News: Wenn Spinnen spinnen...
Spinnenseide besteht aus langen Proteinmolekülen. Diese Proteine bilden kristalline Bereiche, die in eine unstrukturierte, formlose Grundsubstanz eingebettet sind. Die formlosen Regionen dehnen sich leicht und verleihen der Seide ihre Elastizität. Die kristallinen Domänen hingegen bleiben straff in Falten und Spiralen angeordnet und sind für die Belastbarkeit des Spinnfadens verantwortlich.
Auf der Suche nach neuen umweltfreundlichen Superfasern enthüllten nun Fritz Vollrath und David Knight von der University of Oxford ein weiteres Geheimnis der Spinn(en)kunst: Das Augangsmaterial, aus dem die Spinnenart Nephila clavipes mit Leichtigkeit ihre seidenen Fäden produziert, ist "Dope", eine flüssig-kristalline Lösung. In dieser frei fliessenden Lösung können sich die Seidenproteinmoleküle frei bewegen. Doch sie bleiben weiterhin untereinander und entlang der Achse der sich entwickelnden Faser verbunden, während sich das Dope durch das zunehmend einengendere Spinnorgan bewegt. Diese Anordnung sorgt für zusätzliche Stärke.
Überraschenderweise machen die Seidenproteine über 50 Prozent der wässrigen Ausgangssubstanz aus. Derartig konzentrierte Lösungen könnten bei der industriellen Faserherstellung nicht verarbeitet werden: Sie wären zu zähflüssig, um eine robuste Faser zu bilden. Doch wie gelingt es dann den Spinnen, ihren "roten" Faden nicht zu verlieren? Die Wissenschaftler nehmen an, dass die Tiere dieses Problem folgendermaßen umgehen: Vermutlich verwenden die Spinnen Seidenproteinmoleküle, die anfangs zusammengerollt sind, um die Dope-Lösung flüssiger zu halten. Erst in späteren Stadien des Spinnvorgangs spulen die Tiere die Proteine ab und verbinden sie miteinander. Das Abwickeln entblößt zudem klebrige Proteinflicken, wodurch die einzelnen Moleküle zu dem endgültigen Faden zusammenschwirren.
Die Menschheit hat viele Konstruktionsprinzipien der Natur nachgeahmt, doch einen derartig komplexen Prozess wie das Seidenspinnen der Spinnen hat bislang kein Forscher wiederholt. "Das Problem besteht darin, dass die Seidenproteine sehr empfindlich auf jede gleitende Bewegung reagieren", erklärt John Gosline von der University of British Columbia. "Wenn eine Lösung mit Seidenproteinen umgerührt wird, gerinnen die Moleküle zu Klümpchen und müssen vor der Verarbeitung wieder aufgelöst werden. Wir befinden uns jedoch gerade erst am Anfang, die komplexen Zusammenhänge zu verstehen." Der Wissenschaftler ist aber überzeugt, dass aus Seidenproteinfasern nützliche Materialien mit einzigartigen Eigenschaften entwickelt werden – nicht zuletzt deshalb weil sie im Gegensatz zu den bisherigen Kunstfasern umweltfreundlich und vollständig biologisch abbaubar sind.
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