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Kosmische Topologie: Wie viele Löcher hat das Universum?

Der Weltraum scheint eine unermessliche Weite zu sein, die sich in alle Richtungen erstreckt. Doch tatsächlich könnte die Gestalt des Kosmos viel komplexer sein – etwa wie ein seltsam verdrehter Donut.
Ein Loch in einem Universum
Welche Gestalt unser Universum hat, ist unklar. Die Form des Kosmos könnte aber komplexer sein als bisher angenommen und etwa Löcher enthalten.

Schon vor etwa 2500 Jahren erkannte die Menschheit, dass unser Planet rund ist – abgesehen von ein paar »Flacherde«-Anhängern, die das bis heute bestreiten. Welche Gestalt unser Universum hat, ist allerdings nach wie vor nicht geklärt. Bisherige Untersuchungen wiesen darauf hin, dass der Kosmos wahrscheinlich eine recht simple Form hat, etwa das dreidimensionale Äquivalent einer Kugeloberfläche oder einer Ebene. Aber diese Auffassung ist vielleicht falsch, haben Kosmologinnen und Kosmologen der Kollaboration COMPACT (Collaboration for Observations, Models and Predictions of Anomalies and Cosmic Topology) in einer im April 2024 veröffentlichten Arbeit herausgefunden. Demnach könnte die Form des Weltalls deutlich komplexer sein als bislang angenommen.

Auch die Erde wirkt auf den ersten Blick flach. Denn ihr Radius ist so groß, dass die Krümmung kaum wahrnehmbar ist. Es gibt aber einen sicheren Weg, wie sich die Kugelform nachweisen lässt; man muss einfach nur loslaufen. Wenn man sich geradewegs nach vorne bewegt, ohne jemals abzubiegen – über Berge und Ozeane hinweg –, kehrt man irgendwann zwangsweise wieder zum Ausgangspunkt zurück. Ähnliche Anhaltspunkte sammeln Kosmologinnen und Kosmologen, um die Form des Universums zu bestimmen. Sie könnten ein Raumschiff losschicken, welches das Weltall durchquert. Stattdessen spähen sie in den Nachthimmel und untersuchen die Spuren des ältesten Lichts, das aus den Tiefen des Kosmos zu uns dringt.

Diese Strahlung entstand rund 300 000 Jahre nach dem Urknall. Zuvor gab es zwar auch schon Photonen, allerdings war die Materie bis zu diesem Zeitpunkt so dicht in dem damals kleinen Universum zusammengequetscht, dass die Lichtquanten keine Chance hatten, sich frei fortzubewegen. Doch schließlich hatte sich das Universum so weit abgekühlt, dass es transparent wurde. Die Photonen konnten sich frei im Raum ausbreiten – und tun es bis heute.

Hintergrundstrahlung | Die ESA-Raumsonde Planck hat von 2009 bis 2013 die kosmische Hintergrundstrahlung des gesamten Himmels mit der bisher besten Genauigkeit und Winkelauflösung vermessen. Spektrum und Intensität der Strahlung entsprechen an jedem Punkt des Himmels einer bestimmten Temperatur, hier farbig codiert. Der Temperaturbereich, der in der Abbildung von tiefblau bis tiefrot dargestellt ist, entspricht nur wenigen Millionsteln der Durchschnittstemperatur von rund 3 Kelvin.

Photonen aus dieser frühen Zeit des Universums erreichen uns als »kosmische Hintergrundstrahlung«. Aus jedem Winkel des Universums kommt in etwa dasselbe Muster aus altem Licht. Und das liefert Hinweise auf die Gestalt des Weltalls. Falls sich beispielsweise die Krümmung des Universums an einer Stelle ändern würde, wäre die kosmische Hintergrundstrahlung nicht so homogen, wie wir sie beobachten. Daher gehen Fachleute davon aus, dass das Universum überall gleich gekrümmt ist – oder völlig flach ist.

Eine Fülle an Möglichkeiten

Es ist schwierig, sich diese verschiedenen Möglichkeiten (keine Krümmung und konstante Krümmung) vorzustellen. Deswegen hilft es, zweidimensionale Beispiele heranzuziehen. In dieser Analogie kann das Universum, um zu den homogenen Mustern der kosmischen Hintergrundstrahlung zu passen, wie ein ebenes Blatt Papier tatsächlich flach sein (keine Krümmung), dem dreidimensionalen Pendant einer Kugeloberfläche entsprechen (positiv gekrümmt) oder eine Art dreidimensionale Sattelfläche bilden (negativ gekrümmt). In allen drei Fällen ist die Krümmung überall konstant.

