Katastrophen: Selten tödlich
Als ab 1963 US-amerikanische Vela-Satelliten nach sowjetischen Kernwaffentests fahndeten, erreichte die Detektoren an Bord mehrfach kurze hochenergetische Gammastrahlung. Einige der besonders energiereichen Photonen stammten dabei nicht von der Erde, sondern aus den Tiefen des Raums. Erst zehn Jahre später erkannte ein Wissenschaftler am Forschungszentrum Los Alamos, dass Vela zuvor kosmische Ereignisse aufgezeichnet hatte. Die maximale Intensität lag im Bereich so harter Gammastrahlung, dass die Messwerte gänzlich unwahrscheinlich anmuteten. Astronomen berechneten, dass die punktförmigen Quellen für kurze Zeit die Leuchtkraft einer ganzen Galaxie überstrahlten.
Gammablitze überall
Doch was genau hinter diesen Ereignissen steckte, versuchten über Jahrzehnte lediglich theoretische Physiker auf dem Papier abzuschätzen. Zu schnell waren die gewaltigen Ausbrüche vorbei, die sich zunächst nur aus dem Erdorbit beobachten ließen. Erst ab 1991 gelang es dem NASA-Weltraumteleskop Compton und mehreren Nachfolgern, den gesamten Himmel systematisch nach den seltenen Ereignissen zu durchforsten. Seitdem konnten Forscher diverse Gammablitze direkt beobachten oder aus ihrem optischen Nachglühen auch von der Erdoberfläche aus auf die Ursachen zurückschließen. Die Forscher unterscheiden zwei Gruppen: Die über Minuten andauernden stärkeren Gammablitze scheinen mit starken Supernovae zusammenzuhängen, während die Ursachen der kürzeren Ausbrüche bis heute unklar bleiben und vermutlich mit kollidierenden Neutronensternen in Verbindung stehen.
Mit den immer besseren Beobachtungsdaten gelang es Astronomen auch abzuleiten, wie die Gammablitze im Universum verteilt sind. Sie beerdigten die anfängliche Vermutung, die Ausbrüche stammten überwiegend aus unserer eigenen Galaxie: Dafür traten sie zu gleichförmig über den gesamten Himmel auf. Das hieß, dass die gewaltigen Ereignisse überwiegend vor Milliarden Jahren im jungen Universum ausgesandt wurden. Dementsprechend mussten sie ursprünglich sehr viel stärker gewesen sein, da die gemessene Intensität mit wachsendem Abstand deutlich abnimmt.
Ein naher Gammablitz in unserer eigenen Galaxie hätte daher dramatische Auswirkungen auf unseren Planeten. Zwar ereigneten sich seit 1967 alle gemessenen Gammablitze in sicherer Entfernung – aber könnte nicht zumindest ein naher Ausbruch in der Erdgeschichte für eines der ungeklärten Massensterben verantwortlich sein?
Was wäre wenn
Auf der Erde zu überleben, war nicht immer leicht. Seit sich vor über 3,5 Milliarden Jahren die ersten Zellen formten, waren irdische Organismen ständig kosmischen Gefahren ausgesetzt. Viele davon, wie herabstürzende Asteroiden und Kometen, lassen sich heute gut einschätzen. Ein solcher Einschlag besiegelte im letzten großen Massensterben in der späten Kreidezeit nachweislich das Ende der Dinosaurier und vieler anderer. Doch es gibt insgesamt fünf große Aussterbeereignisse in der Erdgeschichte, und längst nicht alle davon sind einwandfrei aufgeklärt.
In letzter Zeit haben sich vor allem Astrophysiker um Adrian Melott von der University of Kansas hervorgetan, die Konsequenzen eines erdnahen Gammablitzes zu durchdenken [1]. Kritisch könnte es ihnen zufolge bei einem Ereignis in einem Abstand von 10 000 Lichtjahren werden, wenn der Strahlungskegel der meist fokussierten Ausbrüche direkt auf das Sonnensystem fällt. Das betrifft immerhin ein Zehntel des Milchstraßendurchmessers.
Gefährlich ist jedoch nicht direkt die Gammastrahlung, denn sie wird effizient in der Atmosphäre absorbiert. Doch die Lufthülle selbst würde beschädigt werden: Sonst sehr stabile Stickstoffmoleküle würden von der Strahlung aufgebrochen und zu diversen Stickoxiden reagieren. Diese wiederum wirken als Katalysatoren beim Abbau von 30 bis 50 Prozent der Ozonschicht. Dagegen klingen die menschengemachten Abbauwerte von wenigen Prozent harmlos.
Weiterhin würden die Stickoxide den Himmel braun färben und deutlich weniger sichtbares Licht sowie Wärmestrahlung der Sonne hindurchlassen. Das Resultat: Organismen an der Oberfläche müssten mit deutlich weniger Licht auskommen, während sie gleichzeitig durch die zersetzte Ozonschicht plötzlich mehr DNA-schädigender Ultraviolettstrahlung ausgesetzt wären.
