Waldökologie: Vielfalt statt Fichten
Brütende Sommerhitze, die man früher allenfalls aus den Regionen rund ums Mittelmeer kannte. Rekordverdächtige Trockenperioden, in denen wochenlang kein Tropfen Regen auf den ausgedörrten Boden fällt. Dann wieder tobende Stürme. Und nicht zuletzt ein Heer von gefräßigen Insekten, die sich in der Wärme kräftig vermehren: Das Bild, das die Modelle der Klimaforscher von der Zukunft Mitteleuropas zeichnen, hat für Bäume gleich mehrere unangenehme Fassetten. Experten halten es deshalb für wahrscheinlich, dass sich mit dem Klima auch der deutsche Wald verändern wird. Nur wie genau? Das zu prognostizieren, ist ein schwieriges Geschäft. Trotzdem versuchen Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, Antworten auf diese ökologisch und wirtschaftlich gleichermaßen spannende Frage zu finden.
Wald im Computer
Der gängige Weg, sich einen Eindruck vom Wald der Zukunft zu verschaffen, führt über Computersimulationen. Jede Baumart hat ihre ganz speziellen Ansprüche an Temperaturen, Niederschlagsverhältnisse und andere Besonderheiten ihres Lebensraums. Wissenschaftler schauen sich daher das heutige Verbreitungsgebiet der einzelnen Arten an und berechnen mit Hilfe von Modellen, welchen Regionen der Klimawandel in Zukunft ähnliche Verhältnisse bescheren könnte. Dort erscheint dann auf dem Bildschirm das künftige Verbreitungsgebiet.
Allerdings hat die Sache einen Haken. Denn noch stecken in den Klimamodellen vor allem auf regionaler Ebene einige Unsicherheiten. "Kaum jemand zweifelt noch daran, dass es in Mitteleuropa wärmer wird", sagt Andreas Bolte vom Johann Heinrich von Thünen-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei. Der Wissenschaftler, der das Institut für Waldökologie und Waldinventuren dieser Einrichtung in Eberswalde leitet, sieht die Probleme vor allem bei der Einschätzung der künftigen Regenmengen. Generell gehen Klimaforscher zwar davon aus, dass es im Osten Deutschlands im Mittel eher trockener, im Westen dagegen eher feuchter werden könnte. Extreme Trockenphasen sollen dabei in ganz Deutschland zunehmen. Doch mit wie viel Wasser einzelne Regionen genau zu rechnen haben, ist schwer einzuschätzen. "Die Niederschlagsverhältnisse aber sind für das Schicksal der einzelnen Baumarten entscheidend", sagt der Forscher.
Fichten auf dem Rückzug
Einige Trends lassen sich seiner Ansicht nach jedoch trotz aller Unsicherheiten schon abschätzen. So gehen er und viele seiner Kollegen davon aus, dass die Fichte zu den Verlierern des Klimawandels gehören wird. Denn dieser Art dürfte es in vielen Regionen Deutschlands nicht nur zu warm und zu trocken werden: Wegen ihrer flachen Wurzeln ist sie auch anfällig gegenüber den vermutlich häufigeren Stürme im Treibhaus Erde. Und zu allem Überfluss hat sie auch noch mit den Borkenkäfern zu kämpfen, die wohl von den steigenden Temperaturen profitieren werden und für die gerade geschwächte Fichten ein wahres Festmahl sind.
"Die Niederschlagsverhältnisse sind für das Schicksal der einzelnen Baumarten entscheidend"
Andreas Bolte
Tatsächlich ist der früher sehr häufig gepflanzte Nadelbaum in Deutschland schon heute deutlich auf dem Rückzug. Eine bundesweite Waldinventur aus dem Jahr 2008 verzeichnet noch 2,68 Millionen Hektar mit Fichten bewachsene Flächen. Das ist zwar mehr als bei jeder anderen Baumart. Doch seit dem Jahr 2002 ist das Reich der Fichten damit um mehr als 200 000 Hektar geschrumpft – das entspricht beinahe der Fläche des Saarlands. "Diese Entwicklung ist dadurch zu Stande gekommen, dass man gepflanzte Fichtenbestände vielerorts wieder in naturnähere Buchen- und Buchenmischwälder verwandelt hat", erklärt Andreas Bolte. Er hält es für wahrscheinlich, dass sich der Fichtenschwund künftig fortsetzen wird. Entweder weil die Art das Klima nicht verträgt oder weil Forstwirte es gar nicht erst darauf ankommen lassen wollen und den Anteil dieser Nadelbäume deshalb weiter reduzieren.
Auch in anderen Regionen Europas sieht es für die Fichten nicht gut aus. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Marc Hanewinkel von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft im schweizerischen Birmensdorf hat kürzlich ausgerechnet, wie der Klimawandel die Bestände des Nadelbaums europaweit verändern könnte. Demnach dürfte die Art bis zum Jahr 2100 einen großen Teil ihrer Verbreitungsgebiete in West-, Mittel- und Osteuropa räumen und sich in den Norden des Kontinents und die höheren Lagen der Alpen zurückziehen.