Raumzeit in der Kosmologie | Das James-Webb-Teleskop liefert inzwischen atemberaubende Bilder von fernen Galaxien. Im Sommer 2023 hat sich der Satellit Euclid ebenfalls auf Erkundungsreise begeben. Beide helfen mit ihren gesammelten Bildern, großen Fragen der Kosmologie auf den Grund zu gehen: Wie weit sind die ersten Galaxien des Universums von uns entfernt? Wie genau ist die Masse im Kosmos verteilt? Doch woher weiß man, wie weit das bei uns ankommende Licht gereist ist? Können wir das ganze Universum beobachten? Diese und weitere Fragen zur Kosmologie lassen sich mit Hilfe von Raum-Zeit-Diagrammen anschaulich klären.

Das verrät aber noch nicht, wie das Universum als Gesamtes aussieht. Zum Beispiel könnte der Raum überall gleich gekrümmt sein und dennoch ein Loch aufweisen. Mit Hilfe der mathematischen Disziplin der Topologie lassen sich solche Fälle voneinander unterscheiden. Topologen ordnen geometrische Figuren nach groben Kategorien, wie der Anzahl ihrer Löcher, um eine Art Formenkatalog zu erstellen. Das Ziel der Kosmologinnen und Kosmologen ist, dem Universum eine dieser Gestalten zuordnen zu können.

Wie Mathematiker beweisen konnten, gibt es unendlich viele verschiedene Kategorien (Topologien) von gekrümmten dreidimensionalen Oberflächen. Sollte die Raumzeit also tatsächlich sattel- oder kugelförmig sein, dann gäbe es rein theoretisch beliebig viele Formen, die das Universum annehmen kann und die sich jeweils stark voneinander unterscheiden. Allerdings deuten die bisherigen kosmologischen Beobachtungen auf ein flaches Universum ohne Krümmung hin. Das würde die Suche nach der Topologie des Universums erleichtern. Wie Gregori Perelman im Jahr 2003 herleitete, ist der Katalog der flachen dreidimensionalen Oberflächen sehr klein: Es gibt es nur 18 unterschiedliche Kategorien.

Eine von 18 Formen

Somit entspricht die Gestalt des Universums vermutlich einer dieser 18 Formen. Zu diesen zählt das dreidimensionale Analogon eines Blatt Papiers. Unser Kosmos könnte aber auch Löcher besitzen. Unter den 18 Topologien ist das dreidimensionale Äquivalent einer Donutoberfläche ein so genannter Torus.

Zwar wirkt ein Donut auf den ersten Blick gekrümmt, doch wie sich herausstellt, ist diese Form in Wirklichkeit flach. Denn eine zweidimensionale Donutoberfläche lässt sich durch ein (sehr flexibles) Blatt Papier erzeugen. Dafür klebt man zunächst die gegenüberliegenden langen Seiten des Blatts aneinander, wodurch ein längliches Rohr entsteht. Anschließend biegt man das Rohr und bringt die beiden Öffnungen zusammen.

Torus
Torus | Ein Torus ist als Gesamtes gesehen flach. Er lässt sich durch eine rechteckige Fläche beschreiben.

Diese Konstruktion hat viele Vorteile. Möchte man zum Beispiel die Bewegung einer Ameise auf einem Donut beschreiben, ist es meist einfacher, das rechteckige Blatt Papier heranzuziehen und ihre Bewegung darauf zu untersuchen. Das Insekt läuft auf dem Stück Papier herum und sobald es einen Rand überschreitet, tritt es auf der gegenüberliegenden Seite des Blatts wieder ein – wie bei dem beliebten Handyspiel »Snake« der 2000er Jahre. Falls sich die Ameise geradlinig bewegt, landet sie also irgendwann zwangsläufig wieder bei ihrem Ausgangspunkt.

Einen dreidimensionalen Torus kann man analog erzeugen, indem man statt eines rechteckigen Blatts Papier einen dreidimensionalen Quader heranzieht. In diesem Fall verformt man ihn ebenfalls so, dass gegenüberliegende Seiten des Quaders aneinandergeklebt werden.

