Direkt zum Inhalt

Terrorismus: Wider die Ohnmacht

Ein viel kritisierter Krieg gegen Saddam Hussein und den Irak, Folterskandale und zweifelhafte Rechtsauslegungen in Guantanamo Bay, geheime CIA-Gefängnisse in aller Welt: Der amerikanische Kampf gegen den Terrorismus nimmt immer radikalere Ausmaße an. Dabei scheinen die bisherigen Maßnahmen die Situation nur zu verschlimmern. Englische Politologen versuchen zu erklären, warum die Politiker dennoch daran festhalten.
Die Tragödie des 11. Septembers 2001 war ein Schock, der das Sicherheitsgefühl nicht nur der US-Amerikaner bis in die Grundfesten erschütterte. Mehr als 3000 Menschen starben bei der Terrorattacke auf die Doppeltürme des World Trade Centers in New York City sowie auf das Pentagon in Washington; die Welt sah live und ohnmächtig zu. Die Antwort des amerikanischen Präsidenten George W. Bush war eine radikale Kampfansage gegen jede Art des Terrorismus weltweit.

Doch weder der von der UNO legitimierte Krieg in Afghanistan, wo der Terrorverdächtige Osama Bin Laden und die islamistische Al-Quaida vermutet wurden, noch die Angriffe auf den Irak haben vermocht, den internationalen Terrorismus einzudämmen. Im Gegenteil: Mehr als 67 000 Zivilisten seien bislang konservativen Studien zufolge im Irak getötet worden, schreibt James Putzel, Direktor des 2001 gegründeten Crisis States Research Centre in einer aktuellen Studie [1]. 50 000 irakische Kämpfer starben, mehr als 2000 amerikanische und alliierte Soldaten oder Mitarbeiter. Noch immer gibt es Kampfhandlungen und Terrorangriffe durch irakische Aufständische. Was als Angriffskrieg begann, hat sich zu einem dauerhaften Ausnahmezustand entwickelt.

Gewalt erzeugt Gegengewalt

Diese kontraproduktiven Folgen des Anti-Terror-Kampfes hätte man jedoch voraussehen können, behauptet Putzels Kollege David Keen vom Institut für Entwicklungsstudien der London School of Economics and Political Sciences [2]. Schließlich seien die präventiven Angriffe in den Augen der Iraker völlig unbegründet gewesen; und die Wut und Ohnmacht, mit der die Einheimischen die Zerstörung ihres Landes verfolgen mussten, lieferten seiner Ansicht nach einen guten Nährboden für weitere terroristische Umtriebe und Konflikte. Der Anti-Terror-Kampf habe sich zu einem Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt entwickelt.

Doch wenn die Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus so offensichtlich ins Leere laufen, warum halten die Beteiligten dann so hartnäckig an ihnen fest? Keens Antwort ist einfach: Weil der Anti-Terror-Kampf nicht nur der Bekämpfung terroristischer Aktionen dient, sondern auch zahlreiche Entwicklungen hervorruft, die für die Beteiligten auf die eine oder andere Art positiv sind – und so den Kriegsapparat am Laufen halten.

Die Ökonomie des Anti-Terror-Kampfes

Viele Kritiker haben den USA seit Beginn des Irakkrieges beispielsweise vorgeworfen, den Kampf gegen den Terrorismus zu missbrauchen, um sich die reichhaltigen Ölreserven des Landes zu sichern. Die Bush-Regierung dementiert. Sicher ist nur, dass die USA bislang einiges in den Kampf gegen den Terror investiert haben: Jo Beall und ihre Kollegen vom Crisis Research Centre berichten, dass die USA ihre Ausgaben für Militär und Verteidigung im Zeitraum von 2001 bis 2004 um 40 Prozent steigerten. Im Jahr 2003 betrugen die Ausgaben hierfür etwa 414 Milliarden Dollar.

