Ernährung: Was steckt hinter dem Erfolg von Beyond Meat?
Vor neun Jahren wurde Raffael Osen noch belächelt. Wenn Menschen ihn damals nach seinem Beruf fragten, konnten sie oft wenig mit der Antwort anfangen. Eine Doktorarbeit über eine Alternative zu Fleisch – wozu soll das denn gut sein?
Heute muss Osen das niemandem mehr erklären. Inzwischen leitet er eine Abteilung am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung und forscht an innovativen Zutaten sowie neuen Verarbeitungsmethoden für Lebensmittel. Ein Fan von Fleischersatzprodukten ist er immer noch. Aber anders als früher sind Burgerpattys aus Pflanzenproteinen auf einmal ein Thema, das viele Menschen beschäftigt.
Das hat einiges mit Beyond Meat zu tun. Seit 2016 verkauft die US-Firma vegane Burger in amerikanischen Supermärkten. Als die Kalifornier im Mai 2019 an die Börse gingen, trafen sie damit einen Nerv: Der Aktienkurs legte am ersten Tag um 150 Prozent zu. In Deutschland konnte man die fleischlosen Pattys kurz darauf zum ersten Mal im Discounter kaufen. Der Andrang war so groß, dass die Regale binnen Stunden leer waren, Kunden beschwerten sich. Weil die Produktion nicht mehr hinterherkam, wurde der Verkaufsstart in Deutschland mehrfach verschoben. Auch jetzt kann man die Burgerpattys hier zu Lande nur zeitweise kaufen.
In neun Jahren vom Nischenthema zu einem Trend – wie kann das sein? Hat Beyond Meat etwas Neues entwickelt? Oder ist es einfach nur an der Zeit für andere Formen der Ernährung?
Keine neue Methode
Wer sich mit der Wissenschaft der Ersatzprodukte beschäftigt, stellt zunächst fest: Die Technik zur Herstellung von Pflanzenbratlingen gibt es schon seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Durch die so genannte Kochextrusion kommen auch Nudeln oder Cornflakes zu ihrer Form. Bei der Herstellung der Pflanzenpattys drückt eine Maschine eine Masse aus proteinhaltigen Zutaten durch eine enge Öffnung. Die Reibung erwärmt den Mix, die Proteine ordnen sich neu und verkleben. Schließlich erstarrt die Masse zu einem Mischprodukt mit anderer Konsistenz. Später kommen noch der Farbstoff aus Roter Bete, Fett und der Gelbildner Methylzellulose dazu.
In den 1960er Jahren entwickelten Chemiker das Verfahren weiter. Statt Nahrungsmittel mit gelartiger Konsistenz lieferte es fortan solche mit einer faserigen Textur, die an Muskelstränge erinnert. Damals stellten Forscher erstmals Bratlinge aus Sojaprotein her.
Aber das allein reichte nicht: Obwohl Wissenschaftler ab den 1980er Jahren daran forschten, wie man die Herstellung verbessern kann, waren Fleischersatzprodukte jahrelang eher ein Nischenprodukt für Ernährungsbewusste. Erst in den vergangenen Jahren ist der Markt deutlich gewachsen. In Deutschland beispielsweise verdoppelte sich der Umsatz zwischen 2012 und 2015 auf mehr als 300 Millionen Euro.
Auf einmal beliebt
Die amerikanischen Unternehmen Impossible Burger und Beyond Meat haben die Pflanzenproteinprodukte dann endgültig hip gemacht. Dabei haben auch Verfeinerungen der Technik eine Rolle gespielt: Impossible Burger etwa verwendet für seinen pflanzenbasierten Burger Leghämoglobin, eine pflanzliche Form des tierischens Eisen bindenden Hämoglobins – wodurch dieser ähnlich schön »blutet« wie ein Fleischprodukt. Beyond Meat benutzt Erbsenproteinisolat, das im Gegensatz zu Soja- oder Weizenprotein keine Allergien auslöst.
