwanz."
Trotz dieses Mankos mussten das Retorten-Sperma seine Einsatzfähigkeit unter Beweis stellen. Geijsens Kollegen Kitai Kim und Kevin Eggan halfen ein wenig nach und injizierten die schwanzlosen Samenfäden in Eizellen. Mit Erfolg: Die Hälfte der so befruchteten Eizellen schaffte zumindest die erste Zellteilung, ein Fünftel entwickelte sich zur Blastocyste.
Hier stoppten die Forscher. Den nächsten Schritt, also die Implantation der Blastocyste in die Gebärmutter einer Maus, haben sie sich erst einmal für später aufgehoben.
Was soll nun das Ganze? Raum für Spekulationen gibt es zur Genüge. Denn was bei Mäusen klappt, sollte auch bei Menschen möglich sein. So ließe sich auf diese Weise aus embryonalen Stammzellen Spermien herstellen und damit unfruchtbaren Paaren zum Kinderwunsch verhelfen. Da sich Stammzellen genetisch verändern lassen, wäre so auch der Weg frei für eine Gentherapie von Keimzellen – eine Vorstellung, die nicht nur Begeisterung auslösen wird.
Doch darum geht es den Wissenschaftlern nicht, wie Daley versichert: "Unsere Forschung zielt weniger auf futuristische Mittel einer assistierten Reproduktion, wir wollen vielmehr verstehen, wie sich normales und krankhaftes Gewebe entwickelt." Und bei der Entwicklung von Keimzellen geht so manches schief, worüber Mediziner gerne mehr wissen möchten. Die Keimzellen aus der Petrischale wären hier ein wichtiges Hilfsmittel.
Auch das Geheimnis der genomischen Prägung, also das An- und Abschalten bestimmter Gene nach der Befruchtung, wollen die Forscher mit ihren Spermien ein wenig lüften. Wird hier doch die Ursache vermutet, warum das Klonen von Tieren fast immer scheitert.
Wie dem auch sei. Sollte Hübners Eizellen oder Geijsens Samenzellen tatsächlich einmal eine lebende Maus entspringen, dann hätten embryonale Stammzellen – zumindest über den Umweg der Befruchtung, also "bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen" – ihre volle Schöpferkraft unter Beweis gestellt. Kann man ihnen dann noch die Totipotenz juristisch verweigern? Wäre somit jegliche Forschung an embryonalen Stammzellen illegal? Zukünftiger Streit zwischen Medizinern, Juristen und Ethikern ist vorprogrammiert.
So heißt es im deutschen Embryonenschutzgesetz, mit dem der Gesetzgeber 1990 glaubte, eine eindeutige und endgültige Definition geleistet zu haben: Jede totipotente, also zu einem Individuum entwicklungsfähige Zelle gilt bereits als Embryo. Daher sind Experimente bis zum Acht-Zell-Stadium des werdenden Menschen verboten, da noch jede Zelle das volle Entwicklungspotenzial besitzt. Forschung an embryonalen Stammzellen – sofern sie nicht aus Deutschland stammen – ist dagegen erlaubt, gelten diese Zellen doch lediglich als pluripotent: Sie können sich zwar zu jedem beliebigen Gewebetyp entwickeln, nicht jedoch zu einem kompletten Individuum. Insbesondere fehlt ihnen die Möglichkeit zur Bildung von Geschlechtszellen. So glaubte man zumindest bisher – vor Hübner und Schöler.
Denn Karin Hübner und Hans Schöler – beide arbeiten zurzeit an der University of Pennsylvania – hatten im Mai 2003 dieses zellbiologische Dogma zum Einsturz gebracht: Sie ließen embryonale Mäuse-Stammzellen, sowohl von weiblichen als auch von männlichen Tieren, zu Eizellen heranreifen [1].
