Direkt zum Inhalt

Kontakte: Was alte Freunde trennt und verbindet

Viele einstige Freunde verlieren einander mit der Zeit aus den Augen. Wie kommt es dazu? Und kann das Vertrauen lange Pausen unbeschadet überstehen? Warum es sich lohnt, die alten Bande neu zu knüpfen.
Männer beim Angeln

Alte Freunde zurücklassen und neue finden, das musste Janosch Schobin in der Kindheit immer wieder – zwangsweise. Seine Eltern waren in der Entwicklungshilfe tätig, er besuchte sechs Schulen in drei Ländern. Heute beschäftigt sich Schobin (40) beruflich mit dem Thema Freunde. Der Soziologe forscht an der Universität Kassel zu Freundschaften.

Neben Familie und Verwandten haben Freunde einen zentralen Stellenwert in unserem Leben, wenngleich ihre Verbindungen loser sind und nicht wie in der Ehe durch einen offiziellen Akt bekräftigt werden. »Freundschaften wurden seit jeher durch Rituale besiegelt. Schon in der Antike gab es Blutsbrüderschaft«, sagt Schobin, der seine Doktorarbeit über Freundschaft als »Sozialform im Wandel« geschrieben hat.

Heute tauschten Freunde in der Regel kein Blut mehr miteinander aus. An Stelle dieses Rituals sei ein anderes getreten. »Das Tauschen von Lebenspfanden besteht inzwischen aus dem Teilen intimer Geheimnisse. Man erzählt sich von Problemen in der Beziehung oder im Job, von Ängsten oder Depressionen«, sagt Schobin. Dadurch machten wir uns wechselseitig verletzlich. Dieses Ritual beweise Vertrauenswürdigkeit – eine der wichtigsten Säulen der Freundschaft.

»Veränderungen im Freundeskreis signalisieren, dass sich ein Umbruch im Leben vollzieht«
Soziologe Janosch Schobin, Universität Kassel

Die Freunde, mit denen wir uns umgeben, zeigen ebenso, in welcher Lebensphase wir uns befinden. Oft ändern sich Freundeskreise in Umbruchphasen, etwa nach Schule oder Studium oder durch einen Jobwechsel. »Veränderungen im Freundeskreis signalisieren, dass sich ein Umbruch im Leben vollzieht«, sagt Schobin. Zum Beispiel, wenn Kinder geboren werden oder Paare sich scheiden lassen: »Ein paar Freundschaften zerbrechen daran, dafür kommen neue dazu, manche bleiben auch.«

Neue Freundschaften nehmen den Platz von alten ein, haben Robin Dunbar und sein Team von der University of Oxford herausgefunden. Die Wissenschaftler analysierten die Telefonverbindungsdaten von 24 britischen Schülerinnen und Schülern über einen Zeitraum von 18 Monaten. In den ersten sechs Monaten der Untersuchung besuchten diese noch die Schule – danach wechselten sie an eine Universität oder begannen zu arbeiten, so dass sich ihr persönliches Umfeld änderte. Selbst unter den engsten Freunden konnten nur 40 Prozent nach einem halben Jahr ihren Platz behaupten, etwa 30 Prozent wurden durch neue Bekanntschaften aus den Top 5 verdrängt.

Welche Freunde bleiben uns und welche nicht? »Unsere Freunde müssen nicht genau denselben Weg gehen, aber doch verstehen, wovon wir sprechen und was wir fühlen«, sagt der Psychologe Horst Heidbrink, der seit vielen Jahren an der Fernuniversität in Hagen zu dem Thema forscht. »Wir freunden uns mit Menschen an, die uns ähnlich sind.« Unsere Freunde seien oft gleich alt, hätten dasselbe Geschlecht und ein vergleichbares Bildungsniveau.

Manche Freunde begleiten uns nur auf Zeit, sind Gefährten, mit denen wir gemeinsam das Studium durchstehen oder mit denen wir im selben Volleyballklub um Siege kämpfen. »Etwas gemeinsam zu machen, erhält die Freundschaft aufrecht«, sagt Heidbrink. »Tatsächlich bleiben wir mit unseren besten Freunden erstaunlich lange zusammen.«

Das zeigt auch eine repräsentative Studie des Instituts für Demoskopie in Allensbach aus dem Jahr 2014. Demnach hält eine durchschnittliche Freundschaft in Deutschland etwa 24 Jahre, und mehr als zwei Drittel haben einen Freund oder eine Freundin fürs Leben. Unter 29 Alternativen wählten 85 Prozent der Befragten sogar »gute Freundschaften zu haben« als das Wichtigste im Leben – noch vor »für die Familie da sein« und »eine glückliche Partnerschaft haben«.

