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News: Unerwartet staubiges Universum

Spiralgalaxien - wie unsere Milchstrasse - enthalten bis zu zehnfach größere Mengen an kaltem Staub als die Astronomen bisher vermutet haben. Das zeigen die Beobachtungen des europäischen Infrarot-Satelliten ISO. Die neuesten Ergebnisse dieser Weltraummission stehen im Mittelpunkt der vom Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, vom 8. bis 12. November auf Schloß Ringberg am Tegernsee organisierten Tagung 'ISO Surveys of a Dusty Universe'.
Der Raum zwischen den Sternen unserer Milchstraße ist keinesfalls vollständig leer. Er enthält vielmehr neben Gas auch große Ansammlungen von Staub. Das zeigt ein Blick auf das Sternbild des Schützen besonders eindrucksvoll: Dort erscheint die sonst gleichförmige Verteilung der Sterne am Himmel mit dunklen Bändern durchzogen. Dies wird von Staubwolken verursacht, die das Licht der dahinter liegenden Sterne stark schwächen.

Anders als bei unserer Milchstraße läßt sich der Staub in anderen, extragalaktischen Sternsystemen allerdings nicht einfach durch Messen des abgeschwächten Sternenlichts bestimmen. Diese Galaxien sind so weit entfernt, daß die Astronomen einzelne Sterne nicht mehr getrennt voneinander unterscheiden ("auflösen") können. Es gibt aber einen Trick, trotz mangelnder Sehschärfe den gesamten Staub dennoch zu beobachten: Der Staub absorbiert ("verschluckt") nämlich das optisch sichtbare Licht von heißen Sternen in seiner Umgebung, und sendet die aufgenommene Energie anschließend als Wärmestrahlung mit größeren Wellenlängen im Bereich des "fernen Infrarot" wieder aus. Je nach den Abständen zu den Sternen der Umgebung "erwärmen" sich die kosmischen Staubteilchen dabei auf etwa minus 255 Grad Celsius und "glimmen" dann in der für das menschliche Auge unsichtbaren Infrarotstrahlung bei Wellenlängen von 0,2 Millimeter (200 Mikrometer).

Aus der gesamten Helligkeit im Infraroten kann somit bestimmt werden, wieviel Staub eine typische Spiralgalaxie enthält. Jedoch: Die bisherigen Beobachtungen waren auf Wellenlängen mit weniger als 100 Mikrometer beschränkt; es gab keine geeigneten Detektoren für größere Wellenlängen im Infraroten, so daß die äußerst schwache Wärmestrahlung der kältesten Staubteilchen bis dahin gar nicht gemessen werden konnte.

Mit der außergewöhnlich erfolgreichen ISO-Mission der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA ist diese Lücke jetzt geschlossen worden. Das Photometer ISOPHOT – eines von insgesamt vier Meßgeräten an Bord des Infrarot-Satelliten – hat erstmals die größeren Wellenlängen im wichtigen Bereich von 100 bis 200 Mikrometer zugänglich gemacht. ISOPHOT wurde unter Federführung des Max-Planck-Instituts für Astronomie, Heidelberg, von einem Konsortium europäischer Forschungsinstitute entwickelt und von hiesigen Industrieunternehmen gebaut (siehe auch MPG-Presseinformation 9/98).

Der für viele Galaxien vermutete, aber bislang nur in wenigen Fällen beobachtete Anteil von kaltem Staub konnte mit ISOPHOT bei einer großen Zahl von Spiralgalaxien erstmals bestätigt werden – ohne daß die wertvolle Beobachtungszeit des ISO-Infrarot-Satelliten dafür in Anspruch genommen werden mußte.

Die Astronomen des Heidelberger Max-Planck-Instituts hatten sich – zum ersten Mal bei einer Raumfahrtmission – eine sogenannte "Zufallsdurchmusterung" ausgedacht. Bei den üblicherweise nicht genutzten Bewegungen des Teleskops von einem Ziel zum nächsten Himmelsobjekt blieb das ISOPHOT-Meßgerät eingeschaltet und erfaßte so alle Galaxien, die zufällig in das Gesichtsfeld des Photometers gerieten. Mit dieser in internationaler Kooperation mit Wissenschaftlern der ESA, NASA, des britischen Imperial College, London, und des Astrophysikalischen Instituts Potsdam (AIP) durchgeführten "Zufalls-Himmelsdurchmusterung" (engl. Serendipity Survey) wurden ungefähr 15 Prozent des gesamten Himmels mit etwa 2000 Galaxien registriert – diese "nebenbei" gelungenen Aufnahmen stellen die umfangreichste Sammlung von Infrarot-Helligkeiten extrem kalter Sternsysteme des Universums dar. Erste Ergebnisse einer Auswahl von mehr als 100 Spiralgalaxien stellen die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astronomie jetzt bei dem Treffen auf Schloß Ringberg den an ISO beteiligten Forschern vor.

