Krebs: Überrollte Nachschubbasis
Die körpereigene Abwehr wird von Blutkrebs in einen Hinterhalt gelockt, bevor sie zu einem würdigen Gegner heranreifen kann. Mediziner hoffen das in Zukunft einmal zu verhindern, indem sie den falschen Lockruf der Leukämiezellen verstummen lassen.
Leukämie ist ebenso bösartig wie irgendwie anders: Im Gegensatz zu den vielen Tumorerkrankungen, die zusammenhängende Zellgewebe von einem entarteten Zentrum aus überwuchern, bringt der Blutkrebs durch noch nicht genau verstandene Heimtücke das ganze dynamische, dezentrale Gewirbel der Blutzellen im Körperkreislauf nach und nach aus dem Gleichgewicht – und sorgt schließlich dafür, dass das unbalancierte Blutkörperchengemisch seine Aufgabe nicht mehr ordentlich erfüllt.
Wo aber ist die schwache Stelle des Körperkreislaufs, in den die Krebszellen eine erste Bresche schlagen? Sehr verdächtig sind seit Langem jene Gewebefabriken, in denen der Blutzellnachschub im Normalfall problemlos hergestellt wird: die "Blutstammzellnischen" im Knochenmark. In ihnen sorgen speziell konstruierte Zellnachbarschaften für ein Mikrohabitat, in dem aus einem bestimmten Typ adulter Stammzellen jene "hämatopoetischen" Vorläuferzellen entstehen, die dann zu roten und den verschiedenen Formen der weißen Blutkörperchen werden.
Diese Nischen werden allerdings durch Leukämie massiv bedrängt: Entartete Zellen in der Nähe breiten sich im Knochenmark ungebremst und rücksichtslos so lange aus, bis die Stammzellen den Betrieb, schon allein aus Platzgründen, wegen Überfüllung ihrer Nische schließen müssen. Das aber, berichten nun Dorothy Sipkins und ihre Kollegen von der University of Chicago, ist noch längst nicht die ganze Geschichte.
Die Forscher haben mit verschiedenen leistungsfähigen Mikroskopen einen Blick ins Innere von Mäusen mit akuter lymphatischer Leukämie geworfen und sich dabei besonders auf das Geschehen in den Stammzellnischen des Knochenmarks konzentriert.
Lockende Krankmacher
Im Normalfall ist das gewünscht, ja notwendig: HPCs müssen, nachdem sie einen gewissen Reifegrad erreicht haben, gelegentliche Zwischenstopps in einer Stammzellnische einlegen, wo sie, durch SCF angelockt, mit weiteren Ressourcen versorgt werden. Bei den Leukämie-Mäusen in Sipkins' Labor wirkte der in hoher Dosis von den entarteten Zellen in den Nischen ausgeschüttete Lockstoff aber übermäßig anziehend: Schon nach einem Monat sorgte er dafür, dass sogar bereits in anderen, gesunden Stammzellnischen niedergelassene HPCs heraneilten.
In der Falle und außer Dienst
In der vom Krebs übernommenen Gewebenische sitzen die HPCs dann, durch das Locksignal gebannt, fest und können sich auch nicht zu anderen Zelltypen weiterentwickeln, erkannten die Forscher – weshalb der gesamte Blutzellnachschub stockt und schließlich versiegt. Eben dies macht sich in dem klassischen, von Krebsmedizinern im Blutbild gefürchteten Symptom der Leukämie bemerkbar: Die Zahl der von HPCs abgeleiteten Blutzellen verändert sich dramatisch.
Obwohl diese Wirkstoffe tatsächlich dafür sorgen, dass HPCs ins Blut auswandern, wirken sie jedoch nur auf die Vorläuferzellen in noch gesunden Stammzellnischen, erkannte Sipkins. In eine leukämische Nischenfalle gelockte HPCs stehen derart unter der Kontrolle des vom Krebs abgegebenen Wirkstoffgemischs, dass sie auf die herauslockenden Medikamente nicht länger reagieren.
