Schifffahrt: Wo sind die grünen Ozeanriesen?
Schiffe transportieren rund 90 Prozent der weltweit gehandelten Güter. Die klimaneutralen Großsegler vergangener Jahrhunderte haben längst ausgedient – heute setzen die Reedereien auf immer größere Containerschiffe. In deren Rümpfen verbrennen teils mehr als 2000 Tonnen schwere Motoren enorme Mengen fossiler Treibstoffe. Nach einer OECD-Schätzung emittieren die Schiffe auf den Ozeanen jährlich rund 850 Millionen Tonnen CO2. Das entspricht der Größenordnung des Flugverkehrs. Der Anteil der Seeschifffahrt am anthropogenen CO2-Ausstoß beträgt gut zwei Prozent. Er dürfte deutlich steigen, wenn nicht entschlossen gegengesteuert wird, warnt die Weltschifffahrtsorganisation (IMO, für International Maritime Organization) der Vereinten Nationen.
Die IMO hat im Jahr 2024 ihre Klimaziele verschärft und will bis »etwa 2050« den internationalen Schiffsverkehr klimaneutral machen. Berücksichtigt man die lange Betriebsdauer einzelner Schiffe von mehreren Jahrzehnten, ist das praktisch übermorgen. Es ist nicht nur fraglich, ob das gelingen kann, sondern außerdem, auf welche Weise es überhaupt passieren soll. Denn es gibt nicht die eine alternative Antriebstechnologie, auf die es umzustellen gilt, sondern verschiedene Ansätze.
Derzeit werden vermehrt Schiffe gebaut, die neben dem üblichen Diesel noch Flüssigerdgas (LNG) verbrennen können. Doch das ist keine echte Alternative, da es sich dabei ebenfalls um einen fossilen Rohstoff handelt und sich der vermeintliche Klimavorteil des LNG mitunter sogar ins Gegenteil verkehrt. Für echten Klimaschutz braucht es andere Strategien.
Batterien: Spitze zu Land, träge zu Wasser
Bei Pkws gilt der batterieelektrische Antrieb als einfachste Lösung, um fossile Treibstoffe zu ersetzen. Jedoch sind die Akkus, gemessen am Energieinhalt, viel schwerer als Flüssigtreibstoff. Ein Containerschiff, das einen Energiebedarf wie eine Kleinstadt mit mehreren zehntausend Einwohnern hat, käme selbst mit Riesenbatterien nicht weit. Sie werden jedoch ergänzend zu anderen Technologien bei hybriden Antrieben genutzt.
Ein Containerschiff hat einen Energiebedarf wie eine Kleinstadt mit mehreren zehntausend Einwohnern
Auf Kurzstrecken gibt es auch vollelektrische Schiffe: Seit 2022 kann die »Yara Birkeland« im Testbetrieb autonom und vollelektrisch Container zwischen zwei benachbarten Häfen in Norwegen hin und her transportieren. Die chinesische Reederei COSCO stellte im Jahr 2023 zwei Schiffe mit Platz für 700 Standardcontainer vor, die mit einer Akkuladung mehrere hundert Kilometer auf dem Jangtse zurücklegen sollen. Für Fährverbindungen eignet sich das Prinzip ebenfalls. So will der deutsch-dänische Betreiber Scandlines Anfang 2025 auf der rund 20 Kilometer messenden Strecke Puttgarden-Rødby ein 147 Meter langes E-Schiff einsetzen.
Methanol: Erprobt, nur noch nicht grün genug
Als flüssiger Treibstoff ähnelt Methanol (CH3OH) dem Diesel, hat aber weniger Kohlenstoffemissionen zur Folge. Es sind vergleichsweise geringe Anpassungen am Motor nötig, auch die Lagerung an Bord sowie in den Häfen ist gut machbar. Zudem gibt es mit dem Stoff reichlich Erfahrung: Methanol gehört zu den Top Five der weltweit produzierten Chemikalien. Jedes Jahr werden rund 100 Millionen Tonnen produziert. Die Kapazitäten der Anlagen sind größer, was einen zunehmenden Einsatz im Schiffsverkehr ermöglichen würde.
