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Selbstsabotage: Aus Angst vor dem Erfolg

Hinter beruflicher Selbstsabotage kann die Angst vor dem Versagen stecken – aber auch die Angst vor dem sozialen Aufstieg. Menschen aus ärmeren Verhältnissen fürchten, sie könnten ihre Identität und Zugehörigkeit verlieren.
Ein Mann sitzt an seinem Schreibtisch, sichtlich verzweifelt, im Hintergrund ein karges Dachzimmer
Es gibt einige Gründe, mit der Arbeit zu hadern, darunter die Angst vor dem eigenen beruflichen Erfolg.

Ein junges Unternehmen befindet sich auf Erfolgskurs; das Ziel ist zum Greifen nahe. Doch dann werden notwendige Entscheidungen hinausgezögert, wichtige Aufgaben bleiben unerledigt und große Chancen ungenutzt. Wie kann das sein?

Wenn jemand seine Chance auf Erfolg verstreichen lässt, obwohl es an den erforderlichen Kenntnissen und Kompetenzen nicht mangelt, muss es andere Gründe dafür geben. Einen davon hat ein US-Forschungsteam um Wirtschaftswissenschaftler Michael H. Morris von der University of Notre Dame untersucht: Selbstsabotage. Die Gruppe begleitete im Rahmen der »Urban Poverty and Business Initiative« von Armut betroffene Menschen elf Monate lang bei der Unternehmensgründung. In sechs Fokusgruppen mit jeweils acht bis zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmern berichteten diese über ihre beruflichen Sorgen und Nöte, über ihre Erfolge und Misserfolge. Die 2024 in der Fachzeitschrift »Business Horizons« erschienenen Ergebnisse zeigen: Die Gründer fürchteten sich nicht nur zu scheitern, sondern ebenfalls vor einem möglichen Erfolg, und die Selbstsabotage hing mit beidem zusammen.

Versagensangst wirkt in beide Richtungen

Auf der einen Seite hatten die Entrepreneure Angst vor den sozialen Folgen, die ein Misserfolg für sie und für ihr Umfeld haben könnte – jene Menschen, denen sie sich verpflichtet fühlten und deren Wohl vom Erfolg der Gründung abhing. Diese Sorgen traten verstärkt in der Anfangsphase der Gründung auf. Die Versagensangst könne zu einem »konservativen« Verhalten führen, wie die Forschenden schildern: Die Gründer vermieden Risiken, beispielsweise indem sie ihren Vollzeitjob behielten oder weniger in das Unternehmen investierten. Auf der anderen Seite motivierten die Ängste sie aber auch dazu, das Unternehmen voranzubringen.

»Die Angst vor dem Scheitern erstreckt sich über den gesamten Gründungsprozess. Wenn das Unternehmen jedoch Fortschritte macht, kann die Angst vor dem Erfolg dazukommen und dominieren«, erklärt Morris. Er und sein Team beobachteten ein typisches Verhaltensmuster: »Genau dann, wenn armutsbetroffene Gründer vor der Möglichkeit standen, das Unternehmen auf die nächste Stufe zu bringen, weigerten sie sich manchmal, diese Chance wahrzunehmen. Sie waren nicht bereit, den nächsten Schritt zu gehen, der das Geschäft vorantreiben würde.«

Bekannt ist das Phänomen der Erfolgsangst bereits im Zusammenhang mit sportlichen oder akademischen Leistungen. Die Psychologin Matina Horner von der Harvard University führte das Konzept in den 1970er Jahren ein. Die Angst vor Erfolg definierte sie als einen psychologischen Mechanismus, der die Leistungsmotivation von Frauen in männerdominierten Berufen hemmt, da sie auf Grund von Geschlechterstereotypen negative soziale Konsequenzen erwarten. »Die frühen psychologischen Forschungen waren umstritten. Die Leute empfanden sie als stereotyp und in gewisser Weise sexistisch«, berichtet Morris. »Unsere Studie hat aber nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern mit Armut.«

»Armut hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie Betroffene über Erfolg denken. Für sie ist Erfolg keine normale Sache, an die sie gewöhnt sind«Michael H. Morris, Wirtschaftswissenschaftler

