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Typ-1-Diabetes: Transplantierte Zellen sollen Blutzuckerspiegel regeln

Täglich Insulin spritzen? Vielleicht ist damit irgendwann Schluss. Zumindest bei tierischen Diabetikern ist es Forschern nun gelungen, Zellen unter die Haut zu verpflanzen, die das Hormon herstellen.
Auch Mäuse können Diabetes bekommen

Menschen mit Typ-1-Diabetes können selbst kein Insulin mehr herstellen und müssen sich das Hormon daher je nach Bedarf spritzen. Ein Team um den Mediziner Divyansh Agarwal von der University of Pennsylvania hat nun eine neue Methode entwickelt, um diabeteskranken Tieren jene Zellen aus der Bauchspeicheldrüse zu transplantieren, die das Hormon herstellen. Die Forscher setzten Mäusen und Affen Insulin produzierende Zellen, so genannte Inselzellen, von tierischen oder menschlichen Spendern unter die Haut, eingebettet in eine neuartige Spezialmatrix. Mehr als zwei Jahre lang konnte ein Affe seinen Blutzuckerspiegel so optimal regulieren, berichtet das Team in der Fachzeitschrift »Nature Metabolism«.

Das Hormon Insulin senkt den Blutzuckerspiegel, indem es den Zucker aus dem Blut in die Zellen schleust. Bei Typ-1-Diabetikern zerstört allerdings das eigene Immunsystem Insulin produzierende Zellen, weshalb sie permanent einen zu hohen Blutzuckerspiegel aufweisen. Es ist bereits heute möglich, Betroffenen Insulin produzierende Inselzellen – auch Langerhans-Inseln genannt – zu transplantieren. Dazu werden die Zellen aus der eigenen Bauchspeicheldrüse oder der eines Spenders isoliert und in die Leber des Patienten eingebracht. Dort integrieren sie sich in das Gewebe und stellen Insulin sowie dessen Gegenspieler Glukagon her. Bei Menschen, denen die Bauchspeicheldrüse auf Grund eines Tumors entfernt werden musste, funktioniert diese Therapie relativ gut, da man ihnen ihre eigenen, noch gesunden Inselzellen einsetzen kann. Allerdings ist die Leber nicht der optimale Ort für die Drüsenzellen; sie überleben dort nicht lange, und es kann zu Entzündungen kommen. Außerdem ist ein solcher Eingriff aufwändig und risikobehaftet.

Wesentlich einfacher wäre es, die Spenderzellen dem Empfänger direkt unter die Haut zu verpflanzen. Außerdem könnte Ärzte so besser kontrollieren, ob es zu Komplikationen kommt und die Transplantate notfalls schnell wieder entfernen.

Zahlen und Fakten zu Diabetes

Derzeit sind in Deutschland etwa sieben Millionen Menschen von Diabetes mellitus – umgangssprachlich als Zuckerkrankheit bezeichnet – betroffen. Ihr Blutzuckerspiegel ist dauerhaft erhöht. Das schädigt die Gefäße und verschiedenste Organe. Forschende des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung schätzen, dass im Jahr 2040 bis zu zwölf Millionen Menschen an der Stoffwechselerkrankung leiden könnten.

Dabei unterscheidet man hauptsächlich zwei Formen: Typ-1-Diabetes ist die seltenere. Sie tritt meist schon im Kindes- und Jugendalter auf. Dabei greift das eigene Immunsystem die Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse an. Folglich können sie kein Insulin mehr herstellen. Menschen, die unter Typ-2-Diabetes leiden, können zwar Insulin herstellen. Ihre Körperzellen reagieren aber nicht mehr darauf. Die Bauchspeicheldrüse versucht dies auszugleichen, indem sie immer mehr Insulin ausschüttet. Trotzdem gelangt immer weniger Zucker in die Körperzellen. In der Regel tritt die Erkrankung erst nach dem 40. Lebensjahr auf, zunehmend sind aber auch Jüngere betroffen. Neben einer genetischen Veranlagung erhöhen Bewegungsmangel und Übergewicht das Risiko dafür.

In einem Bett aus Kollagen leben Inselzellen länger

In der Bauchspeicheldrüse sind die Zellen, die Insulin und Glukagon herstellen, in einer Matrix aus Eiweißfasern, den Kollagenen, eingebettet. Sie sind ein wichtiger Bestandteil des Bindegewebes und kommen in der Haut, Knochen, Zähnen, Knorpeln, Sehnen und Bändern aller Säugetiere vor. Vorherige Studien haben gezeigt, dass ein Mantel aus diesen Proteinen Inselzellen dabei hilft, länger zu überleben. Auf Basis dieses Wissens konzipierte das Team von der University of Pennsylvania eine spezielle Kollagen-Matrix. Dieser mischte es einer Nährstoffkombination bei, bei der sich Inseln in der Kulturschale besonders wohl gefühlt hatten.