Doch nicht nur die Gelder des Verteidigungsministeriums werden für den neuartigen Krieg genutzt, auch immer mehr Anteile der Entwicklungshilfe fließen diesem Verwendungszweck zu, ermittelten: Beall und ihre Kollegen weiter: Bei der Auswertung zahlreicher OECD-Berichte stellten sie einen radikalen Wandel in der Entwicklungspolitik fest. Statt wie seit den Neunzigern üblich in die nachhaltige Förderung der Lebensbedingungen zu investieren, gilt das erklärte Ziel heutiger Entwicklungshilfe einer Vielzahl von Ländern, unter anderem auch Kanada, Dänemark und Japan, der Sicherung von Krisengebieten – in der Hoffnung, so auch die Sicherheit im eigenen, im Geber-Land zu fördern [3].

So brachten es die Philippinen, die vor der Katastrophe vom 11. September 2001 nur kümmerliche 1,9 Millionen Dollar für Entwicklungshilfe erhielten, zwei Jahre später auf stattliche 29 Millionen. Geld, das zur Bekämpfung der islamistischen Terrorgruppe Abu Sayyaf bestimmt war. Auch viele der Hilfen für Afghanistan seien militär-bezogenen Projekten gewidmet, so Beall und ihre Kollegen. Sie warnen, dass die kurzfristigen Vorteile der aktuell im Terrorkampf geförderten Länder auf lange Sicht die erklärten Ziele der Entwicklungshilfe untergraben könnten.

Wie bestraft man Selbstmordattentäter?

Der Terrorist, so scheint es, wird durch die Hilfe der "Koalition der Willigen" und die finanzielle Unterstützung der Entwicklungsländer inzwischen weltweit gejagt. Trotzdem ist er nicht zu fassen. Dies ist das eigentliche Trauma des 11. September: Die Täter konnten nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Sie selbst hatten sich mit ihrer Tat der höchsten der US-amerikanischen Strafen entzogen.

Dennoch, erklärt David Keen, brauchte die US-Regierung einen Schuldigen. Der Feind habe sichtbar gemacht werden müssen, um die Unsichtbarkeit des Gespenstes namens Terrorismus ertragen zu können. Nur so war die Bush-Regierung nach Ansicht des Wissenschaftlers in der Lage, die erlittene Ohnmacht durch Aktion zu durchbrechen.

Eine Tat wie die vom 11. September löse neben Bestürzung auch Scham aus, erläutert der Politologe zu den psychologischen Auswirkungen des Terrors. In der Hoffnung, sich die Attacke erklären zu können, fragten sich die Opfer nach einer eigenen Schuld. Um diese Verunsicherung zu verhindern, behauptet Keen, musste der Feind so dargestellt werden, dass das Unerklärbare der Attentate verständlich würde, ohne dass die Nation sich selbst hinterfragen musste: Der Terrorist wurde zur Manifestation des Bösen.

In dem Maße, in dem den Terroristen negative Attribute zugesprochen wurden, wuchs im eigenen Land jedoch der Druck zur Tugendhaftigkeit. Dies, so Keen, erkläre unter anderem die zunehmende Bedeutung moralischer und religiöser Belange in der amerikanischen Gesellschaft, sei es zum Thema der Abtreibung oder zum Verlust feststehender Werte. Der Krieg gegen den Terror sei so zu einem Kampf um das von Niemandem zu kritisierende Selbstverständnis der eigenen Kultur und Lebensweise geworden.

Der Anti-Terror-Krieg diene daher nicht nur der Bekämpfung der tatsächlichen Gefahr, sondern auch der Vergewisserung des eigenen Selbstverständnisses angesichts einer immer komplexer werdenden Welt, in der die Bedrohung auch die abgeschottete Welt entfernter Kontinente erreicht. Dennoch sei es fatal, die neue Bedrohung allein einer kleinen und überschaubaren Gruppe von Bösen zuzuschreiben.

Terrorismus, so das Fazit von David Keen und seinen Kollegen, ist ein Strukturproblem, das sich aus Armut und Ohnmacht, Wut und Erniedrigung speist. Dies könne jedoch erst wahrgenommen werden, wenn man sich von der Verteufelung der Täter verabschiede – zu Gunsten einer kritischen Betrachtung der eigenen und fremden Geschichte sowie ihrer Zusammenhänge.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.