Ein Donut-Universum mit Schleifen

Wäre unser Universum torusförmig, hätte das handfeste Folgen: Würde man zum Beispiel mit einer Taschenlampe in den Himmel leuchten, würde uns dieses Licht theoretisch irgendwann wieder erreichen – so, wie die Ameise auf dem Blatt Papier stets zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt. In den meisten der 18 unterschiedlichen Topologien gibt es solche Schleifen. So heißen Trajektorien, die wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren. Auf den ersten Blick scheinen sich die Schleifen aber nicht mit unseren Beobachtungen zu decken. Denn würde Licht den Raum periodisch durchlaufen, müssten wir etliche Kopien des Universums im Nachthimmel erblicken.

Tatsächlich schließt diese Tatsache aber nicht alle Topologien mit Schleifen aus. Diese könnten nämlich so groß sein, dass das Licht bisher noch nicht genügend Zeit hatte, sie zu durchqueren. Vielleicht werden Menschen (oder andere Wesen) in mehreren Milliarden Jahren das Vergnügen haben, einen Nachthimmel zu erblicken, der zahlreiche Abbilder des Universums enthält.

Aber selbst riesige Schleifen würden schon heute Spuren hinterlassen. Die Gestalt des Kosmos beeinflusst zum Beispiel, wie Materie und Licht im frühen Universum miteinander interagiert haben. Hätte das Weltall Löcher – und damit auch Schleifen –, müsste sich das in den Daten der kosmischen Hintergrundstrahlung widerspiegeln.

Doch als Fachleute in den 2000er und 2010er Jahren nach derartigen Spuren in den Daten der Hintergrundstrahlung suchten, fanden sie nichts. Deshalb gingen die meisten Kosmologen davon aus, dass das Universum recht einfach aufgebaut ist. Die Forschung zur Form des Weltalls geriet mangels neuer Hinweise ins Stocken. Zumindest bis die COMPACT-Kollaboration im Jahr 2022 ins Leben gerufen wurde.

Deutlich mehr Möglichkeiten als gedacht

Das COMPACT-Team hat die neuesten Daten zur kosmologischen Hintergrundstrahlung mit verschiedenen Topologien des Universums verglichen – und kam in seiner ersten Veröffentlichung zu überraschenden Ergebnissen. Unter anderem fanden die Forschenden heraus, dass bisherige Arbeiten viele Varianten der einzelnen Topologien außer Acht gelassen hatten. Damit wurden in der Vergangenheit eventuell Formen ignoriert, die unseren Kosmos beschreiben könnten. Darüber hinaus konnte die Kollaboration zeigen, dass die fehlenden Hinweise auf Schleifen in der kosmischen Hintergrundstrahlung weitaus weniger restriktiv sind als bisher angenommen. Außerdem könnte es neben Schleifen weitere Spuren in der kosmischen Hintergrundstrahlung geben, die auf komplizierte Topologien hindeuten. Welche das genau sind, soll das Thema kommender Arbeiten werden.

Die Forscherinnen und Forscher untermauerten ihre Argumente, indem sie drei konkrete Beispieltopologien des flachen Raums heranzogen: einen gewöhnlichen Torus und zwei Abwandlungen davon, bei denen man die Flächen des Quaders verdreht, bevor man sie zusammenklebt. Alle drei besitzen Löcher. Für den gewöhnlichen Torus konnte die COMPACT-Kollaboration die bisher bekannten Erkenntnisse bestätigen. Falls unser Universum torusförmig ist, müssen die Schleifen so groß sein, dass das Licht bisher noch nicht zu uns dringen konnte. Erstaunlicherweise gilt das aber offenbar nicht für die abgewandelten Formen. Die Berechnungen der Kollaboration zeigen: Deren Schleifen können auch deutlich kürzer sein, ohne dass wir das in den bisherigen Daten bemerken würden. Grund dafür sind die Verdrehungen. Dadurch enthält ein Universum zwar Kopien von sich selbst, diese sehen aber anders aus als das Original.

Damit könnte das Weltall weitaus komplizierter aussehen als bisher angenommen. Und das hätte weit reichende Folgen. Denn die Frage nach der Gestalt unseres Kosmos ist nicht nur akademischer Natur. Vermutlich wurde die Topologie der Raumzeit durch die Quantenprozesse bestimmt, die sich kurz nach dem Urknall zugetragen haben. Wüsste man also Genaueres über die Form des Universums, ließe sich mehr über die komplexen Vorgänge zu dessen Beginn erfahren – so zumindest die Hoffnung.

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  • Quellen

Akrami, Y. et al.: Promise of Future Searches for Cosmic Topology. Physical Review Letters 132, 2024

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