Das können andere Produkte jedoch ebenfalls. Beyond Meat habe die Produktion pflanzlicher Burger einen großen Schritt vorangebracht, sagt Lebensmitteltechnologe Raffael Osen. Wenn er davon redet, schwingt Begeisterung mit. Der vegetarische Bratling ließe sich fast genauso verarbeiten wie einer aus Hackfleisch. Zunächst kann man ihn leicht formen, beim Erhitzen in der Pfanne tritt dann Kokosfett aus – der Burger wird fester. Insgesamt besteht der Bratling aus 21 Zutaten: Die Hauptzutat ist ein so genanntes (texturiertes) Erbsenproteinisolat – dessen Verarbeitung Osen in seiner Doktorarbeit erforscht hat. Damit hat der pflanzliche Burger einen ähnlichen Proteinanteil wie sein Pendant aus Fleisch.
Statt tierischen Eiweißen, die beim Denaturieren miteinander verkleben, enthält er jedoch das Verdickungsmittel Methylzellulose, das auch in Soßen, Backwaren oder für Fleischwaren eingesetzt wird. Dazu kommt etwas Rote Bete für die Fleischfarbe, Aromen und natürlich Fett als Geschmacksträger. Bleibt die Frage: Ist das gesund?
Eine gute Alternative zum Rindfleischburger, mehr nicht
Die Frage lässt sich nur beantworten, indem man den veganen Patty mit einem anderen Lebensmittel vergleicht, etwa einem Rindfleischburger. Dabei könnte dem Beyond-Meat-Produkt zunächst einmal ganz grundsätzlich zugutekommen, dass es Pflanzenprotein an Stelle von tierischem Eiweiß enthält. »Schon mehrfach haben Untersuchungen gezeigt, dass eine hohe Aufnahme von rotem Fleisch der Gesundheit eher abträglich ist«, sagt Nina Meyer, die am Deutschen Institut für Ernährungsforschung klinische Studien leitet. Da sich nur wenige Menschen an die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung halten, nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche zu verzehren, könnte sich der Konsum von pflanzlichem statt tierischem Protein deshalb positiv auf die Lebenserwartung auswirken.
Und wie sieht es mit den einzelnen Zutaten des Beyond-Meat-Burgers aus? Das Rapsöl in den Pattys enthält viele ungesättigte, etwa Omega-3-Fettsäuren und gilt damit eher als gesund. Kokosöl enthält hingegen viele gesättigte Fettsäuren, die mit Herz-Kreislauf-Krankheiten in Verbindung gebracht werden. Nährwert, Protein- und Fettgehalt sind im Fleisch- und im Pflanzenburger ähnlich. Im Gegensatz zu anderen fleischlosen Alternativen enthält der Beyond-Meat-Burger allerdings keine Allergene wie Soja- oder Weizenproteine. Der Salzgehalt liegt im Vergleich zu anderen Fleischersatzprodukten im mittleren Bereich.
Welchen Beitrag der Burger zur eigenen Ernährung leistet, hängt vor allem davon ab, was man sonst noch isst
Insgesamt ist der Patty in den Augen der Ärztin für Fleischfans wie für Vegetarier eine gute Alternative zum herkömmlichen Rindfleischburger. Welchen Beitrag er zur eigenen Ernährung leistet, hängt aber vor allem davon ab, was man sonst noch isst. Diese Einschätzung teilt die Verbraucherzentrale Hamburg. Sie verglich Rindfleischburger mit Fleischimitaten, darunter solche von Beyond Meat. Denn ganz gleich, ob sie aus Fleisch oder aus pflanzlichen Inhaltsstoffen bestehen: Prozessierte Lebensmittel wie Burgerpattys enthalten Konservierungsstoffe und weniger Vitamine als frisch Zubereitetes.
Ist das die Zukunft?
Doch spielt die Antwort auf die Frage, ob der Burger gesund ist oder nicht, überhaupt eine Rolle für seinen Erfolg? Hannelore Daniel hält den Gesundheitsaspekt jedenfalls für überbewertet. Bis Oktober 2018 forschte die Ernährungswissenschaftlerin an der TU München; heute sitzt sie in Expertengremien, etwa im Bioökonomierat der Bundesregierung. Man könne den Beyond-Meat-Burger bedenkenlos essen, sagt Daniel. Der Erfolg des Produkts lasse sich jedoch eher mit etwas anderem erklären: Der Burger weise gewissermaßen in die Zukunft.