Zunächst erprobten die Forscher ihre neue Methode an rund 100 diabeteskranken Mäusen. Sie setzten ihnen in Matrix gebettete Inselzellen von anderen Mäusen, Schweinen oder Menschen im Bauchraum unter die Haut. Und tatsächlich: Die Tiere konnten ihren Blutzucker von nun an selbst regulieren. Untersuchungen von Gewebeproben ergaben, dass die fremden Inselzellen gut angewachsen waren und im Schnitt mehr als 100 Tage lang die gewünschten Hormone produzierten. Schnitten die Mediziner die Transplantate wieder heraus, so stieg der Zuckerspiegel der Nager wieder in ungesunde Höhen.

Im nächsten Schritt wählten die Forscher ein Tiermodell, das dem Menschen ähnlicher ist: den Javaneraffen (Macaca fascicularis). Sie entfernten zwei Tieren die Bauchspeicheldrüse, was zu Typ-1-Diabetes führt. Anschließend wurden den beiden Tieren jeweils ihre eigenen Inselzellen inklusive Spezialmatrix eingesetzt. Einer der Affen brauchte etwa 800 Tage lang kein fremdes Insulin, um seinen Blutzuckerspiegel auf ein gesundes Maß zu regulieren; erst dann stieg dieser wieder an. Die Arbeitsgruppe vermutet, es könne daran liegen, dass das Tier an Gewicht zugelegt hat. Oder aber es seien zu wenige Inselzellen verblieben, nachdem sie ihm einige Zeit nach der Transplantation Teile des Gewebes zu Untersuchungszwecken entnommen hatten.

Der zweite Affe war trotz des Transplantats auf tägliche Insulinspritzen angewiesen. Die Mediziner erklären sich dies dadurch, dass sie ihm nach der Entfernung seiner Bauchspeicheldrüse zusätzlich eine Chemikalie verabreicht hatten, die die restlichen Inselzellen abtöten sollte. Vielleicht, so schreiben sie, habe das Medikament noch nachgewirkt und auch die transplantierten Zellen vergiftet. Zudem habe das Tier insgesamt weniger Inselzellen gehabt und verpflanzt bekommen als das andere.

Nichtsdestoweniger, so schließen die Forscher, zeigten die Ergebnisse, dass die neu entwickelte Matrix das Überleben und die Funktion von Inselzellen verbessere. Sie Patienten auf diese Weise unter die Haut zu transplantieren, könne eine einfache und sichere Methode zur Therapie von Typ-1-Diabetes darstellen.

Nicht revolutionär, aber wertvoll

Dass die neue Methode des Teams bei Mäusen offenbar recht gut funktioniert, ist für Stefan Bornstein vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden keine Überraschung: »Bei Kleintieren ist vieles möglich.« Zum Affen sei es allerdings ein großer Sprung. Den Erfolg bei dem einen Tier hält er darum für durchaus erstaunlich. Auch Barbara Ludwig, Leiterin der Inseltransplantation – im Übrigen dem einzigen solchen Zentrum in ganz Deutschland – am Dresdner Universitätsklinikum hält die Arbeit für sehr eindrucksvoll. Eine solch sorgfältige und umfassende Studie sehe man selten, sagt sie. Dahinter stecke jahrelange Arbeit. Auch wenn die Idee an sich nicht neu ist, bewertet die Oberärztin die Studie als einen wertvollen Beitrag.

»Inselzellen brauchen sehr viel Sauerstoff«Stefan Bornstein, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden

Bornstein zufolge versuchen Forscher schon seit 40 bis 50 Jahren, Tieren Inselzellen unter die Haut zu verpflanzen. Aber: »Inselzellen brauchen sehr viel Sauerstoff«, sagt der Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik. Daran seien die meisten bisherigen Versuche gescheitert. Denn das Gewebe unter der Haut ist nur schlecht durchblutet. Wie die neue Matrix die Sauerstoffversorgung der Transplantate sicherstellt, beschreibt die Forschergruppe in ihrer Arbeit nicht. Auf Nachfrage erklärt Studienautor Agarwal, dass die Zellen in der Matrix länger überleben. Sie fahre gewisse Signalwege herunter, die normalerweise dazu führen, dass die Inseln absterben. Zusätzlich helfe sie dem Gewebe offenbar dabei, neue Blutgefäße auszubilden. Wie genau das funktioniert, will das Team in künftigen Studien untersuchen.

