Klimawandel: Wintersport vor dem Aus?
Bei der Ankunft in Sotschi erlebten die Skifahrer, Snowboarder und anderen Athleten der 22. Olympischen Winterspiele einen kleinen Schock: Auf dem Weg vom Flughafen wiegten sich Palmen im Wind, der vom Schwarzen Meer herüberblies. 40 Kilometer davon entfernt, im Skigebiet von Rosa Chutor, haben die Organisatoren ein Jahr lang Kunstschnee aufgetürmt, als Absicherung angesichts des milden Klimas der Region.
Meteorologen mögen über die Entscheidung lächeln, ein solches Wintersportereignis in einer Stadt abzuhalten, deren Durchschnittstemperaturen im Februar bei milden 6 Grad Celsius liegen. Und auch im bergigen Umland unterschreiten sie selten den Gefrierpunkt. Doch die Spiele in Sotschi und der massive Einsatz von Kunstschnee bieten einen Blick in die Zukunft des Wintersports und die erschwerten Bedingungen, mit denen die Organisatoren der Olympischen Winterspiele auf Grund des Klimawandels rechnen müssen.
"Wir wissen, dass es wärmer wird, und wenn schließlich die Temperaturen häufiger über dem Gefrierpunkt liegen, wird es weniger Schnee geben", erklärt David Robinson vom Global Snow Lab an der Rutgers University in Piscataway, New Jersey. So hat sich die Schneesaison auf der Nordhalbkugel seit den frühen 1970er Jahren um etwa drei Wochen verkürzt. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird sich die Schneebedeckung weiter deutlich reduzieren, vermeldete ein im September veröffentlichter Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change.
Regionale Unterschiede
Wie sich die Situation in einzelnen Regionen entwickeln wird, ist noch relativ unsicher, doch die Modelle sind sich in groben Zügen einig, bemerken Klimaforscher. "In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts sagen uns die Modelle wirklich große Veränderungen bei den Temperaturen und Niederschlägen voraus", erklärt Martin Beniston von der Université de Genève. Bereits jetzt lassen sich selbst in den höchstgelegenen Gebieten Anzeichen von unwillkommener Schmelze beobachten. Im Schweizer Skigebiet "4 Vallées" wurden zwei Sessellifte abmontiert, nachdem sich dort der Tortin-Gletscher auf 2800 Metern Höhe in den letzten 15 Jahren um 40 Meter zurückgezogen hat.
Zukunft des Wintersports in den Alpen
Eine Studie der OECD von 2006 kommt zu dem Ergebnis, dass bei einer Erwärmung um zwei Grad Celsius, die für etwa 2020 erwartet wird, lediglich 61 Prozent der heutigen Skigebiete in den Alpen noch natürlicherweise schneesicher wären. Dabei trifft es die beteiligten Länder sehr unterschiedlich: Die Schweiz, Frankreich und Italien verlieren bis zu einem Drittel der jetzigen Gebiete, Österreich etwa die Hälfte und Deutschland büßt sogar 87 Prozent seiner Skigebiete ein.Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt eine Untersuchung im Auftrag des Deutschen Alpenvereins von 2013: Auf der Basis eines anderen Modells, das bis 2030/2040 von einer Erwärmung um ein Grad ausgeht, sind gut 20 Prozent der heutigen Skigebiete natürlicherweise schneesicher – mit Beschneiung werden 74 Prozent erreicht (aktuell: 50 Prozent). Langfristig gesehen wird aber auch Kunstschnee nicht verhindern, dass sich schneesichere Gebiete wohl auf Fell- und Nebelhorn sowie die Zugspitze beschränken werden – von den ökologischen Folgen einer intensiven Beschneiung ganz abgesehen.
Nicht überall sind die Aussichten so düster. Eine warme Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, weshalb höhere Temperaturen an manchen hoch gelegenen Orten die Schneemenge sogar steigern könnten – beispielsweise in Neuseeland und in manchen Gebieten der Schweiz. Das könnte einige Jahrzehnte anhalten – bis die Wintertemperaturen über den Gefrierpunkt klettern. So ist im vergangenen Jahrzehnt in der Region um Verbier mehr Schnee gefallen als in den jeweils letzten drei Jahrzehnten. Das Skigebiet erlebt jedoch auch mehr Schwankungen, wärmere Sommer und eine ganze Reihe von unsicheren Wintern. "Die Extreme haben sich verstärkt", sagt Eric Balet, Chef von Téléverbier, dem Eigentümer von "4 Vallées". Daraus folgt eine für Skigebietsbetreiber höchst unwillkommene Unvorhersehbarkeit.