Teure Veränderungen?
Zu den Gewinnern des Klimawandels werden der Studie zufolge dagegen an Trockenheit angepasste Eichenarten wie die Korkeiche und die Steineiche gehören. Diese Bäume wachsen derzeit vor allem im Mittelmeerraum, werden sich aber laut den Modellrechnungen künftig stark nach Norden ausbreiten. Die Forscher haben diese Entwicklung für drei Szenarien des Weltklimarats IPCC durchgerechnet, die von einem unterschiedlich starken Temperaturanstieg ausgehen. Je nach Szenario wird sich demnach im Jahr 2100 zwischen 21 und 60 Prozent der europäischen Waldfläche nur noch für mediterrane Eichenwälder eignen.
Während Naturschützer das Verschwinden von monotonen Fichtenforsten kaum bedauern werden, ist das aus wirtschaftlicher Sicht keine gute Nachricht. Denn die Eichen werden wohl weniger Gewinn abwerfen als die heutigen Fichten. "Die Fichte ist der klassische Brotbaum der Forstwirtschaft", sagt Andreas Bolte. Die Nachfrage der Holzindustrie ist nach wie vor hoch, daher lassen sich mit dem Nadelholz gute Preise erzielen. Entsprechend drastische wirtschaftliche Verluste haben Marc Hanewinkel und seine Kollegen mit ihren Computermodellen ausgerechnet. Je nach Klimaszenario und Zinsniveau könnten die künftigen Waldflächen Europas ihrer Einschätzung nach zwischen 14 und 50 Prozent weniger wert sein als heute. Das entspräche Einbußen zwischen 60 und 680 Milliarden Euro.
Doch muss es überhaupt so weit kommen? Kann sich die Forstwirtschaft nicht an die künftigen Gegebenheiten anpassen und so zumindest die größten Verluste vermeiden? Wenn das gelingen soll, muss sie schon bald damit anfangen. Denn anders als zum Beispiel Landwirte können Förster ihre Wirtschaftsweise nicht Jahr für Jahr neu an die Herausforderungen des Klimawandels anpassen: Die Wälder, die heute angepflanzt werden oder durch Naturverjüngung nachwachsen, sollen schließlich die nächsten 80 bis 250 Jahre durchhalten. Da ist langfristiges Denken gefragt.
Chancen und Risiken
Welche Bäume werden also in einer wärmeren Zukunft die besten Chancen haben? Vielleicht Arten aus anderen Weltregionen, die mit den neuen Bedingungen besser zurechtkommen? Die Douglasie und die Küstentanne, die beide aus Nordamerika stammen, vertragen zum Beispiel mehr Trockenheit als die Fichte. Gerade mit der Douglasie haben Förster hier zu Lande auch schon einige Erfahrung – immerhin wird dieser Nadelbaum in Deutschland schon seit den 1830er Jahren angepflanzt und wächst mittlerweile auf etwa zwei Prozent der deutschen Waldfläche. Damit ist die Douglasie die häufigste nicht einheimische Baumart. Sie wächst nicht nur schnell, sondern liefert auch ein vielseitig verwendbares Holz, das beispielsweise für den Bau von Dachstühlen begehrt ist.
Naturschützer sehen den Import von Pflanzen aus anderen Erdteilen allerdings kritisch. Denn etliche dieser Neophyten neigen dazu, sich in ihrer neuen Heimat explosionsartig auszubreiten und heimische Arten zu verdrängen. Auch einige aus Nordamerika stammende Baumarten haben sich in der Hinsicht bereits unbeliebt gemacht. So überwuchert die Robinie die empfindliche Vegetation von Trockenrasen, die Spätblühende Traubenkirsche bildet in Kiefernwäldern ein so dichtes Unterholz, dass darunter nichts mehr wächst. "Über negative Auswirkungen von Douglasien ist bisher weniger bekannt", sagt Andreas Bolte. Trotzdem plädiert er dafür, den Nadelbaum in ökologisch empfindlichen Regionen nicht anzupflanzen und ihn auch anderenorts zumindest mit anderen Arten zu mischen.
