Direkt zum Inhalt

News: Tumoren zeigen Nerven

Tumoren führen eine Art Eigenleben. So veranlassen sie die Bildung eines Blutgefäßsystem, mit dem sie ihre eigene Versorgung sicher stellen. Die Selbstständigkeit geht aber offensichtlich noch weiter: Deutsche Forscher entdeckten, dass Tumoren auch Nerven enthalten.
Unser Körper baut sich aus etwa 100 Billionen individueller Zellen auf. Jede einzelne muss dabei die ihr zugewiesene Aufgabe zuverlässig erfüllen, sodass das Gesamtsystem des Organismus einwandfrei funktioniert. Mitunter machen jedoch einige Zellen diese Spiel nicht mit: Sie scheren aus dem Orchester aus und vermehren sich hemmungslos. Ein Tumor kann die Folge sein.

Dabei beginnen die revoltierenden Zellen mit einem Eigenleben, das sie auf Kosten des Organismus führen. Sie veranlassen das Wachstum von Blutgefäßen, über die sie sich mit Nährstoffen versorgen. Schließlich können sie sich im gesamten Körper verbreiten und Tochtergeschwulste ausbilden – mit oft tödlichem Ausgang.

Die Bildung tumoreigener Blutgefäße ist den Medizinern schon lange bekannt. Diese Blutgefäße können jedoch das Tumorwachstum nicht restlos erklären. Was sagt beispielsweise dem Tumor, ob, wann oder wie schnell er wachsen soll? Welche Einflüsse des Körpers oder auch der Psyche gibt es auf den Tumor, und wie werden diese vermittelt? Hierfür wäre ein Nervensystem erforderlich, doch das wurde bisher noch nie bei Tumoren nachgewiesen.

Bis jetzt. Denn der Zufall offenbarte, dass Tumoren in ihrem Eigenleben tatsächlich so weit gehen können. Peter Seifert und Manfred Spitznas von der Universität Bonn entdeckten zufällig in einem Augentumor eine Nervenfaser. Zusammen mit den Aachener Wissenschaftlern Michael Benedic und Peter Effert ging Seifert der Sache nach und fahndete mit dem Elektronenmikroskop in Harnblasenkarzinomen von fünf Patienten zielgerichtet nach Nervengewebe. Diese Tumoren grenzen sich deutlich vom Körpergewebe ab, sodass Fehlinterpretationen unwahrscheinlich sind.

Die Neugier der Wissenschaftler wurde belohnt: Bei allen Proben entdeckten sie tatsächlich Nervenfasern. Seifert schränkt jedoch ein: "Der Durchmesser und die Verteilungsdichte dieser Nerven sind äußerst gering. Wir haben bei jedem Tumor unter hoher elektronenmikroskopischer Vergrößerung wochenlang etliche Präparate analysiert, bevor wir fündig wurden."

Gleichzeitig suchten die Forscher auch nach Neurotransmittern, die für die Weiterleitung der Nervensignale unabdingbar sind. Und auch hier verlief die Suche erfolgreich: Im Tumorgewebe ließ sich das so genannte vasoaktive intestinale Neuropeptid VIP nachweisen, das vom sympathischen Nervensystem gebildet wird.

Inwieweit Tumoren sich tatsächlich selbst über ein eigenes Nervensystem steuern, bleibt offen. "Über die Funktionen der Nervenfasern in Tumoren lässt sich im Moment nur spekulieren", betont Seifert. Er ist aber davon überzeugt, auf ein allgemeines Phänomen von Tumoren gestoßen zu sein und wird entsprechend bei anderen Tumoren nach Nerven Ausschau halten.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.