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Raumfahrt: Tiger im All

China baut eine Raumstation, Japan schickt regelmäßig Sonden auf große Mission: Ostasien drängt ins All - und weckt Hoffnungen wie Befürchtungen.
Taikonaut im All

USA: 18, China: 19. Die Niederlage war knapp, doch sie schmerzte umso mehr. Erstmals mussten sich die Amerikaner im vergangenen Jahr den Chinesen geschlagen geben – und zwar auf einem Gebiet, auf dem sie sich für die letzte verbliebene Supermacht halten: der Raumfahrt.

Genau 19 Raketen hat China vergangenes Jahr in Richtung Erdumlaufbahn gestartet, nur eine Mission schlug fehl. Auch Indien und Japan waren äußerst aktiv: Mit zusammen sechs Starts übertrafen sie sogar die gemeinsamen europäischen Anstrengungen. Südkorea, Malaysia, Thailand, Vietnam, Indonesien wollen dem nicht nachstehen und planen ebenfalls Aktivitäten im All. Asien jubelt also, der Westen reagiert mit Skepsis, vor allem aber mit fragenden Blicken: Die etablierten Weltraumnationen tun sich schwer, den plötzlichen Raumfahrtboom im Osten einzuschätzen. Wollen China & Co einfach nur mitspielen, wollen sie die Konkurrenz überflügeln, planen sie gar die "Weltherrschaft"?

"Die asiatischen Staaten befinden sich inmitten eines unausgesprochenen Wettlaufs ins All", sagt der amerikanische Politikwissenschaftler James Moltz. Der Buchautor ("Asia's Space Race") hat für das britische Fachblatt "Nature" die Aktivitäten, Motivationen und Risiken der jungen Raumfahrtnationen analysiert. Statt auf eine gemeinsame asiatische Linie stieß er dabei auf "nationalistische Strategien für das Weltall". Moltz' Fazit fällt ernüchternd aus: "Zwar kurbelt der Wettlauf den technischen Fortschritt in der Region an, gleichzeitig führt er aber zu doppelten wissenschaftlichen Ergebnissen, zur Verschwendung von Ressourcen, zu politischem Misstrauen und immer größeren militärischen Spannungen."

Die japanische Asteroidensonde Hayabusa-2 | Ein Beispiel für das ambitionierte Raumfahrtprogramm Japans: Die Asteroidensonde Hayabusa-2 soll sich im Jahr 2014 auf den Weg zum Asteroiden 1999 JU3 machen. Die Ankunft beim Asteroiden ist für Mitte 2018 geplant, die Rückkehr einer speziellen Kapsel mit einigen Gramm des Gesteins von 1999 JU3 zur Erde ist für Ende 2020 vorgesehen.

Dabei strebt keine der neuen Raumfahrtnationen offen eine Dominanz im All an. Zwar haben die asiatischen Aufsteiger auch kommerzielle und militärische Ziele, im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht aber der Wunsch nach Aufmerksamkeit, die Hoffnung auf Prestige. "Wie die Supermächte in den 1960er Jahren hoffen auch die asiatischen Führer, dass das Weltraumprogramm ihren Status im In- und Ausland steigert", sagt Moltz.

Der Wettlauf zum Mond

Da der Mond noch immer als das Aushängeschild der Raumfahrt gilt, haben alle drei asiatischen Weltraumgrößen in den vergangenen Jahren Sonden zum Erdtrabanten geschickt. In nächster Zeit will das Trio noch einmal nachlegen. Die Chinesen, die Ende Dezember einen neuen Fünf-Jahres-Plan fürs All vorgestellt haben, möchten 2016 sogar Bodenproben zur Erde bringen. Zudem will die Volksrepublik eine Machbarkeitsstudie für ihre erste bemannte Mondlandung in Auftrag geben.

Das klingt vage, aber es ist ein Signal – schließlich kommt den bemannten Missionen besondere Bedeutung zu: Beim Kampf um Anerkennung sollen sie helfen, "das rückständige Bild zu ändern, das viele Menschen von China haben, sie sollen den Nationalstolz stärken und das Selbstvertrauen", schreiben die amerikanischen Politikwissenschaftler Roger Handberg und Zhen Li in einer Studie zur chinesischen Raumfahrtpolitik. Kein Wunder, dass auch Indien 2016 erstmals aus eigener Kraft Astronauten ins All bringen will. Japan, das mit 2,6 Milliarden Dollar über das weltweite drittgrößte Raumfahrtbudget (nach den USA und Russland) verfügt, hat seit 1992 sogar 15 bemannte Missionen gestartet – allerdings in russischen und amerikanischen Raumfahrzeugen. Der bemannte Umbau der eigenen Raketen ist, obwohl weder kommerziell noch militärisch sinnvoll, immer wieder ein Thema.

Dienen die asiatischen All-Ambitionen also wirklich nur der Imagepflege? Die Staaten tun jedenfalls alles, um diesen Eindruck zu erwecken: "Eine übertrieben aggressive, aufs Militär ausgerichtete Raumfahrtpolitik würde den zivilen, diplomatischen und kommerziellen Nutzen zunichtemachen", schreiben Handberg und Li.

Wird das All militarisiert?

Im Stillen wird dennoch aufgerüstet, James Moltz will sogar "rasch wachsende" Militärbudgets ausgemacht haben. So hat das japanische Parlament vor einigen Jahren erstmals militärische Aktivitäten im Weltraum erlaubt. Indien, das jährlich 1,3 Milliarden Dollar für die Raumfahrt ausgibt – und damit ähnlich viel wie Deutschland –, will Raketen für den Abschuss feindlicher Satelliten entwickeln. Und in China fließt nach Berechnungen des European Space Policy Institute in Wien sogar die Hälfte des auf 2,2 Milliarden Dollar geschätzten Raumfahrtbudgets in militärische Projekte – obwohl sich der Fünf-Jahres-Plan für eine "friedliche Nutzung" des Alls ausspricht und ein Wettrüsten im Orbit explizit ausschließt.