Aus noch gesunden Nischen entlassene HPCs teilen dagegen bald das Schicksal ihrer schon festgenagelten Kollegen, zeigte Sipkins' Team in einem weiteren Versuch: Den leukämiekranken Nagern injizierte Vorläuferzellen waren innerhalb kürzester Zeit ebenfalls von den erkrankten Knochenmarknischen angelockt und festgesetzt worden.
Gekaufte Zeit
Ein letztes Tierexperiment gibt den Krebsforschern allerdings Hoffnung und einen neuen Ansatz der Leukämiebekämpfung, den sie vielleicht einmal auch im Menschen testen können: Womöglich gelingt es, die von den entarteten Zellen abgegebenen, stammzellanlockenden Signale zu blockieren. In den Versuchen an Mäusen sorgte eine Neutralisierung von SCF zumindest recht prompt dafür, dass wieder mehr HPCs im Blut auftauchten.
Das allein wäre selbst dann noch keine Erfolg versprechende Leukämietherapie, wenn sich der Ansatz auch in Menschen bewährt, dämpft Sipkins zu übertriebene Hoffnungen – immerhin aber ein weiteres Werkzeug, mit dem der Krebs in die Zange genommen werden kann. "Wir kaufen damit vielleicht etwas Zeit", so die Medizinerin, "um dem Immunsystem die Chance zu geben, die körpereigenen Waffen gegen den Krebs in Stellung zu bringen." Zumindest könnten aus ihrer Falle befreite HPCs in größerer Zahl auch entnommen werden, um dann vervielfältigt, zu Immunzellen umgewandelt – und, reinjiziert, als körpereigene Waffen gegen den Blutkrebs eingesetzt zu werden. Wenn sie die besetzten Stammzellnischen befreien oder neutralisieren könnten, wäre dann vielleicht auch ein Sieg auf Dauer gegen den Blutkrebs denkbar.
Wo aber ist die schwache Stelle des Körperkreislaufs, in den die Krebszellen eine erste Bresche schlagen? Sehr verdächtig sind seit Langem jene Gewebefabriken, in denen der Blutzellnachschub im Normalfall problemlos hergestellt wird: die "Blutstammzellnischen" im Knochenmark. In ihnen sorgen speziell konstruierte Zellnachbarschaften für ein Mikrohabitat, in dem aus einem bestimmten Typ adulter Stammzellen jene "hämatopoetischen" Vorläuferzellen entstehen, die dann zu roten und den verschiedenen Formen der weißen Blutkörperchen werden.
Diese Nischen werden allerdings durch Leukämie massiv bedrängt: Entartete Zellen in der Nähe breiten sich im Knochenmark ungebremst und rücksichtslos so lange aus, bis die Stammzellen den Betrieb, schon allein aus Platzgründen, wegen Überfüllung ihrer Nische schließen müssen. Das aber, berichten nun Dorothy Sipkins und ihre Kollegen von der University of Chicago, ist noch längst nicht die ganze Geschichte.
Die Forscher haben mit verschiedenen leistungsfähigen Mikroskopen einen Blick ins Innere von Mäusen mit akuter lymphatischer Leukämie geworfen und sich dabei besonders auf das Geschehen in den Stammzellnischen des Knochenmarks konzentriert.
Lockende Krankmacher
Sie beobachteten zunächst, dass Krebszellen wie erwartet sehr schnell in die Nischen eindringen. Von dort aus begannen die Zellen dann nach zwei Tagen damit, einen typischen Cocktail von Signalsubstanzen in die benachbarten Abschnitte des Blutkreislaufs abzugeben. Eines der freigesetzten Signale ist, so erkannten die Wissenschaftler, der so genannte Stammzellfaktor SCF. Er hat im gesunden Körper die Aufgabe, Blutstammzellen und ihre etwas differenzierteren Abkömmlinge, die hämatopoetischen Vorläuferzellen (HPCs), anzulocken und in die für sie bestimmte Gewebeumgebung zu dirigieren.