Unser Freundeskreis wächst in der Regel stetig bis zum jungen Erwachsenenalter – und schrumpft anschließend wieder. Das belegte ein Team um den Psychologen Franz Neyer von der Universität Jena und die Psychologin Cornelia Wrzus von der Universität Heidelberg in einer Metaanalyse von 277 Studien mit über 180 000 Versuchspersonen. Umzüge waren der Hauptgrund dafür, dass sich Freundschaften mit der Zeit verliefen. »Wenn die räumliche Nähe nicht mehr gegeben ist, ist es schwerer, die Beziehung aufrechtzuerhalten, und die Freundschaft endet meist irgendwann«, sagt Wrzus. Auch nach der Geburt des ersten Kindes werde der Freundeskreis kleiner.

Viele Menschen vernachlässigen überdies ihre Freunde, wenn sie einen neuen Partner oder eine neue Partnerin finden. Der niederländische Sozialforscher Matthijs Kalmijn von der Universität Tilburg wertete Interviewdaten von knapp 3000 Frauen und Männern in verschiedenen Lebensabschnitten aus und fand heraus, dass vor allem Letztere ihre Freunde seltener trafen. Während unter Singlemännern die Zahl der Kontakte im Mittel bei 14 pro Monat lag, waren es bei den verpartnerten nur noch 8. Für die Freunde von Frauen ging es nicht ganz so steil bergab: Die Kontakte verringerten sich von 13 auf 10 im Monat. Den Tiefpunkt mit durchschnittlich 5 bis 6 Kontakten erreichten beide Geschlechter, als die Kinder aus dem Haus waren.

»In einer Freundschaft muss die Balance zwischen Geben und Nehmen gewährleistet
sein«
Psychologin Cornelia Wrzus, Universität Heidelberg

Nicht immer sind es sich ändernde Lebensumstände, die zum Ende einer Freundschaft führen. Der britische Sozialpsychologe Michael Argyle und seine Kollegin Monika Henderson haben bereits in den 1980er Jahren mehr als 150 Personen aus verschiedenen Ländern gefragt, woran ihre Freundschaften zerbrachen. Bei Männern wie Frauen lag es vor allem an den Beziehungen zu Dritten, etwa wenn Freund oder Freundin Vertrauliches an eine andere Person weitergegeben hatte. Frauen zweifelten zudem häufiger an Freundschaften, wenn sie sich wenig wertgeschätzt oder unterstützt fühlten.

»In einer Freundschaft muss die Balance zwischen Geben und Nehmen gewährleistet sein«, weiß Cornelia Wrzus. Sie und Franz Neyer berichten, dass es unter anderem an der Persönlichkeit hängt, wenn es zu solchen Unstimmigkeiten kommt. Bei repräsentativ ausgewählten jungen Erwachsenen waren die Häufigkeit von Konflikten sowie das Erleben von Nähe und Sicherheit in Freundschaften systematisch verbunden mit Persönlichkeitsmerkmalen wie emotionaler Stabilität, Extraversion und Gewissenhaftigkeit.

Statistisch gesehen mag es also normal sein, dass wir im Lauf unseres Lebens Freunde verlieren – aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass wir über diesen Zustand immer glücklich sind. So realisieren viele oft erst, wenn sie die Familienphase hinter sich lassen, wieder im Beruf angekommen sind und die Kinder anfangen, ihr eigenes Leben zu leben, dass es einsamer um sie geworden ist. Und mit dem Alter werden Freundschaften wieder wichtiger für Gesundheit und Zufriedenheit im Leben, stellte der Psychologe William Chopik von der Michigan State University fest. In einer Befragung von 270 000 Menschen verschiedenen Alters aus nahezu 100 Ländern zeigte er, dass gute Beziehungen zu Freunden mit einem besseren Gesundheitszustand und Wohlbefinden zusammenhängen.

