News: Salmonellen als neue Waffe gegen Krebs?
Tatsächlich, erklärt Dr. Pawelek, können wir jetzt das Leben von Mäusen, die Melanome haben, merklich verlängern, indem wir ihnen unsere veränderten Bakterien einspritzen. Obwohl weniger als zehn Bakterien des wilden Typus ausreichen, um eine Maus zu töten, können wir zehn Millionen Zellen unseres abgeschwächten Stammes spritzen, ohne daß die Mäuse Symptome einer Ansteckung aufweisen. Nachdem die Salmonellen in den Blutkreislauf der Mäuse gelangt sind, spürten sie Tumore auf, vervielfältigten sich dort in großer Zahl und verzögerten die Tumorwachstumsrate dramatisch. Den genauen Mechanismus verstehen die Forscher noch nicht. Die behandelten Mäusen lebten jedoch länger als die Kontrollgruppe. Da sich die Salmonellen direkt im Tumor selbst vermehren, werden Anti-Tumorgene, die gentechnisch in die Bakterien gebracht wurden, ebenfalls dort vervielfältigt.
John M. Pawelek, David Bermudes, und K. Brooks Low von der Yale School of Medicine haben diese radikal neue Krebstherapie gemeinsam erfunden und arbeiteten Hand in Hand mit einem Wissenschaftlerteam von Vion Pharmaceuticals, Inc. Erklärtes Ziel ist es, die veränderten Salmonellen für mögliche klinische Tests an Krebspatienten vorzubereiten.
Die Geschichte der Entdeckung begann vor fünf Jahren: Der Onkologe Pawelek, der Parasitologe Bermudes und der Genetiker Low fingen Ende 1992 an, gemeinsam an diesem Projekt zu arbeiten. Bermudes interessierte sich damals für Paweleks Arbeiten, insbesondere für eine alte Theorie, nach welcher sich Metastasezellen, die sich im Körper ausbreiten, ähnlich wie weiße Blutzellen verhalten. Nach einigen Wochen kam Bermudes mit einer neuen Idee zu Pawelek: Er wollte Parasiten, die spezifisch für weiße Blutkörperchen sind, benutzen, um Krebszellen aufzuspüren. Sie testeten mehrere Parasiten auf ihre Fähigkeit, menschliche Melanomzellen in einer Kultur zu infizieren. Schon bald konzentrierte sich ihre weitere Arbeit auf Salmonellen, die ebenfalls menschliche Melanomzellen in einer Kultur befallen.
Wegen seiner Kompetenz in bakterieller Genetik wandten sich die Forscher an Low. In dessen Labor entwickelten sie innerhalb von Wochen Salmonellen, die als ungefährliche Waffe gegen Krebs dienen konnten. Ein paar Monate später erhielten sie die ersten Daten aus Tierversuchen. Im Dezember 1995 schloß Vion Pharmaceuticals einen Lizenzvertrag mit Yale ab, reichte einen Patentantrag ein und stellte Bermudes als leitenden Wissenschaftler ein. Jetzt, mehrere Jahre später, wurden die Yale-Vion-Daten auf der Konferenz der American Association for Cancer Research letzten April in San Diego vorgestellt und am 15. Oktober veröffentlicht.
Wie wichtig die Arbeit der drei Wissenschaftler ist, wird durch die Ergebnisse von Rakesh K. Jain und seinen Kollegen an der Harvard University klar. Sie hatten mit ingenieurwissenschaftlichen Methoden gezeigt, daß es innerhalb der Tumore zahlreiche physikalische Barrieren gibt, die eine effiziente Behandlung mit Wirkstoffen gegen Krebs verhindern. Dazu erklärt Pawelek: Tumore werden unregelmäßig mit Blut versorgt, wobei die Blutgefäße viele Regionen nicht erreichen. Sie neigen dazu, von innen heraus unter Druck zu stehen. Jains Gruppe und andere haben nachgewiesen, daß diese Eigenschaft eine Hürde darstellt, die Viren, Antikörper und Medikamente daran hindert, die innersten Bereiche der Tumore zu erreichen. Salmonellen, die sich durch ihre eigene Schwimmbewegung fortbewegen können, unterliegen diesen physikalischen Schranken in geringerem Maße. Sie können daher in tiefergelegene Bereiche vordringen und sich dort vermehren. Insbesondere wenn die Salmonellen mit Anti-Krebs-Genen ausgestattet sind, haben sie die Fähigkeit, Tumorzellen in Bereichen zu vernichten, in die andere therapeutische Wirkstoffe nicht so leicht gelangen.
Am spannendsten ist der mögliche Einsatz unserer Technologie für die Krebstherapie bei Menschen," stimmen die drei Wissenschaftler überein. "Wir haben die Salmonellen für Versuchstiere sowohl sicher als auch effektiv gemacht, und jetzt lautet die Herausforderung, das gleiche auch für Menschen zu tun. Die Frage der Sicherheit scheint unter Kontrolle zu sein, und die mögliche Wirksamkeit erscheint sehr vielversprechend.
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