Ohnehin dürften reine Nadelwälder in einer wärmeren Zukunft nicht nur aus ökologischen Gründen ihre Nachteile haben, denn sie wirken sich auch eher ungünstig auf den Wasserhaushalt aus. In Britz bei Eberswalde betreibt das Institut für Waldökologie und Waldinventuren eine so genannte Lysimeter-Anlage, die diese komplexen Zusammenhänge erfassen kann. Sie besteht aus großen, mit Waldboden gefüllten Behältern, in denen Bäume wachsen. An diesen überdimensionalen Blumentöpfen lässt sich messen, wie viel Wasser verschiedene Baumarten verdunsten und wie viel sie im Boden versickern lassen. So haben die Forscher herausgefunden, dass reine Kiefernbestände im Alter zwischen 20 und 50 Jahren fast den gesamten Niederschlag wieder verdunsten. Buchenwälder dagegen lassen mehr als 20 Prozent des Jahresniederschlags im Boden versickern und füllen so das Grundwasser auf. Gerade in trockenheitsgeplagten Regionen, zu denen Brandenburg schon heute gehört, leisten Laubbäume und Mischwälder also gute Dienste.
Fit für den Wandel?
Was aber, wenn der Klimawandel auch die Buche in Schwierigkeiten bringt? Obwohl diese Charakterart der mitteleuropäischen Wälder nicht ganz so trockenheitsempfindlich ist wie die Fichte, halten Forstexperten das zumindest im Osten Deutschlands durchaus für möglich. Aber Buche ist nicht gleich Buche: Innerhalb der gleichen Baumart gibt es regionale Varianten, die mit bestimmten Widrigkeiten besser zurechtkommen als andere. "Vielleicht können wir ja Buchen aus heute schon trockeneren Regionen nach Mitteleuropa holen", meint Andreas Bolte. Wie viel versprechend diese Idee ist, untersuchen er und seine Kollegen derzeit in ihrem Freiland-Trockenlabor. Dort lassen sie junge Buchen unterschiedlicher Herkunft mal unter trockeneren und mal unter feuchteren Bedingungen heranwachsen. "So wollen wir herausfinden, ob die Bäume aus den trockenen Gebieten Zentralpolens besser mit Dürre zurechtkommen als solche aus der Nähe von Hamburg", erläutert Andreas Bolte.
Selbst die robustesten Wassersparer müssen allerdings noch nicht die perfekten Kandidaten für den Wald der Zukunft sein. Denn außer Trockenheitsresistenz wird der erfolgreiche mitteleuropäische Baum künftig wohl auch noch ein paar andere Qualitäten brauchen. Welche Erbanlagen aber machen einen Baum fit für den Klimawandel? Mit solchen Fragen beschäftigt sich ein internationales Projekt namens "Evoltree", an dem 23 Forschungsgruppen aus 13 europäischen Ländern mitarbeiten. Beteiligt sind auch Wissenschaftler des Thünen-Instituts für Forstgenetik in Großhansdorf bei Hamburg.
Blätter und Blüten
"Wichtig wird es zum Beispiel sein, dass ein Baum die Vegetationsperiode möglichst gut ausnutzen kann", sagt Institutsleiter Bernd Degen. Wenn das Frühjahr immer früher beginnt und der Winter dafür länger auf sich warten lässt, sollte die Pflanze ihre Blätter möglichst früh austreiben und spät wieder verlieren. Andererseits darf das Laub auch wieder nicht so früh erscheinen, dass es den in Zukunft ebenfalls noch möglichen Spätfrösten zum Opfer fällt.
"Wichtig wird es zum Beispiel sein, dass ein Baum die Vegetationsperiode möglichst gut ausnutzen kann"
Bernd Degen
Doch nicht nur bei den Blättern, sondern auch bei den Blüten ist das richtige Timing wichtig. Jeder Baum hat ein genetisches Programm, das ihm sagt, bei welcher Tageslänge er mit dem Blühen beginnen muss. Und nach dieser inneren Uhr richtet er sich auch dann, wenn er in andere Regionen verfrachtet wird. Das kann zum Beispiel zum Problem werden, wenn man Bäume aus südlichen Regionen in Deutschland anpflanzen will. Denn diese Gewächse haben sich zwar an Trockenheit und Wärme angepasst, aber eben auch an die Tageslänge ihrer eigentlichen Heimat – und die wird sich im Zuge des Klimawandels nicht verändern. "Die angepflanzten Bäume aus anderen Regionen würden also möglicherweise zu anderen Zeiten blühen als ihre einheimischen Verwandten", erläutert Bernd Degen. Das aber wäre sehr ungünstig: Schließlich sollen heimische Gehölze und Artgenossen aus anderen Gebieten ihr Erbgut ja kombinieren, damit möglichst gut angepasste Varianten für eine wärmere Zukunft entstehen.
"Den perfekten Baum für alle Ansprüche wird es wohl nie geben", meint Andreas Bolte. Er plädiert daher dafür, den Wald der Zukunft möglichst abwechslungsreich zu gestalten. Denn eine bunte Mischung von verschiedenen Arten und von Bäumen unterschiedlicher Herkunft bietet die besten Chancen dafür, dass sich zumindest einige der Gehölze an die neuen Bedingungen anpassen können. Wenn Andreas Bolte sich den deutschen Wald in 100 Jahren vorstellt, sieht er daher nicht nur weniger Fichten. Sondern auch mehr Vielfalt.
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