In einer zweiten Studie analysierte Chopik Angaben von rund 7500 älteren Erwachsenen in den USA. Ergebnis: Wenn Freunde eher eine Belastung darstellten, klagten die Teilnehmer mehr über chronische Krankheiten. Gaben Freunde hingegen Rückhalt, ging es den Probanden besser. »Es ist schlau, im Leben in die Freundschaften zu investieren, die uns besonders glücklich machen«, so das Fazit.

»Das gegenseitige Vertrauen ist ja oft noch da, wenn man sich lediglich aus den Augen verloren
hat«
Psychologe Horst Heidbrink, Fernuniversität in Hagen

Doch manche ehemals guten Freunde haben sich mit den Jahren aus den Augen verloren, und die Gelegenheiten, neue zu finden, werden mit den Jahren weniger. Warum also nicht an alte Zeiten anknüpfen? »Im höheren Alter, wenn die Kinder aus dem Haus sind, gleicht sich oft die Lebenssituation wieder an«, sagt Horst Heidbrink. »Und das gegenseitige Vertrauen ist oft noch da, wenn man sich lediglich aus den Augen verloren hat.« Freunde von früher wiederzufinden, sei nicht schwer: Über soziale Netzwerke könne man einfach nach Schul- und Studienfreunden suchen und zwanglos Kontakt aufnehmen.

Rund jeder Zweite tut das schon. Im Jahr 2018 befragte das Marktforschungsinstitut YouGov mehr als 2000 Deutsche zwischen 18 und 69 Jahren zum Thema Freundschaft und soziale Medien. Zirka 70 Prozent der Befragten berichteten, dass sie über das Internet alte Freunde gesucht und wiedergefunden hätten.

Aber funktioniert das auch nach einer langen Pause? In der Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach gaben nur 14 Prozent an, man werde sich »mit der Zeit fremd«. Mehr als jeder Zweite hingegen meinte, sich mit Freunden auf Anhieb wieder so zu verstehen wie früher. Die Übrigen waren unentschieden oder fanden, das sei mal so, mal so.

Die Soziologin Julia Hahmann von der Universität Vechta ist überzeugt, dass Brüche Freundschaften sogar stark machen. Das könnten aus ihrer Sicht neben großen Veränderungen im Leben wie Umzügen und Kinderkriegen auch Krisen und Enttäuschungen sein. Hahmann hat für ein Forschungsprojekt über »Wahlfamilien älterer Menschen« in Aachen 37 Interviews mit Menschen zwischen 52 und 81 Jahren geführt und daraus typische Muster abgeleitet. »Es ist möglich, dass eine Freundschaft pausiert – es ist sogar üblich«, lautet ihr Fazit. In den Interviews habe sich gezeigt: Vor allem bei Verlust des Lebenspartners durch Trennung oder Tod spielen alte Freunde wieder eine sehr wichtige Rolle im Leben.

Die Freundschaften, die am längsten halten, seien tatsächlich die, die wir seit unserer Kindheit haben, sagt Hahmann. Dabei wirke die »lange biografische Kenntnis« stabilisierend – man kennt die gleichen Lehrer, die gleichen Leute aus dem Dorf, oft auch die Eltern und Geschwister der Freunde.

Doch was, wenn das Verhältnis mit einem heftigen Streit geendet hat? Oder wenn viele Enttäuschungen das Fass irgendwann zum Überlaufen gebracht haben? »Eine gute Freundschaft sollte man nie leichtfertig aufs Spiel setzen, sondern um sie kämpfen«, empfiehlt Franz Neyer. Bei einem Konflikt sei es daher wichtig, sich zu fragen: Ist es wirklich so schlimm, was die Person getan hat, dass ich diese Beziehung jetzt wegwerfen möchte? Manchmal muss ein Aus ja nicht für immer sein. Wenn einige Monate oder Jahre ins Land gegangen sind, sieht man etwaige Enttäuschungen mit mehr Distanz.

Auch Janosch Schobin hat immer wieder zu Freunden aus seiner Kindheit Kontakt aufgenommen. »Ich hatte einen Schulfreund in Ecuador, mit dem ich eine Zeit lang wieder enger im Kontakt stand, als er in Deutschland studiert hat«, erzählt er. Nachdem der Freund zurück nach Ecuador zog, sei der Kontakt zwar erneut eingeschlafen. Aber sollten sie eines Tages wieder im gleichen Land leben, glaubt Schobin, würden sie sich auch wieder öfter sehen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.