Skigebiete in tieferen Lagen am stärksten bedroht
Am schlechtesten sind die Prognosen für Skigebiete in tieferen Lagen. So gibt es in den US-Bundesstaaten Connecticut und Massachusetts zusammengenommen 17 Skiregionen. Laut einer Studie wird im Jahr 2039 keine davon mehr eine ausreichende Skisaison bieten können – von der Industrie definiert als 100 Tage oder länger –, noch nicht einmal mit Hilfe von Kunstschnee [1]. Dagegen sehen die Zukunftsaussichten für mindestens 94 Prozent der 18 Skigebiete im nördlicheren Staat Vermont deutlich besser aus: Sie sollen bis 2070 oder sogar darüber hinaus über ausreichend Schnee verfügen. Den großen Unterschied macht die Höhenlage: Die Gipfel der Skigebiete in Connecticut und Massachusetts erreichen nicht einmal 750 Meter, während 16 der Gebiete in Vermont weit darüberliegen.
Die Aussicht, kleine Skigebiete zu verlieren, beunruhigt Auden Schendler, Vizepräsident für Nachhaltigkeit der Aspen Skiing Company, die das Aspen/Snowmass-Skigebiet im Zentrum von Colorado betreibt. "Wir nennen sie Einsteiger-Skigebiete", erklärt er, weil die niedrigeren Preise und einfacheren Pisten Anfänger anziehen. "Wenn sie den Betrieb einstellen, schadet das auch den anderen." Und ein kleiner Berg kann große Stars hervorbringen: Die Skirennläuferin Lindsey Vonn, Olympiasiegerin von 2010, begann ihre Karriere am Buck Hill, einem 364 Meter hohen Berg in Burnsvill in Minnesota; Mikaela Shiffrin, die amtierende Weltcupsiegerin im Slalom, trainierte als Kind in Storrs Hill, einem Skigebiet in New Hampshire, wo der höchste Berg gerade einmal 177 Meter erreicht.
Qualität und Quantität
Optimale Skitage
Anja Berghammer und Jürgen Schmude von der Universität München entwickelten das Konzept der "optimalen Skitage": kein Niederschlag, mindestens fünf Sonnenstunden, gefühlte Temperatur zwischen minus und plus fünf Grad Celsius. Diese Tage locken Skifahrer in die Berge. Doch zukünftig, so zeigen Modellrechnungen, werden diese Tage seltener, und sie werden sich verschieben: Während es momentan die meisten optimalen Skitage im Januar gibt, werden sie sich in den nächsten Jahrzehnten Richtung März/April verlagern. Statt zu Silvester in den Skiurlaub zu fahren, bietet sich also in Zukunft Ostern an.
Jedoch ist nicht nur die Menge des Schnees entscheidend für Wintersport, auch die Qualität zählt, erklärt Anne Nolin von der Oregon State University in Corvallis. Eine wärmere, feuchtere Atmosphäre wird schwereren, nasseren Schnee hervorbringen, nicht den trockenen, lockeren Pulverschnee, den Skiurlauber so schätzen. Kunstschnee vereist leicht, er bildet daher eine hervorragende Grundlage für halsbrecherische Abfahrtswettkämpfe, eignet sich aber weniger für den durchschnittlichen Skifahrer. Zudem erhöhen Temperaturen um den Gefrierpunkt das Risiko für Regen statt Schneefall, wodurch sich der Schnee verdichtet. "Das sind einfach nicht die Bedingungen, die Menschen im Skiurlaub erwarten", sagt Noling.
Welche Folgen diese Veränderungen des Winters für zukünftige Olympische Winterspiele hat, ist noch unklar. Der Wettkampf hat sich bereits an einige Unwägbarkeiten von Wetter und Klima angepasst: Seit Jahrzehnten schon finden Eiskunstlauf, Eisschnelllauf, Eishockey und Curling in Hallen statt, sagt Daniel Scott von der University of Waterloo in Kanada. Seinen Forschungsergebnissen zufolge wird sich mit dem Klimawandel die Zahl potenzieller Austragungsorte verringern – und die kälteren Orte in den Bergen, die dafür am besten geeignet wären, verfügen nicht über die nötige Infrastruktur für die Menge an Athleten, Zuschauern und Organisatoren. Es stehen einige schwierige Entscheidungen bevor, meint er: "Das Olympische Komitee wird in einem interessanten Dilemma stecken."
Der Artikel erschien unter dem Titel "Winter Olympics: Downhill forecast" in Nature 506, S. 20-22, 2014.
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