Im Normalfall ist das gewünscht, ja notwendig: HPCs müssen, nachdem sie einen gewissen Reifegrad erreicht haben, gelegentliche Zwischenstopps in einer Stammzellnische einlegen, wo sie, durch SCF angelockt, mit weiteren Ressourcen versorgt werden. Bei den Leukämie-Mäusen in Sipkins' Labor wirkte der in hoher Dosis von den entarteten Zellen in den Nischen ausgeschüttete Lockstoff aber übermäßig anziehend: Schon nach einem Monat sorgte er dafür, dass sogar bereits in anderen, gesunden Stammzellnischen niedergelassene HPCs heraneilten.
In der Falle und außer Dienst
In der vom Krebs übernommenen Gewebenische sitzen die HPCs dann, durch das Locksignal gebannt, fest und können sich auch nicht zu anderen Zelltypen weiterentwickeln, erkannten die Forscher – weshalb der gesamte Blutzellnachschub stockt und schließlich versiegt. Eben dies macht sich in dem klassischen, von Krebsmedizinern im Blutbild gefürchteten Symptom der Leukämie bemerkbar: Die Zahl der von HPCs abgeleiteten Blutzellen verändert sich dramatisch.
Sipkins' Beobachtung macht zudem deutlich, warum ein oft verfolgter Ansatz, die beobachteten Symptome anzugreifen, ein Kampf gegen Windmühlen ist. Mediziner versuchen dabei, den offensichtlichen Mangel von HPCs im Blut bei Leukämie dadurch zu bekämpfen, dass sie HPC-mobilisierende Medikamente einsetzen – im Blutstrom patrouillierende HPCs könnten dann gewonnen, repliziert und wieder gespritzt werden.
Obwohl diese Wirkstoffe tatsächlich dafür sorgen, dass HPCs ins Blut auswandern, wirken sie jedoch nur auf die Vorläuferzellen in noch gesunden Stammzellnischen, erkannte Sipkins. In eine leukämische Nischenfalle gelockte HPCs stehen derart unter der Kontrolle des vom Krebs abgegebenen Wirkstoffgemischs, dass sie auf die herauslockenden Medikamente nicht länger reagieren.
Aus noch gesunden Nischen entlassene HPCs teilen dagegen bald das Schicksal ihrer schon festgenagelten Kollegen, zeigte Sipkins' Team in einem weiteren Versuch: Den leukämiekranken Nagern injizierte Vorläuferzellen waren innerhalb kürzester Zeit ebenfalls von den erkrankten Knochenmarknischen angelockt und festgesetzt worden.
Gekaufte Zeit
Ein letztes Tierexperiment gibt den Krebsforschern allerdings Hoffnung und einen neuen Ansatz der Leukämiebekämpfung, den sie vielleicht einmal auch im Menschen testen können: Womöglich gelingt es, die von den entarteten Zellen abgegebenen, stammzellanlockenden Signale zu blockieren. In den Versuchen an Mäusen sorgte eine Neutralisierung von SCF zumindest recht prompt dafür, dass wieder mehr HPCs im Blut auftauchten.
Das allein wäre selbst dann noch keine Erfolg versprechende Leukämietherapie, wenn sich der Ansatz auch in Menschen bewährt, dämpft Sipkins zu übertriebene Hoffnungen – immerhin aber ein weiteres Werkzeug, mit dem der Krebs in die Zange genommen werden kann. "Wir kaufen damit vielleicht etwas Zeit", so die Medizinerin, "um dem Immunsystem die Chance zu geben, die körpereigenen Waffen gegen den Krebs in Stellung zu bringen." Zumindest könnten aus ihrer Falle befreite HPCs in größerer Zahl auch entnommen werden, um dann vervielfältigt, zu Immunzellen umgewandelt – und, reinjiziert, als körpereigene Waffen gegen den Blutkrebs eingesetzt zu werden. Wenn sie die besetzten Stammzellnischen befreien oder neutralisieren könnten, wäre dann vielleicht auch ein Sieg auf Dauer gegen den Blutkrebs denkbar.
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