Bioengineering: Wiederbelebte Niere arbeitet im Körper
Spenderorgane sind weltweit Mangelware und Transplantationen in vielen Fällen riskant – deshalb arbeiten Ärzte und Forscher kontinuierlich daran, Organe aus patienteneigenen Zellen im Labor zu züchten. Jeremy Song und Harald Ott vom Massachusetts General Hospital erzeugten jetzt eine transplantierfähige Niere aus totem Gewebe: Sie befreiten Rattennieren zuerst von sämtlichen Zellen und besiedelten das übrig gebliebene Hüllgerüst dann mit Stammzellen. Das auf diese Art wiederbelebte Organ konnte in Kultur und im lebenden Tier Urin ausscheiden.
Zuvor war das von Ott weiterentwickelte Verfahren namens Dezellularisierung bereits bei Herz-, Leber- und Lungenspenden zum Einsatz gekommen, die im Vergleich zur Niere allerdings relativ einfach aufgebaut sind. Nun wurde die Technik erstmals so erfolgreich an den Nieren von Ratten angewendet, dass die Forscher sie in lebende Tiere transplantieren konnten. Sie durchspülten die Rattennieren mit einer seifigen Lösung und wuschen so alle ursprünglichen Zellen heraus. Übrig blieb ein zellfreies Gerüst aus extrazellulärer Matrix, in dem die Zellen eingebettet gewesen waren und das zu großen Teilen aus dem Strukturprotein Kollagen bestand. Dieses Proteinskelett besiedelte das Team mit zwei verschiedenen Arten von Stammzellen, um die Architektur des Gewebes zu erhalten: Nabelschnurendothelzellen wurden durch die Nierenarterie injiziert und kleideten die Blutgefäße aus; das eigentliche Organgewebe stellten dagegen durch den Harnleiter gespritzte Nierenstammzellen. Besonders kritisch bei dieser Methode ist, die Zellen mit dem richtigen Druckverlauf in die Matrix zu spülen, damit sie sich in der ganzen Niere verteilen.
Nach bestandenem Funktionstest in Kultur wurden die gezüchteten Nieren in Ratten transplantiert, denen zuvor eines der Organe entfernt worden war. Sobald die Blutversorgung stand, produzierte die Ratte Urin, ohne dass Blutungen oder eine Abstoßungsreaktion beobachtet wurden. Die so wiederbelebten Organe waren also funktionstüchtig, sie erreichten aber nur einen Teil der Filtrationsleistung natürlicher Nieren. Ott und seine Kollegen wollen das Verfahren deshalb weiter optimieren. Für zukünftige menschliche Transplantate suchen sie zur Zeit vor allem nach den am besten geeigneten Zelltypen.
Knapp 8000 Patienten warten in Deutschland auf eine Spenderniere, der Bedarf übersteigt die Zahl der Spenderorgane um das Dreifache, so die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Nach einer erfolgreichen Transplantation bleibt außerdem das Risiko einer Abstoßung durch das Immunsystem. Ott beschreibt die Vorteile des Kulturverfahrens: "Das Einzigartige ist, dass die natürliche Architektur des Organs erhalten bleibt. Man kann das Transplantat genau wie eine Spenderniere einpflanzen und mit dem Gefäß- und Harnsystem des Empfängers verbinden." Gelänge das auch beim Menschen, könnten Patienten irgendwann neue Organe aus ihren eigenen Zellen erhalten, so Ott. Damit wäre nicht nur der Organmangel umgangen, es entfiele auch jegliche Immunreaktion.
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