Zu den gefürchteten Kosten des Erfolgs im Kontext von Armut zählen der Studie zufolge vor allem eine neue Verantwortung und steigende Erwartungen, die der Erfolg mit sich bringen kann. Die Gründerinnen und Gründer befürchteten außerdem, dass der Erfolg ihre Beziehungen und ihre soziale Zugehörigkeit gefährden könnte. Die Identität der Gründer sei tief verwurzelt in ihrem sozioökonomischen Status, ihrem Lebensstil, ihrem Alltag und seinen Herausforderungen, schreiben die Studienautoren. Erfolg würde für sie bedeuten, ihre bisherigen Werte und damit ihre Identität in Frage stellen zu müssen. »Armut hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie Betroffene über Erfolg denken. Für sie ist Erfolg keine normale Sache, an die sie gewöhnt sind«, erklärt Morris.

Aus Angst vor den erwarteten Folgen legten die Gründer Verhaltensweisen an den Tag, die ihnen den Erfolg erschwerten: Sie prokrastinierten und betrieben Selbstsabotage. Zum Beispiel schadeten sie dem Unternehmen, indem sie Meetings verpassten oder sich gegenüber Kunden unhöflich verhielten, oder sie schadeten sich selbst, indem sie ihre Gesundheit vernachlässigten oder zu Drogen griffen.

»Das Paradoxe ist, dass beide Ängste gleichzeitig bestehen können. Sie koexistieren nicht nur, sondern beeinflussen sich zudem gegenseitig. In Kombination können sie dazu führen, dass sich Gründer konservativer verhalten«, sagt Morris. Das heißt: Sie streben danach, ihren Status quo beizubehalten, setzen sich niedrigere Ziele und lassen Erfolg versprechende Chancen verstreichen.

Aufstiegsangst bei Arbeiterkindern

Um Erfolgsängsten vorzubeugen, empfehlen die Wissenschaftler, frühzeitig für Bildung und Vorbilder zu sorgen. Denn bereits auf dem frühen Bildungsweg von Aufsteigern spielen Ängste eine Rolle. So schildert es auch Margrit Stamm von der Université de Fribourg in ihrem Buch »Arbeiterkinder und ihre Aufstiegsangst«. »Aufstiegsangst ist ein vernachlässigtes Phänomen, wenn es um die Erklärung der je nach Herkunft unterschiedlichen Bildungspfade geht«, schreibt die Pädagogin. »Wenn Lehrpersonen oder Eltern die Kinder nicht unterstützen, ihnen das Gefühl geben, es nicht schaffen zu können und dass die Anforderungen zu hoch seien, kann sich eine Art Aufstiegsangst entwickeln.«

»Die Eltern wollten nicht, dass sich das Kind von ihnen entfernt und in die ihnen unbekannte akademische Welt einsteigt«Margrit Stamm, Pädagogin

Margrit Stamm veröffentlichte 2022 ein Dossier zu ihrem Forschungsprojekt »Arbeiterkinder am Gymnasium«. Darin befragte sie 98 Aufsteigerkinder aus deutschen Familien – eine bewusste Vorauswahl, denn bei migrantischen Kindern kann es genau umgekehrt sein: Sie stehen eher unter dem Druck, hohe Erwartungen zu erfüllen. »Die Studie zeigte, dass die Hälfte der deutschen Eltern ihre Kinder nicht unterstützten, das Gymnasium zu besuchen. Sie wollten nicht, dass sich das Kind von ihnen entfernt und in die ihnen unbekannte akademische Welt einsteigt«, sagt Stamm. 45 Prozent der befragten Arbeiterkinder an Gymnasien gaben an, bereits eine Distanzierung von ihrer Familie und ihrem Milieu erlebt zu haben.