Maßgeblich fürs Klima ist, wie das Methanol hergestellt wird
Maßgeblich fürs Klima ist jedoch, wie das Methanol hergestellt wird. Bislang geschieht das fast nur aus fossilen Rohstoffen. Biomethanol aus Energiepflanzen hingegen führt bald zu einem Tank-oder-Teller-Problem. Neben nichtfossilen Kohlenstoffquellen braucht es Wasserstoff, der mittels klimafreundlicher Energieträger gewonnen wurde. Forschungen dazu laufen. Gemäß Branchenschätzungen könnten bis 2030 etwa 7 bis 14 Millionen Tonnen erneuerbares Methanol erzeugt werden. Die Reederei Maersk forciert diese Entwicklung und hat 18 große Containerschiffe bestellt, die mit »Dual-Fuel«-Motoren ausgestattet sind, die auch Methanol verbrennen. Bis Oktober 2024 wurden sechs in Dienst gestellt. Zudem wurde im Mai 2024 auf der Strecke Göteborg-Bremerhaven der Verkehr mit einem Containerschiff aufgenommen, das allein mit »grünem« Methanol betrieben wird.
Ammoniak: Der problematischere Cousin des Methanols
NH3, so die chemische Formel, ist naturgemäß kohlenstofffrei und hat eine ähnliche Energiedichte wie Methanol. Es kann verbrannt werden oder in Brennstoffzellen Strom erzeugen. Transport und Lagerung erscheinen einfacher als bei reinem Wasserstoff, schreibt ein Team um Chemiker Ahmed Osman von der Queen's University Belfast in einer Untersuchung zu möglichen alternativen Kraftstoffen im Seetransport. Wie bei Methanol ist auch der Umgang mit Ammoniak vertraut, wird es doch in großer Menge hergestellt, vor allem für Düngemittel. Mittels Verdichtung oder Abkühlung kann das Gas leicht verflüssigt werden.
Dagegen spricht, dass Ammoniak ätzend ist, sobald es mit Feuchtigkeit reagiert, etwa auf der Haut. Eingeatmet kann es zum Atemstillstand führen. Glücklicherweise sind Lecks rasch an einem stechenden Geruch zu erkennen. Um es für Motoren zu nutzen, müssen einige Prozent »Zündhilfe« beigemischt werden, beispielsweise Diesel. Die Technologie für den marinen Einsatz ist nicht so weit wie bei Methanol.
Analog zur Methanolproduktion basiert die Produktion von Ammoniak bisher ebenfalls auf fossilen Rohstoffen. Klimafreundlicher wäre es, Stickstoff aus der Luft mit »grünem« Wasserstoff zu verbinden. Einen Schritt in diese Richtung macht der norwegische Konzern Yara. Er produziert »emissionsarmes Ammoniak« durch Elektrolyse unter Verwendung erneuerbaren Stroms oder gleicht die Bilanz durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung aus. Yara ist an einem Konsortium beteiligt, das ab 2026 das nach eigenen Angaben erste ammoniakbetriebene Containerschiff »Yara Eide« zwischen Norwegen und Deutschland fahren lassen will.
Wasserstoff: Öfter Hoffnungs- als Energieträger
Das leichteste Element erscheint besonders viel versprechend, da bei dessen Verbrennung oder Einsatz in einer Brennstoffzelle lediglich Wasser entsteht. Jedoch ist seine Energie pro Volumen sehr gering, während der Platz an Bord notorisch knapp ist. Das Gas sollte stark komprimiert, am besten verflüssigt werden, was technisch anspruchsvoll ist. Die Tanks müssen sehr dicht sein und die Temperatur im Inneren auf minus 253 Grad Celsius halten. Einfacher wäre es, wenn flüssige organische Verbindungen den Wasserstoff aufnehmen und abgeben können, schreibt die European Maritime Safety Agency in einem Bericht zu Wasserstoff als Schiffstreibstoff. Doch solche Systeme gibt es noch nicht für den maritimen Einsatz.
