News: Stress, Alkohol, die Gene und weiße Mäuse
Dieser Zusammenhang trifft interessanterweise auch für Labormäuse zu. Mit Hilfe molekularbiologischer Techniken ist es Wissenschaftlern um Florian Holsboer vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München jetzt gelungen, ein Mausmodell zu erzeugen, bei dem die zentrale Schaltstelle für die Stress-Reaktion gestört ist. Der von den Wissenschaftlern eingebaute Defekt der Knockout-Maus liegt in genau jenem Gen, das die Bauanleitung für den so genannten Corticotropin-Releasing-Hormone-Rezeptor Typ 1 trägt. Der Rezeptor reagiert normalerweise auf das Corticotropin freisetzende Hormon (CRH): das CHR wiederum ist ein Molekül, das der Organismus vermehrt bildet, wenn er einer Stress-Situation ausgeliefert wird – dies gilt übrigens bei Maus und Mensch gleichermaßen.
CHR steuert nicht nur die hormonelle Stress-Antwort, sondern koordiniert ebenfalls eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, die geeignet sind, die Stress-Situation zu bewältigen. Im Gehirn bindet CRH nicht nur an den im Mausmodell ausgeschalteten CHR-Rezeptor Typ 1, sondern zudem in verschiedenen Regionen, die für emotionales Verhalten, wie beispielsweise Angst, relevant sind. Wird der Rezeptor Typ 1 gestört, so ist damit auch die zentrale Stress-Reaktion gestört.
Die Forscher haben nun an ihren Knockout-Mäusen nach der biochemischen Verbindung zwischen Stress und Alkoholauswirkungen gesucht und ihnen Alkohol zu trinken angeboten. In ihren Untersuchungen tranken die Mäuse, bei denen die zentrale Regulation der Stress-Antwort gentechnisch gestört war, zunächst die gleiche Menge Alkohol wie die genetisch intakten Tiere aus Kontrollgruppe. Wurden die Knockout-Mäuse jedoch wiederholtem Stress ausgesetzt, so reagierten sie, im Gegensatz zur Kontrollgruppe, über fünf Monate hinweg mit einer kontinuierlich verstärkten Aufnahme von Alkohol. Offensichtlich ist ein intaktes zentrales Stress-System erforderlich, um das Risiko zum Alkoholismus, das nach längerer Stress-Erfahrung entsteht, erfolgreich zu reduzieren oder auszuschließen.
Die Untersuchungen der Wissenschaftler an ihren alkoholkranken Knockout-Mäusen ergaben außerdem, dass der so genannte NR2B-Rezeptor, ein anderer Rezeptor im Gehirn, an den vornehmlich Glutamat bindet, in bestimmten Hirnregionen nach gewisser Zeit häufiger vorkam. Die Forscher vermuten dahinter eine Reaktion auf die Veränderungen im CHR-Rezeptor-Gen sowie den induzierten Stress. Der NR2B-Rezeptor reagiert wiederum auf Alkohol – offenbar trägt sein vermehrtes Auftreten in den Knockout-Mäusen Steigerung des Alkoholkonsums in diesen Tieren bei.
Vielleicht, so hofft Holsboer jetzt, eröffnen sich damit neue Möglichkeiten, wie durch Medikamente, die entweder auf das Stresshormon- oder das Glutamat-System gerichtet sind, der Entwicklung von stress-induziertem Alkoholmissbrauch vorgebeugt werden kann: Für Menschen mit genetisch verursachter Veränderung der Stress-Regulation könnte dies eine therapeutische Hilfe werden.
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine vorwiegend von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung der Grundlagenforschung. Sie betreibt rund achtzig Max-Planck-Institute.
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