Doch das gilt vermutlich nur für den massiveren der zwei bekannten Typen der Gammablitze, die mehrere Minuten andauern können. Ob auch sekundenlange Ausbrüche in Sonnennähe das irdische Leben beeinflussen würden, ist dagegen umstritten. Astrophysiker John Scalo von der University of Texas in Austin vermutet, dass die Mutationsraten zwar in einer Generation alle Arten auf einer Hemisphäre leicht ansteigen würden. Doch die Gammablitze seien so kurz, dass die Rate genetischer Veränderungen kaum das gewöhnliche Maß an Mutationen überschreiten würde.
Kann es überhaupt nahe Gammablitze geben?
Bislang bleibt es außerdem pure Spekulation, ob in der langen Erdgeschichte jemals ein so naher Gammablitz stattfand: Astronomen um Krzysztof Stanek von der Ohio State University werteten 2006 die Eigenschaften von wenigen energiereichen Gammablitzen aus, die in eher nahen Galaxien stattgefunden hatten und die mit Supernovae großer Sterne in Verbindung gebracht werden konnten. Diese Blitze gingen nur von solchen Sternen aus, die kaum schwere Elemente enthielten. Solche Sterne sind aber in der Milchstraße sehr selten, denn sie gehören überwiegend zur ersten Sternpopulation nach dem Urknall, als die atomare Materie sich fast ausschließlich aus Wasserstoff und Helium zusammensetzte.
Die zweite und schwächere Gruppe von Gammablitzen könnte dagegen auch in der Milchstraße stattgefunden haben. Die dafür notwendigen Neutronensterne sind zwar selten, kommen aber besonders in dicht gepackten Kugelsternhaufen regelmäßig vor, die auch unsere Galaxie in einem Halo umkreisen. Deshalb schlug Wilfried Domainko vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik kürzlich vor, einfach in der Vergangenheit der Milchstraße zu fahnden, wann die Sternhaufen dem Spiralarm der Sonne besonders nahe gekommen sind [2]. Denn sie umkreisen das Zentrum unserer Galaxie wie alle anderen Objekte, was sich prinzipiell auch in die Vergangenheit zurückrechnen ließe. Ob so eine räumliche Nähe aber auch mit großen Sterbeereignissen zusammenfiel, wird wohl erst die exaktere Vermessung galaktischer Bewegungsmuster ergeben. Der astrometrische Satellit Gaia der Europäischen Raumfahrtagentur sollte bald entsprechend genaue Daten liefern können.
Die sauberste Art, auszusterben
Doch das nahe Vorüberziehen eines Kugelsternhaufens allein wäre längst noch kein Beweis für ein Massensterben durch einen nahen Gammablitz. Indizien dafür müssten Geologen parallel auch in alten Sedimenten oder Fossilien finden, und das gilt bislang als problematisch. Zwar könnten durch Spallation Radionuklide in der Atmosphäre entstehen und sich im Sediment ablagern. Doch mit mehreren Sekunden bis Minuten sind die Strahlungsausbrüche viel zu kurz, um sie mit heutigen Messinstrumenten noch nachweisen zu können: Die radioaktiven Reste dürften seit dem Massenaussterbeereignis längst zerfallen oder durch die Effekte ständig eintreffender kosmischer Strahlung verwischt worden sein.
US-Forscher Adrian Melott hält diese Art der kosmischen Katastrophen daher für die "sauberste" Methode, ein Massensterben auszulösen. Forscher müssten die unaufgeklärten Ereignisse so lange als mögliche Gammablitzkandidaten werten, bis das Gegenteil bewiesen wird. Globale Ablagerungen des in Asteroiden gehäuft vorkommenden Metalls Iridium könnten etwa ein solcher Gegenbeweis sein. Denn damit gelang es immerhin, das große Sterben am Ende der Kreidezeit durch einen massiven Einschlag zu belegen.
Solch ein Beweis fehlt derzeit für das zweitgrößte der fünf großen Aussterbeereignisse: Als im Ordovizium vor 450 Millionen Jahren mehr als die Hälfte aller Arten verschwand, waren auffällig viele planktonisch und ufernah lebende Organismen betroffen. Adrian Melott folgert daraus, dass die nach einem Gammablitz beschädigte Ozonschicht vermehrt sterilisierende UV-Strahlung durchließ, was die Arten in den Tiefen der Meere weniger störte. Gleichzeitig stellte eine von Stickoxiden verdunkelte Atmosphäre kaum noch genügend Licht und Wärmestrahlung für die Fotosynthese bereit. Dazu passt auch, dass sich dem Massensterben im sonst eher warmen Ordovizium eine Eiszeit anschloss.
Wenn überhaupt, dann selten
Dennoch könnten solche Gedanken ewige Spekulation bleiben, da geologische Überbleibsel aus dieser Zeit rar sind. Gleichzeitig war das Leben damals längst nicht so verbreitet wie heute. Krebsartige Trilobiten, Wasser filtrierende Moostierchen oder Korallen bewohnten die Ozeane, während die Landoberfläche noch öd und leer war. So könnten fehlende Hinweise auf andere Sterbeursachen wie Asteroiden oder großräumige Vulkanausbrüche einfach nur in den Wirren der Erdgeschichte verloren gegangen sein.
Die meisten Forscher sind sich aber einig darin, dass Gammablitze selten sind und die von ihnen ausgehende Gefahr für die Menschheit gering. Ein Zusammentreffen mit einem kilometergroßen, die Erdbahn kreuzenden Asteroiden ist dagegen viel wahrscheinlicher.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.