Explosion im Kosmos: Ein Gammablitz, der sonderbar nachglüht
Vor rund einer Milliarde Jahren war in der Galaxie SDSS J025810.28-085719.2 im Sternbild Eridanus einiges los: Eine der größten Explosionen des Universums hat stattgefunden. Wahrscheinlich kollabierte in dieser Galaxie in just jenem Moment ein massereicher Stern zu einem Schwarzen Loch und schickte, sozusagen als letztes Hurra, einen Gammablitz ins All. Dieser wurde am 29. August 2019 von irdischen Teleskopen aufgefangen. Gemäß des Datums erhielt dieser die Bezeichnung GRB 190829A.
So spektakulär »eine der größten Explosionen im Universum« zunächst klingen mag: Gammablitze sind keine seltenen Ereignisse. Doch seit ihrer Entdeckung in den 1960er Jahren geben sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein paar Rätsel auf. Eines davon ist mit GRB 190829A noch ein wenig spannender geworden, wie ein Team der H.E.S.S.-Kollaboration im Fachmagazin »Science« berichtet.
Gammablitze, auch Gammastrahlenausbrüche oder auf Englisch »gamma ray bursts«, kurz GRBs genannt, sind ultraschnelle, ultraenergiereiche Strahlenausbrüche. Eng gebündelt in Form von zwei gegenläufigen Strahlen schießen sie ins All. Dabei setzen sie innerhalb kürzester Zeit so viel Energie frei wie unsere Sonne in ein paar Milliarden Jahren. Die Ereignisse wurden mehr oder weniger zufällig in den 1960er Jahren entdeckt. GRBs treffen aus allen Richtungen auf die Erde und ihre Umlaufbahnen, wo dann ein Weltraumteleskop für die Gammaastronomie wie Fermi oder Swift lauert. Diese waren es auch, die an jenem 29. August 2019 den Gammablitz erfasst haben.
Gammablitz GRB 190829A ereignete sich quasi in der kosmischen Nachbarschaft
Während der eigentliche Gammablitz ein eher kurzes Ereignis von oft nur wenigen Sekunden Dauer ist, kann sein Nachglühen mehrere Tage anhalten. Es deckt einen großen Wellenlängenbereich des elektromagnetischen Spektrums ab, bis hin zur hochenergetischen Teraelektronvolt(TeV)-Strahlung: Das ist Strahlung, die Billionen Mal energiereicher ist als sichtbares Licht. Nur bekommen Teams auf der Erde davon eher selten etwas mit.
Das liegt hauptsächlich daran, dass Gammablitze zwar meistens ziemlich weit weg sind, viel weiter, als die rund eine Milliarde Lichtjahre von GRB 190829A. Auf ihrem langen Weg durch Raum und Zeit des Alls wird gerade die hochenergetische Strahlung durch Kollisionen abgeschwächt, sie geht sozusagen verloren.
Aber rund eine Milliarde Lichtjahre Entfernung, wie bei GRB 190829A? Das zählt gewissermaßen zur kosmischen Nachbarschaft. Deshalb gelang es den Wissenschaftlern der H.E.S.S.-Kollaboration, das Nachleuchten dieses Gammablitzes auf der Erde mit Energien bis zu 3,3 TeV nachzuweisen.
Direkt wäre das übrigens nicht möglich: Die hochenergetischen Lichtteilchen, die Photonen, treffen nach ihrer Reise durchs All auf die Teilchen der Erdatmosphäre. Dort lösen sie wiederum einen Schauer aus niederenergetischen Sekundärteilchen aus, deren schwaches Fluoreszenzlicht von Teleskopen wie denen von H.E.S.S. – das sich übrigens in Namibia befindet – aufgefangen werden kann. So konnten die Wissenschaftler das Energiespektrum des Nachleuchtens des Gammablitzes vermessen.
Röntgen- und Gammastrahlung sollten auf unterschiedliche Art und Weise entstehen
Dabei machten sie eine eigentümliche Entdeckung: Der Anteil an Röntgenstrahlung im Nachleuchten sowie der Anteil an hochenergetischer Gammastrahlung waren verblüffend ähnlich. Das Nachleuchten verblasste beispielsweise in beiden Wellenlängenbereichen auf ähnliche Art und Weise ähnlich schnell. Demzufolge liegt beiden Komponenten möglicherweise derselbe physikalische Mechanismus zu Grunde.
Das aber widerspricht der gängigen Theorie, wie Gammablitze erzeugt werden und mit ihrem Umfeld interagieren beziehungsweise wie es überhaupt möglich ist, Gammateilchen mit Energien im Bereich von Teraelektronvolt zu erzeugen.
Für die Röntgenstrahlung schien die Sache klar: Sie sollte entstehen, wenn sich geladene Teilchen wie etwa Elektronen auf gekrümmten Bahnen durch Magnetfelder bewegen. Magnetfelder und geladene Teilchen gibt es in einer derartigen Umgebung in Hülle und Fülle. Irdische Teilchenbeschleuniger arbeiten auf ganz ähnliche Art und Weise. So können Forscher Synchrotronstrahlung erzeugen.
Die Synchrotronstrahlung in der Umgebung des Gammablitzes gibt ein Rätsel auf statt zwei
Genau dieser Prozess sollte bei noch höheren Energien allerdings versagen, da Elektronen sich nicht schnell genug bewegen können sollten, um ihrerseits derartig hochenergetische Lichtteilchen zu erzeugen. Stattdessen hatten sich Physiker für die hochenergetischen Photonen des Nachleuchtens der Gammablitze einen ungleich komplizierteren Prozess überlegt: das Synchrotron-Selbst-Compton-Modell, bei dem Elektronen den bereits zuvor erzeugten energetischen Photonen noch einmal extra Energie verleihen.
Was verraten nun das Nachleuchten von GRB 190829A und die ähnlichen Spektren von Röntgen- und Gammastrahlung? Bisher folgern Wissenschaftler, dass sie wohl auf weitere günstige Gammablitze warten müssen. Denn GRB 190829A war der erste Gammastrahlenausbruch, bei dem eine derart lange Messung seines hochenergetischen Spektrums gelang. Ob die Theorie der Gammablitze wirklich angepasst werden muss und sie dann nicht nur die gewaltigsten Explosionen im Universum, sondern auch noch viel bessere Teilchenbeschleuniger sind als bislang angenommen, wird sich zeigen.
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