Meist sind die militärischen Ambitionen ohnehin schwer zu entdecken. Sie werden verpackt in Projekte, für die Raumfahrtmanager den unverfänglichen Begriff "Dual Use" erfunden haben: Eigentlich haben solche Missionen zivile Ziele, sie werden aber auch den Ansprüchen der Militärs gerecht. So arbeiten die großen asiatischen Raumfahrtnationen allesamt an eigenen Navigationssystemen, die das amerikanische GPS ersetzen, ergänzen und im Notfall auch stören sollen. Im Dezember hat China zum Beispiel die ersten zehn Satelliten seines Beidou-Systems in Betrieb genommen. Sie decken fast die gesamte Volksrepublik ab. Bis zum Jahr 2020 sollen 25 weitere Satelliten für ein globales System hinzukommen.

Chinas erstes Raumstationstestmodul | Tiangong 1 – so heißt die erste provisorische Raumstation der Volksrepublik China im All. Ihr erstes Modul startete im September 2011 in den Weltraum.

Japan, das bei der Navigation mit Südkorea zusammenarbeiten will, hat ebenfalls erste Sender ins All gebracht. Vor allem konzentrieren sich die Japaner aber – genauso wie die Inder – auf Kommunikations- und Erdbeobachtungssatelliten. Man könnte auch sagen: auf Spionagesatelliten. Schließlich wollen die Länder wissen, was außerhalb ihrer Grenzen vor sich geht.

Überwachung der Erde – und der Nachbarn

So offen sagt das natürlich niemand, das wäre der kosmischen Charmeoffensive abträglich. Viel lieber betonen die Staaten den Wert internationaler Kooperationen. Vor allem China ist hier äußerst aktiv: Mit russischer Hilfe wollten die Chinesen Ende 2011 ihre erste Raumsonde zum Mars schicken. Das Projekt scheiterte allerdings daran, dass die Muttersonde "Phobos-Grunt" auf Grund technischer Probleme nicht über den Erdorbit hinauskam. Erfolgreicher war die Zusammenarbeit mit den Deutschen, die im November als erste Ausländer 17 Experimente an Bord eines unbemannten chinesischen Raumschiffs starten durften.

Auch die Europäer geben sich bewusst offen: "Wir müssen schauen, welche Möglichkeiten bestehen, um mit China zusammenzukommen", sagt Thomas Reiter, Direktor für Bemannte Raumfahrt bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Ausgewählte Mitarbeiter nehmen bereits chinesischen Sprachunterricht, Reiter selbst traf sich zuletzt im November mit den asiatischen Kollegen – und war fasziniert: Die Chinesen hätten sich "eindrucksvoll, sehr bescheiden und auf sehr sympathische Weise" präsentiert.

Kooperative Europäer, opponierende Amerikaner

Ginge es nach den Europäern, dürfte China – wie bereits Japan – auch auf der Internationalen Raumstation ISS mitmischen. Nur die USA sind strikt dagegen. Gedemütigt von der letztjährigen Niederlage verfallen sie in die üblichen Anti-China-Reflexe: Republikanische Abgeordnete verbieten der US-Raumfahrtbehörde NASA, Geld für gemeinsame Projekte mit China auszugeben. Konservative Kommentatoren wie der einflussreiche Kolumnist Cal Thomas schüren die Angst vor chinesischen Militärbasen auf dem Mond – ohne zu sagen, wofür so etwas gut sein sollte. Und der Hotelmagnat Robert Bigelow, der künftig Geld mit aufblasbaren Raumstationen verdienen möchte, behauptet gar, dass China den kompletten Mond in Besitz nehmen wolle. Bigelow sagt aber auch: "Die Furcht davor ist der beste Tritt in den Hintern, den sich die NASA vorstellen kann."

Taikonaut im All | 2008 unternahm der chinesische Raumfahrer Zhai Zhigang einen Ausflug ins All und verließ dazu sein Shenzhou-7-Raumfahrzeug mit der Fahne seines Landes in der Hand.

Die Strategie ist klar: Die vermeintliche rote Gefahr im All soll helfen, das amerikanische Raumfahrtprogramm wieder auf die Beine zu bringen. Sie soll einen zweiten Wettlauf ins All befeuern, von dem vor allem die US-Industrie profitieren würde. Raumfahrtexperten wie Joan Johnson-Freese vom Naval War College in Rhode Island sehen solche Versuche allerdings äußerst skeptisch. "Falls sich tatsächlich ein Wettlauf entwickeln sollte, liegen die Vorteile auf Seiten Chinas. Dort gibt es den nötigen politischen Willen, der in den USA schlichtweg nicht vorhanden ist", sagt Johnson-Freese im Gespräch mit dem amerikanischen Onlinedienst Space.com.

Auch James Moltz macht sich für Kooperation statt Konfrontation stark: China sollte verstärkt in internationale Projekte eingebunden werden. Das würde nicht nur einen sinnlosen Wettlauf verhindern, es wäre auch ein Signal an die anderen asiatischen Raumfahrtnationen. Die kämen nicht daran vorbei, ihr Verhalten zu ändern, "weg von regionalen Rivalitäten, hin zu gemeinsamen Aktionen zum Wohl der Menschheit".

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