»The future of protein«, heißt es auch auf der Website des US-Unternehmens, »die Zukunft des Proteins«. In dieser Zukunft sollen Lebensmittel nachhaltig produziert werden, daran lässt Beyond Meat keinen Zweifel. Um den Umweltfußabdruck des eigenen Burgers zu erfassen, gab die Firma eine Studie bei der University of Michigan in Auftrag. Die Forscher verglichen den »Beyond Burger« mit amerikanischen Rindfleischpattys: In einer Lebenszyklusanalyse betrachteten sie den Ausstoß von Treibhausgasen, den Energie-, Land- und Wasserverbrauch bei der Beschaffung der Zutaten und deren Verarbeitung, die Verpackung, die Kühlung und die Transportwege zum Einzelhandel.
Im Vergleich zum Burger aus Fleisch sei die Umweltbilanz vorbildlich, heißt es in der Studie. Die Herstellung setze nur rund ein Zehntel der Treibhausgase frei und benötige die Hälfte an nicht erneuerbarer Energie. Bei der Herstellung wird deutlich weniger Wasser verbraucht als für einen Burger aus Rindfleisch und lediglich etwa ein Zehntel der Fläche. Da diese Zahlen teilweise auf Schätzwerten beruhen, könnten die tatsächlichen Werte jedoch davon abweichen. Dennoch, die Bilanz sei eindeutig, schreiben die Autoren.
Was kann man davon halten? Sergiy Smetana vom Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik, der nicht an der Studie beteiligt war, hält die Ergebnisse für plausibel. Er findet es positiv, dass die Lebenszyklusanalyse überhaupt öffentlich einsehbar ist. Allerdings sei es keine große Überraschung, dass ein Produkt aus pflanzlichen Inhaltsstoffen eine positivere Bilanz aufweise als eines aus Rindfleisch, sagt er. Wie genau die Emissionen beim Verkauf in Europa aussehen und wie der Burger im Vergleich zu anderen Fleischalternativen auf Pflanzenbasis abschneidet, ist hingegen noch nicht untersucht.
Eine Frage des Zeitgeistes
Lebensmitteltechnologe Raffael Osen freut sich jedenfalls über die Aufmerksamkeit für Pflanzenproteine: »Es ist toll, dass sich das Feld so entwickelt hat.« Fleischalternativen aus Pflanzen sind schließlich auch irgendwie sein Projekt, auf das er jahrelang hingearbeitet hat. Immerhin konnte er seine Erkenntnisse dazu nutzen, selbst erbsenbasierte Fleischalternativen zu entwickeln, die man mittlerweile in Deutschland kaufen kann. Außerdem hat er 2017 ein Patent auf die Zutaten und das Herstellungsverfahren eines extrudierten Pflanzenproteinprodukts angemeldet.
Neben dem geschickten Marketing hat den veganen Burgern aus Übersee sicherlich das Timing geholfen. Vermutlich kommen sie gerade im richtigen Moment: in einer Zeit, in der viele Deutsche über den Klimawandel und Umweltfolgen nachdenken. Und in der Essen auch Ausdruck des Lebensstils ist. So sieht es zumindest die Ernährungswissenschaftlerin Hannelore Daniel. »Zeig mir, was du isst – das gehört heute dazu«, beschreibt sie den Zeitgeist. Ihrer Meinung nach ist Ernährung heutzutage für manche Menschen ein Alleinstellungsmerkmal, ein Teil ihrer Identität.
»Zeig mir, was du isst – das gehört heute dazu«
Hannelore Daniel, Ernährungswissenschaftlerin
Vieles spricht dafür, dass in Zukunft noch mehr Fleischersatzprodukte auf den Markt kommen werden. »Das ist erst der Anfang«, sagt Hannelore Daniel. Ob Mischprodukte aus Pflanzen und Fleisch, andere Rohstoffe wie Lupinen, Mikroalgen, Pilze oder Insekten und regionale Alternativen – vieles ist denkbar, wenn es nach Raffael Osen geht.
Im Moment möchte er aber erst einmal die Pflanzenproteinverarbeitung weiter verbessern. Osen forscht zurzeit daran, wie der fleischtypische Geschmack allein durch eine bestimmte Zubereitung entsteht. Dann bräuchte auch ein Fertigprodukt wie ein pflanzlicher Burgerpatty womöglich weniger zusätzliche Aromen. Und vielleicht ist er dabei ja sogar schneller als die Amerikaner.
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