Auch die Luftfahrt sowie die Chemie-, Stahl- und Zementindustrie setzen für ihre Dekarbonisierung auf Wasserstoff
Außerdem erfordern Brand- und Explosionsgefahr strenge Sicherheitsvorkehrungen. Wie bei Ammoniak und Methanol ist beim Wasserstoff ebenfalls die entscheidende Frage, wie große Mengen klimafreundlich und wettbewerbsfähig hergestellt werden können – zumal noch weitere Branchen wie die Luftfahrt sowie die Chemie-, Stahl- und Zementindustrie darauf setzen, um ihre Dekarbonisierung voranzutreiben. Verfechter der Kernfusion argumentieren, dass es hunderte Fusionskraftwerke brauche, um allein den Energiebedarf der Schifffahrt zu decken. Die kämen, falls überhaupt, aber erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.
Nuklearantrieb: Vor einer Renaissance?
Beim Betrieb von Kernreaktoren entsteht bekanntermaßen kein CO2. Auf Schiffen sind sie bisher allerdings eine Ausnahme und vor allem beim Militär zu finden. Reaktoren der neuen Generation versprechen sehr sicher zu sein. Als so genannte Small Modular Reactors könnten sie auch die Weltmeere erobern. Daran forschen unter anderem Teams in Norwegen, Südkorea und den USA. Ob und wann solche Schiffe einsatzbereit sind, lässt sich derzeit nicht abschätzen.
Deutsche Hoheitsgewässer dürften sie grundsätzlich befahren, erklärt die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt auf Anfrage. Wobei erlaubt sei, »bestimmte Wege zur friedlichen Durchfahrt durch das Küstenmeer vorzugeben«. Übers Festmachen entscheiden die Häfen individuell. »Alle Schiffe, ob mit Nuklearantrieb oder beispielsweise mit Ammoniak, dürfen am JadeWeserPort festmachen, sofern sie eine Zulassung haben«, heißt es etwa aus Wilhelmshaven. »Dabei zählt auch eine Zulassung aus einem anderen Land.«
Kernreaktoren der neuen Generation könnten die Weltmeere erobern
Welche Technologie sich durchsetzen wird, ist ungewiss. Exemplarisch ist das Ergebnis des »Wasserstoff-Kompass« von Dechema und acatech, für den Fachleute von Reedereien und Häfen sowie aus Wissenschaft und Verwaltung befragt wurden. Für Wasserstoff sehen sie auf der Langstrecke mit Blick auf »die niedrige volumetrische Energiedichte« lediglich eine »untergeordnete Rolle, sofern es zu keinem technischen Durchbruch kommt«. Ammoniak habe nach aktueller Abschätzung hohe Kostenvorteile gegenüber anderen erneuerbaren Kraftstoffen. »Für einen großflächigen Einsatz sind aber noch technische und sicherheitsrelevante Herausforderungen zu lösen.« Methanol sei deutlich einfacher in der Handhabung, wenn auch teurer. »In der Nachrüstung ist der Wechsel zu Methanol absehbar mit geringeren Investitionen verbunden.«
Entscheidend wird sein, dass die neuen Schiffe auf ihren Routen den jeweiligen Kraftstoff tanken können. Das Investitionsrisiko liegt also auch bei den Häfen, die eine entsprechende Infrastruktur aufbauen müssen. »Da ist die Vorreiterrolle, die Maersk mit seinen methanolbetriebenen Schiffen hat, hilfreich«, sagt Steffen Brötje vom DLR-Institut für Maritime Energiesysteme in Geesthacht. »Auf deren Route ist Bedarf da, der einen Anschub gibt.«
Das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 nennt Brötje »sehr ambitioniert«: »Man darf nicht vergessen, es gibt eine große Bestandsflotte, wo zudem nachgerüstet werden muss.« Aus seiner Sicht ist schon viel erreicht, wenn die Branche ihren CO2-Ausstoß beträchtlich verringert. Und dabei, so Brötje weiter, gehe es neben den Antrieben außerdem um Energieeffizienz: optimierte Rümpfe, Schiffspropeller, Routen, wenn sinnvoll auch ergänzende Segel. »Allein mit solchen Maßnahmen lässt sich der Energiebedarf um bis zu ein Drittel verringern.«
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