Die Pädagogin empfiehlt: »Man kann nicht nur bei den Schulen ansetzen, sondern muss auch mit den Familien sprechen, ihre Bedenken ernst nehmen und ihnen zuhören.« Die Auswirkungen zeigen sich noch im Erwachsenenalter: »Viele unserer Studienteilnehmenden sagten, die Aufstiegsangst hätte sie auch im Berufsleben begleitet. Stellt sich Erfolg ein, zweifeln sie manchmal daran, ihn wirklich verdient zu haben.«

Die Rolle der Schuldgefühle

Eine kürzlich veröffentlichte Studie in der Zeitschrift »Current Psychology« untersucht Erfolgsängste im Zusammenhang mit dem Impostor- oder Hochstapler-Syndrom, mit Selbstsabotage und mit Schuldgefühlen. Das Team um Francesco Gazzillo von der Universität La Sapienza in Rom befragte dazu 146 Studierende und fand einen positiven Zusammenhang zwischen Erfolgsängsten und dem Impostor-Syndrom, also dem Gefühl, man habe das eigene Vorwärtskommen eigentlich nicht verdient. Doch selbst beide zusammen konnten die Tendenz zu selbstsabotierenden Verhaltensweisen nicht vollständig erklären. »Angst vor Erfolg ist eine Ursache für das Impostor-Syndrom und für Selbstsabotage, aber nicht die wichtigste. Eine größere Rolle spielen die Schuldgefühle, die drohen, wenn man erfolgreich ist«, erklärt Gazzillo.

»Je erfolgreicher sie werden, desto mehr unterscheiden sie sich von den Menschen, die ihnen in ihrer Kindheit wichtig waren«Francesco Gazzillo, Psychologe

Der sozioökonomische Status spielte dabei keine Rolle, wie die Gruppe feststellte. »Relevanter sind unserer Meinung nach persönliche Erfahrungen, die sie denken lassen, dass Erfolg andere Menschen verletzt oder eifersüchtig macht«, sagt der Psychologe. In Armut lebende Menschen sind in besonderer Weise davon betroffen. »Je erfolgreicher sie werden, desto mehr unterscheiden sie sich von den Menschen, die ihnen in ihrer Kindheit wichtig waren. Sie können bewusst oder unbewusst fühlen, dass andere Menschen neidisch sind oder Schmerzen empfinden, weil sie nicht so erfolgreich sind wie sie. Wenn dies der Fall ist, bestrafen sie sich selbst oder leiden jedes Mal, wenn sie Erfolg haben oder haben könnten«, sagt Gazzillo.

Sich den Zusammenhang zwischen Erfolg und Schuldgefühlen bewusst zu machen, sei wichtig, um die Ursachen der Selbstsabotage zu ergründen. Es gehe darum zu verstehen, dass die Betroffenen nicht dafür verantwortlich sind, wenn andere Menschen Neid empfinden und deshalb leiden. Was ihnen dabei helfen könne: die emotionale Erfahrung, Menschen in ihrem Leben zu haben, die sich über den Erfolg mitfreuen.

Themenwoche »Führung«

Wer will eigentlich Chef oder Chefin werden? Warum haben manche Menschen Angst davor, Karriere zu machen? Und weshalb geben andere ihren Posten wieder auf? Diese und weitere Fragen beantwortet die Themenwoche »Führung« anhand von aktueller Forschung. Dazu erklären Fachleute, wie man erfolgreich führt – und warum das vermeintlich gesicherte Wissen über Führungsstile auch nur eine Illusion sein könnte.

  1. Führungsmotivation: To boss or not to boss
  2. Führungskompetenz: »Was gut ist für die Beziehung, ist auch gut für die Leistung«
  3. Selbstsabotage: Aus Angst vor dem Erfolg
  4. Führungsstile: »Die klassische Forschung erzeugt Illusionen«
  5. Downshifting: Weniger Arbeit, mehr vom Leben
  • Quellen

Gore, J.S. et al.: Social factors that predict fear of academic success. Educational Review 68, 2016

Horner, M.S.: Toward an understanding of achievement-related conflicts in women. Journal of Social Issues 28, 1972

Morris, M.H. et al.: Fear and the poverty entrepreneur: The paradox of failure and success. Business Horizons 67, 2024

Stamm, M.: Arbeiterkinder am Gymnasium. Erfolgreiche Bildungsaufstiege. Dossier 22/2, 2022

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