News: Tanz der Ladungen
Vielmehr entfaltet die DNA durchaus ein gewisses Eigenleben: Zelluläre Oxidationsprozesse und alltägliche äußere Einflüsse wie das Sonnenlicht brechen vereinzelt Elektronenbindungen auf und hinterlassen nunmehr frei bewegliche Elektronen und so genannte Elektronenlöcher. Auch jene positiv geladenen Leerstellen sind in der Lage, innerhalb des Moleküls zu wandern. Teilweise entfernen sie sich sogar bis zu 30 Nanometer von ihrem Ursprungsort und dringen als radikale Kationen auch in hochempfindliches Terrain vor, wo von ihnen ausgelöste Reaktionen Schäden im genetischen Bauplan hervorrufen können.
Bereits seit längerem widmen sich Gary Schuster und seine Kollegen vom Georgia Institute of Technology der Erforschung dieses Phänomens. Um dem Geheimnis der wandernden Elektronenlöcher auf die Spur kommen und die zugrunde liegenden Mechanismen aufzudecken, simulierten die Forscher mithilfe von Computerprogrammen die Dynamik von Molekülen und berechneten komplexe Elektronenstrukturen. Wie ihre Analyse zeigte, beeinflusst neben der Doppelhelix selbst insbesondere die Umgebung des DNA-Moleküls, welche Richtung die Elektronenlöcher einschlagen. Nicht nur das Stützgerüst des Erbfadens und seine Stickstoffbasen kontrollieren deren Wanderweg, sondern vermutlich ebenfalls Wassermoleküle und Natriumionen in unmittelbarer Nachbarschaft.
Dabei verhalten sich die einzelnen Komponenten getreu den physikalischen Prinzipien: Ausgelöst durch Wärmeeinwirkung wirbeln elektrisch geladene Teilchen in wässrigen Lösungen willkürlich herum. Doch auch diese zufälligen Bewegungen unterliegen gewissen Grenzen, wenn Teilchen mit gleicher Ladung aufeinanderzutreffen drohen: So weichen positiv geladene Elektronenlöcher sich nähernden Natriumionen mit positiver Ladung aus, woraus "ein sich gegenseitig bedingender Tanz der beiden resultiert", wie Uzi Landman aus dem Forscherteam bildhaft erläutert.
Um die theoretischen Überlegungen zu verifizieren, sammelten die Forscher zusätzlich experimentelles Datenmaterial. Dazu modifizierten sie einen Abschnitt des DNA-Rückgrates, indem sie die negativ geladenen Phosphate durch Methylphosphonate derselben Größe ersetzten, aber im Gegensatz zu den natürlichen Bausteinen trugen diese Verbindungen keinerlei Ladungen. Diese Veränderung wirkte sich gravierend auf das Wanderverhalten der elektrischen Ladungen aus, denn das Stützgerüst der Doppelhelix zog nun keine Natriumionen mehr an. Dadurch fehlten den Elektronenlöchern die gleich geladenen Gegenspieler, die bislang ihre Wege mitbestimmten, und kamen infolgedessen mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Stillstand.
Die Versuchsergebnisse könnten nicht nur zu einem besseren Verständnis beitragen, wie unsere Erbsubstanz durch oxidative Prozesse geschädigt wird, sondern ebenfalls neue Hinweise auf Anwendungsmöglichkeiten der Doppelhelix in der Nanotechnologie liefern. Anhand weiterführender Untersuchungen hoffen die Forscher, demnächst die einzelnen Schritte zu enthüllen, die in die Ladungsbewegungen und die DNA-schädigenden Reaktionen verwickelt sind. Zudem wollen sie herausfinden, ob die DNA-Stränge eventuell nicht-kodierende Regionen enthalten, die zum Schutz empfindlicher Bereiche elektrische Ladungen einfangen.
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