Naturkatastrophen: Tsunamis in L.A.
Der Kontinentalschelf vor Südkalifornien ist wie kein anderer. Eingeklemmt zwischen den gegeneinandergleitenden Erdplatten Nordamerikas und des Pazifiks liegen dort mehrere kleine Krustenblöcke. Die Region hat eine bewegte tektonische Geschichte hinter sich, von der bis heute neben alten Vulkankratern vor allem Dutzende Verwerfungen künden. Entlang dieser Bruchzonen bewegen sich Kontinentsplitter unter dem Einfluss der Scherkräfte der großen Platten gegeneinander.
Eine Arbeitsgruppe um den US-Geologen Mark Legg macht nun in diesem Wechselspiel der Verformungen eine bisher unbekannte Gefahr aus: Demnach treten in dieser Region nicht nur ebenfalls sehr starke Erdbeben bis zur Magnitude 8 auf, sondern der Meeresboden kann sich dabei auch ruckartig um mehrere Dezimeter heben oder senken – und damit einen lokalen Tsunami auslösen.
Bisher gibt es für solche Tsunamis – anders als in anderen Regionen – keine direkten Indizien wie charakteristische Sandablagerungen. Gesucht hat danach allerdings auch noch niemand, denn dort sollte es seit 30 Millionen Jahren keine von Seebeben ausgelösten Monsterwellen mehr geben. Die als Borderlands bekannte Region ist nämlich das Überbleibsel einer alten Subduktionszone, an der die Farallon-Platte bis vor etwa 30 Millionen Jahren unter Nordamerika abtauchte. An solchen Plattengrenzen treten von Japan bis Chile traditionell schwere Seebeben und Tsunamis auf. Vor Los Angeles fand dieser Vorgang jedoch ein Ende, als der Ostpazifische Rücken auf den Kontinent traf – die Bewegungsrichtung des zuvor abtauchenden Ozeanbodens kehrte sich plötzlich um.
Damit begann die Geschichte der Borderlands. Denn was zuvor ein gestauchter aktiver Kontinentrand war, wurde plötzlich stark gedehnt: Die Erdkruste zerbrach in Schollen, die sich gegeneinander hoben und senkten. Diese Struktur aus so genannten Gräben und Horsten ähnelt in kleinem Maßstab der Basin-and-Range-Provinz weiter östlich. Sie entstand auf die gleiche Weise. Die Becken und Rücken prägen die Borderlands und auch Teile des Festlands bis heute, so zum Beispiel in Form des Los-Angeles-Beckens.
Legg und sein Team verwendeten detaillierte Karten des Meeresbodens, gewonnen im Jahr 2010 in Kartierungen mit dem Fächerecholot, um die Struktur zweier großer, mehrere hundert Kilometer langer Verwerfungen zu entschlüsseln. Diese beiden Verwerfungen, die Santa-Cruz-Catalinarücken-Verwerfung und die Ferrelo-Verwerfung, sind Transformstörungen und ähneln damit der San-Andreas-Verwerfung auf dem Festland. Allerdings gibt es bei ihnen eine zusätzliche Komplikation: Die nordwestliche Bewegung der Pazifischen Platte schleppt die beteiligten Blöcke nach Norden – wo sie auf einen 200 Kilometer langen, gebirgigen Vorsprung in der Küste des Kontinents treffen.
Laut Legg und seinen Kollegen hat dieser Umstand gravierende Folgen für die Geometrie der Störungszonen – die nämlich werden ebenfalls zusammengedrückt, und dadurch wird aus dem reinen Aneinandergleiten ein Übereinandergleiten. In den Sonarbildern des Meeresbodens äußert sich das in Form von Steilstufen und anderen Indizien dafür, dass sich Meeresboden einst relativ zu seiner Umgebung gehoben oder gesenkt hat. Das kann er wieder tun – und zwar recht abrupt. Es gebe keinen Grund, weshalb die beiden untersuchten Verwerfungen nicht auch Erdbeben hervorbringen sollten, schreibt die Arbeitsgruppe.
Zumal sie das in der Vergangenheit bereits getan haben – die Region um diese beiden Verwerfungen hat im 20. Jahrhundert etwa ein halbes Dutzend Erdbeben um die Stärke 6 hervorgebracht, bislang ohne Folgen. Allerdings sind die Santa-Cruz-Catalinarücken-Verwerfung und die Ferrelo-Verwerfung zu mehr fähig: Mit Längen von etwa 300 Kilometern können sie, so Legg, Erdbeben bis zur Magnitude 8 und einen Tsunami hervorrufen – im Extremfall keine 100 Kilometer von der Metropole Los Angeles entfernt.
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