Der nächste Schritt ließ nur vier Monate auf sich warten: Ein japanisches Team um Yayoi Toyooka und Toshiaki Noce vom Mitsubishi Kagaku Institute of Life Sciences in Tokio konnte Spermien aus Stammzellen von Mäusen herstellen [2]. Ob diese Geschlechtszellen – die es theoretisch gar nicht geben dürfte – auch ihrer eigentlichen Bestimmung nachgehen können, sprich Nachwuchs erzeugen, blieb allerdings noch offen.
Diesen noch fehlenden Nachweis der Zeugungsfähigkeit gelang jetzt Niels Geijsen und seinen Kollegen vom Whitehead Institute for Biomedical Research im amerikanischen Cambridge [3]. Die Forscher hatten zunächst aus einem männlichen Mausembryo Stammzellen entnommen und diese zu so genannten embryoid bodies heranwachsen lassen. Diese "Embryoid-Körper" sehen zwar aus wie Embryonen, sind aber keine – zumindest nach heutigem Kenntnisstand, da sie sich nicht weiterentwickeln.
Geijsen und seine Kollegen konnten nun aus diesen Embryoid-Körpern primordiale Keimzellen gewinnen – also die Vorläufer von Ei- und Samenzellen – und sie zu Linien embryonaler Keimzellen weiter differenzieren lassen. Und aus diesen Keimzellen entstanden tatsächlich Spermien – allerdings mit einer kleinen Einschränkung, wie Arbeitsgruppenleiter George Daley zugibt: "Sie sahen aus wie normale Spermien, hatten aber keinen Schwanz."
Trotz dieses Mankos mussten das Retorten-Sperma seine Einsatzfähigkeit unter Beweis stellen. Geijsens Kollegen Kitai Kim und Kevin Eggan halfen ein wenig nach und injizierten die schwanzlosen Samenfäden in Eizellen. Mit Erfolg: Die Hälfte der so befruchteten Eizellen schaffte zumindest die erste Zellteilung, ein Fünftel entwickelte sich zur Blastocyste.
Hier stoppten die Forscher. Den nächsten Schritt, also die Implantation der Blastocyste in die Gebärmutter einer Maus, haben sie sich erst einmal für später aufgehoben.
Was soll nun das Ganze? Raum für Spekulationen gibt es zur Genüge. Denn was bei Mäusen klappt, sollte auch bei Menschen möglich sein. So ließe sich auf diese Weise aus embryonalen Stammzellen Spermien herstellen und damit unfruchtbaren Paaren zum Kinderwunsch verhelfen. Da sich Stammzellen genetisch verändern lassen, wäre so auch der Weg frei für eine Gentherapie von Keimzellen – eine Vorstellung, die nicht nur Begeisterung auslösen wird.
Doch darum geht es den Wissenschaftlern nicht, wie Daley versichert: "Unsere Forschung zielt weniger auf futuristische Mittel einer assistierten Reproduktion, wir wollen vielmehr verstehen, wie sich normales und krankhaftes Gewebe entwickelt." Und bei der Entwicklung von Keimzellen geht so manches schief, worüber Mediziner gerne mehr wissen möchten. Die Keimzellen aus der Petrischale wären hier ein wichtiges Hilfsmittel.
Auch das Geheimnis der genomischen Prägung, also das An- und Abschalten bestimmter Gene nach der Befruchtung, wollen die Forscher mit ihren Spermien ein wenig lüften. Wird hier doch die Ursache vermutet, warum das Klonen von Tieren fast immer scheitert.
Wie dem auch sei. Sollte Hübners Eizellen oder Geijsens Samenzellen tatsächlich einmal eine lebende Maus entspringen, dann hätten embryonale Stammzellen – zumindest über den Umweg der Befruchtung, also "bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen" – ihre volle Schöpferkraft unter Beweis gestellt. Kann man ihnen dann noch die Totipotenz juristisch verweigern? Wäre somit jegliche Forschung an embryonalen Stammzellen illegal? Zukünftiger Streit zwischen Medizinern, Juristen und Ethikern ist vorprogrammiert.
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