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News: Unordnung durch Umordnung

Nach einer Amputation die verlorenen Gliedmaßen noch zu spüren, muss eine höchst irritierende Erfahrung sein. Die Ursache für diese als Phantomglied-Syndrom bezeichnete, leider auch sehr häufige Sinnestäuschung ist bislang nicht genau geklärt. Seit längerem gehen Wissenschaftler davon aus, dass die Probleme durch den Versuch des Gehirns hervorgerufen werden, sich nach erheblichen Störungen des sensorischen Systems neu zu ordnen. Nun konnten amerikanische Forscher nachweisen, dass das Gehirn auf den massiven Rückgang von Signalen nach Amputationen mit axonalem Wachstum und Ausbildung neuer Verschaltungen reagiert - quasi einer "Umorientierung" der Neuronen. Diese Erkenntnisse könnten helfen, Behandlungsmöglichkeiten der Störung zu entwickeln.
Ausbildung neuer Axone im Gehirn könnte der Grund für das Phantomglied-Syndrom und die besser bekannten Phantomschmerzen sein. Neurowissenschaftler der Vanderbilt University konnten nun zum ersten Mal nachweisen, dass in den Gehirnen ausgewachsener Affen in den somatosensorischen Bereichen Nervenzellen erneut wachsen und neue Verschaltungen bilden. Damit scheinen sie auf den massiven Rückgang von hereinkommenden Signalen nach Amputationen zu reagieren (Proceedings of the National Academy of Science vom 25. April 2000). "Wir erwarteten, dass dies der Fall ist", erklärt der Psychologe Neeraj Jain. "Aber bis vor kurzem war die allgemeine Ansicht, dass regeneratives Wachstum in Gehirnen Erwachsener nicht vorkommt."

Die Wissenschaftler untersuchten ausgewachsene Affen, die erhebliche Wirbelsäulenverletzungen erlitten oder denen man aus therapeutischen Gründen einen Arm abnehmen musste. Die Großhirnrinde der Primaten ist weniger stark gewunden als die der Menschen. Daher sind die Regionen, in denen die Informationen aus Armen, Händen, Gesicht oder anderen Bereichen des Körper eintreffen, bei ihnen leichter zu lokalisieren. Die Forscher entdeckten, dass die mit der Hand verbundenen Hirnareale direkt neben den Regionen liegen, die Signale aus dem Gesicht erhalten. "Das menschliche Gehirn ist auf die gleiche Weise organisiert", erläutert Jain. "Personen, die einen Arm verloren haben, berichten häufig, dass sie, wenn sie im Gesicht berührt werden, Signale von der fehlenden Gliedmaße bekommen."

Um zu bestimmen, wie das Gehirn der Affen auf den schweren Verlust reagiert, injizierten die Wissenschaftler eine Indikatorsubstanz in das Kinn der Versuchstiere. Bei der Untersuchung der Gehirne konnte die Substanz nicht nur in den mit dem Kinn assoziierten Arealen nachgewiesen werden, sondern auch in den Bereichen, die Informationen von Händen und Armen erhalten. Offenbar programmiert das Gehirn Areale um, die keine nützliche Funktion mehr haben, wenn die Informationen aus den assoziierten Gliedmaßen ausbleiben.

Um die Frage zu klären, ob neuronales Wachstum an diesem Prozess beteiligt ist, betrachteten die Forscher das Stammhirn der untersuchten Tiere genauer. Dabei konnten sie beobachten, dass Neuronen aus der "Gesichtsregion" Axone ausbildeten, die Kontakte zur "Handregion" herstellten. Obwohl die Anzahl dieser Verbindungen nicht sehr hoch war, reichte sie doch aus, um Nervenzellen des mit der Hand assoziierten Areals zu aktivieren. "Das zeigt, dass das Gehirn nicht still steht, sondern in der Lage ist, auf gravierende Veränderungen zu reagieren", meint Jain.

Diese Entdeckung ist auch für Patienten mit erheblichen Wirbelsäulenschäden tröstlich, deren Leiden eines Tages eventuell durch gezielte Förderung des regenerativen Wachstums von Neuronen behoben werden kann. Außerdem hoffen die Wissenschaftler, "dass die neuen Einsichten, Wege zur Behandlung des Phantomglied-Syndroms zeigen."

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