Ludwig kann sich vorstellen, dass die Matrix die Zellen generell robuster und dadurch weniger anfällig für einen Sauerstoffmangel macht. Das sei bereits ein großer Fortschritt. Ob die Methode auch in menschlichem Gewebe funktioniert, müsse aber zunächst überprüft werden. Schließlich ist der Körper eines Affen anders aufgebaut als der eines Menschen. »Das sind Wildtiere. Sie bestehen praktisch nur aus Haut und Muskeln«, sagt die Medizinerin. Menschen haben viel mehr Fett unter der Haut. Zwei Tiere seien überdies zu wenig, um daraus Schlüsse ziehen zu können. Zunächst gilt es also, die Ergebnisse an weiteren Exemplaren zu reproduzieren.

»Das sind Wildtiere. Sie bestehen praktisch nur aus Haut und Muskeln«Barbara Ludwig, Leiterin der Inseltransplantation am Dresdner Universitätsklinikum

Außerdem müsse man sehr genau prüfen, ob das Insulin tatsächlich von den unter die Haut transplantieren Zellen stamme oder von verbliebenen Inselzellen der Bauchspeicheldrüse, gibt Mediziner Bornstein zu Bedenken. Dass die Autoren in dem Gewebe spezielle Zellpopulationen anfärben können, bedeute noch lange nicht, dass die Zellen tatsächlich für die Produktion der blutzuckerregulierenden Hormone verantwortlich sind. Es könnte also sein, dass der Affe nur deshalb kein Insulin gebraucht hat, weil seine Bauchspeicheldrüse nicht restlos entfernt wurde. Das würde auch erklären, weshalb die Behandlung bei dem anderen Tier nicht geklappt hat.

Probleme bleiben

Zwei grundlegende Probleme bei der Inselzelltransplantation werden durch die neue Methode nicht gelöst. Erstens: Die transplantierten Tiere – und damit auch Menschen – müssten dauerhaft immunsupprimierende Medikamente einnehmen, damit die fremden Zellen nicht vom Körper abgestoßen werden. Hinzu kommt, dass es sich bei Typ-1-Diabetes um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der das Immunsystem des Patienten ohnehin schon die körpereigenen Inselzellen angreift. Das gilt es zu verhindern, etwa indem man die transplantierten Zellen von der Körperabwehr abschirmt, sonst geben auch sie schnell den Geist auf.

Zweitens: Weil den Affen nur körpereigene Inselzellen transplantiert wurden, ist nicht klar, ob die Methode auch mit artfremden Spenderzellen oder alternativen Quellen, etwa umprogrammierten Stammzellen, funktionieren könnte. Denn: Menschliche Spenderzellen sind absolute Mangelware, besonders in Deutschland. Laut Zahlen der Deutschen Stiftung Organtansplantation werden in Deutschland jährlich etwa 95 Transplantationen der Bauchspeicheldrüse durchgeführt. Fast 300 Patientinnen und Patienten warten derzeit auf ein Spenderorgan.

Andere Forschungsansätze bestehen darin, die Inselzellen in eine Art Bioreaktor zu verpacken, dem von außen Sauerstoff zugeführt wird. Letzteres ist Bornstein und seinen Kollegen am Dresdner Uniklinik im Jahr 2013 bereits bei einem Patienten gelungen. In den Bauchraum transplantiert – geschützt durch die Wände des Reaktors – versorgten die menschlichen Inselzellen den Mann knapp ein Jahr mit Insulin, ohne dass dieser Immunsuppressiva einnehmen musste. Die Dresdener arbeiten ebenso an Konzepten für die Transplantation von Schweinezellen, so dass man ganz auf menschliche Spender verzichten könnte.

Doch: Mit einem Ansatz ließen sich meistens nicht alle Probleme auf einmal lösen, sagt Ludwig. Jener des Teams um Agarwal sei einfach, unkompliziert und deshalb sehr attraktiv. Möglicherweise könne man die neue Matrix mit anderen Ansätzen kombinieren. Sie enthalte keine gefährlichen oder problematischen Stoffe, und es sei denkbar, sie in klinischen Studien zu untersuchen, sagt die Ärztin. Klinikdirektor Bornstein stimmt zu. Bis zum klinischen Durchbruch sei es sicher noch ein weiter Weg, doch es lohne sich, ihn weiterzugehen. Eine gewisse Skepsis sei jedoch zu jeder Zeit angebracht.

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