Diese Untersuchungen zeigen, daß eine typische Spiralgalaxie eine Staubmenge von etwa 100 Millionen Sonnenmassen enthält. "Daraus könnte man mehr als 1000 Milliarden erdähnliche Planeten formen", hat Dr. Manfred Stickel vom ISOPHOT-Datenzentrum am Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie ausgerechnet. "Würde man diese in einer einzigen Galaxie von der Größe unserer Milchstraße enthaltene Staubmasse zu einem Würfel pressen, hätte er eine Kantenlänge von einer Milliarde Kilometer. Das klingt zwar gewaltig groß, entspricht aber nur etwa einem Tausendstel der Wegstrecke zu unseren nächsten Nachbarsternen." Der größte Anteil verbirgt sich dabei in dem minus 255 Grad Celsius kalten Staub. Das ist etwa zwei- bis zehnmal mehr als die bisher aus Messungen bei kürzeren Wellenlängen abgeleitete Staubmasse. Daraus ergibt sich: Im Hinblick auf den Staubgehalt ist unsere Milchstraße ebenso wie der benachbarte Andromedanebel eine gewöhnliche, typische Galaxie im Kosmos.

Infrarotmessungen mit ISOPHOT lieferten zudem den Beweis, daß auch andere Klassen extragalaktischer Sternsysteme große Mengen an Staub enthalten. Dadurch können bei eng benachbarten Galaxien – ausgelöst von ihren gegenseitigen Anziehungskräften – interstellare Materiewolken in sich zusammenstürzen und dabei rasch sehr viele neue, heiße Sterne entstehen. Deren große Energieabstrahlung wandelt der Staub in Infrarot-"Licht" um, so daß diese "Nester" neuer Sterne solche Milchstraßensysteme als ultraleuchtkräftige Infrarotgalaxien aufscheinen lassen.

Bei den Quasaren, den leuchtkräftigsten Sternsystemen überhaupt, konnte ISOPHOT ebenfalls in vielen Fällen die Infrarotstrahlung des Staubs erstmals direkt messen – eine schwierige Aufgabe: Denn das Schwarze Loch, das im Zentrum einer Galaxie den Quasar mit Energie versorgt, sendet unter bestimmten Blickwinkeln intensive "Bremsstrahlung" hochenergetischer Elektronen aus. Diese bewegen sich in den vom Quasar ausgehenden kosmischen Magnetfeldern auf spriralförmigen Bahnen. So entsteht Synchrotronstrahlung (ähnlich wie in den irdischen Teilchenbeschleunigern der Hochenergiephysiker) mit einer Intensität, die das Infrarot-"Licht" des Staubs bei weitem überstrahlen kann. Unter anderen Sichtwinkeln, beim Blick auf die Kante der das Schwarze Loch umgebenden Materiescheibe, kann andererseits die infrarote Staubstrahlung überwiegen.

Die mit ISOPHOT gefundenen Hinweise machen deutlich, so Dr. Stickel, "daß Staub in praktisch allen Klassen extragalaktischer Sternsysteme vorkommt, Staub ist demnach im gesamten Kosmos allgegenwärtig." Sogar in Galaxien des noch jungen Universums hat ISOPHOT Staub nachgewiesen.

Allerdings: Bei der Entstehung unserer Welt, im Urknall vor 12 Milliarden Jahren, gab es noch keinen Staub. Zuerst müssen in den Urgalaxien Sterne entstanden sein. Die massereichsten und leuchtkräftigsten von ihnen werden nur einige Millionen Jahre alt. Dann explodieren sie und verstreuen in Form von Staub die Reste in den Kosmos, einschließlich der im Kernfusions-Reaktor im Sternzentrum erbrüteten "Asche" aus schweren chemischen Elementen (wie Silicium, Kohlenstoff oder Eisen).

Aus diesem Sternenstaub bildet sich dann die nächste Generation an Sternen. Auf den Staubkörnern entstehen Moleküle, wie zum Beispiel Wasserstoff, Wasser und andere, aus mehreren Atomen zusammengesetzte Verbindungen. Außerdem schützt der Staub die "Wiegen" neuer Sterne vor der heißen Strahlung der Nachbarsterne. Weil der Staub die Energie einer in sich zusammenstürzenden Molekülwolke wirkungsvoll abstrahlt, ermöglicht er so deren weiteren Kollaps zu einem Protostern. "Staub ist also ein notwendiger Bestandteil der Sternentstehungsgebiete", stellt Prof. Dietrich Lemke vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg fest. !Im Staub sind Vergangenheit und Zukunft von Sternsystemen eingebrannt." Und: "Aus Sternenleichen stammender Staub ist immer ein deutliches Anzeichen, daß schon vorher intensive Sternentstehung in einer Galaxie stattgefunden hat."

Staub ist also nicht nur für das Verständnis von Entstehung und Entwicklung der Galaxien von fundamentaler Bedeutung. Er entzieht auch die wahren Eigenschaften der Galaxien dem direkten Blick neugieriger Beobachter. Diesen Schleier hat ISOPHOT mit seinen scharfen Augen erstmals auch für die längerwellige Infrarotstrahlung jetzt etwas weiter gelüftet.

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