Periodensystem des Lebens
Traditionell wird die Chemie in Fächer eingeteilt, in denen sie für gewöhnlich auch unterrichtet wird: Anorganische, organische und physikalische Chemie sind die jedermann bekannten Hauptfächer. Neben diesen "tragenden Säulen" finden sich eine Reihe weiterer Teilgebiete, die in der Regel nur von einem Teil der Studierenden oder als Teil anderer Fachgebiete unterrichtet werden: technische und pharmazeutische sowie Lebensmittelchemie gehören in diese Gruppe.
Eine Sonderstellung nimmt die biologische Chemie (Biochemie) ein, die als von Natur aus interdisziplinäres Fach seit jeher ein unstetes Leben in – oder zwischen? – verschiedenen Fakultäten spielt: Biologen und Mediziner beanspruchen sie ebenso wie die Chemiker. Naturgemäß ist daher die Annäherung an dieses Fach von Fall zu Fall verschieden, und die sich entwickelnde Sichtweise wird vom jeweiligen Hintergrund geprägt.
Die interessantesten Entwicklungen in der Forschung ergeben sich oft an Grenzflächen zwischen akademischen Fächern; als Ergebnis dieses, wenn auch nicht gänzlich neuen, aber doch zunehmend zu beobachtenden Trends, ist eine Aufweichung der traditionellen Fachgrenzen. In jüngster Zeit haben die anorganischen Chemiker die Welt der Biomoleküle und Lebewesen als eine lohnende, in weiten Teilen noch unerschlossene "Spielwiese" entdeckt. Auch Biochemiker (und solche, die es werden wollen), die traditionell ein besonderes Augenmerk auf organische Moleküle – und hier besonders die biogenen Makromoleküle – haben, werden in zunehmendem Maße ihren Blick neu fokussieren müssen. Biochemie, das ist nicht zuletzt die Botschaft des Buches "Bioanorganische Chemie", ist mehr als eine Fortsetzung der organischen Chemie mit anderen Mitteln.
Mit sich vertiefendem Verständnis der an Lebensprozessen beteiligten chemischen Elemente – besonders der Vielzahl der Metalle – wird sich zwangsläufig ein verändertes Verständnis davon ergeben, was unter "Naturstoffchemie" im weiteren Sinne zu verstehen ist. Die bioanorganische Chemie lehrt uns, dass viele, mengenmäßig hinter den organischen, kohlenstoffdominierten Molekülen zurückstehenden Elemente essenzielle, oftmals die eigentliche Funktion tragende, Elemente biologischer Strukturen sind und nicht bloß "auch irgendwie" vorhandene "Begleitstoffe", wie es etwa der althergebrachte Begriff der "Spurenelemente" nahelegt.
Mit der neuen Auflage ihres Lehrbuches füllen Wolfgang Kaim und Brigitte Schwederski im deutschsprachigen Schrifttum eine praktisch konkurrenzfreie Lücke. Während in der angelsächsischen Welt über die Jahre mehrere einführende Abhandlungen zu diesem Thema erschienen sind und sich etabliert haben, ist der Kaim/Schwederski in deutscher Sprache alleiniger "Anwalt" des Brückenschlages zwischen anorganischer und biologischer Chemie (ein um die Mitte der 1990er Jahre in deutscher Sprache aufgelegtes anderes Werk scheint vom Markt verschwunden zu sein). Obwohl Konkurrenz ja bekanntlich das Geschäft beleben soll, und im Umkehrschluss fehlende Konkurrenz demnach zu Schläfrigkeit führen sollte, verteidigt die neue Auflage dieser Darstellung "zur Funktion chemischer Elemente in Lebensprozessen" sein Terrain erfolgreich gegen nicht vorhandene, imaginäre Mitbewerber.
Im Zentrum der 19 Kapitel des Werkes steht die Rolle – man sollte wohl eher sagen "die vielen Rollen" – der Metalle bei biochemischen Reaktionen und beim Aufbau biologischer Strukturen; Aspekte, die sich bei einer molekularen Betrachtungsweise gar nicht trennen lassen. Betrachtet man das Periodensystem der Elemente, so nimmt dieses scheinbare Übergewicht nicht Wunder, sind doch die Mehrzahl der chemischen Elemente eben metallischer Natur.
Was den Leser und die Leserin erwartet, ist eine Tour de Force durch das periodische System sowie gleichzeitig durch alle Facetten biochemischer Vorgänge. Wiederum ergibt sich ein natürlicher Schwerpunkt durch solche "Spurenelemente", die als integrale Bestandteile funktioneller Moleküle (namentlich der Enzyme) aktiv an (bio)chemischen Reaktionen beteiligt sind. Hier sind in den vergangenen Jahren viele interessante neue Einsichten gewonnen worden, und ein Ende ist noch lange nicht absehbar. Aufgaben zuhauf stellen sich hier Bio- wie anorganischen Chemikern, egal ob die Interessenslage in Richtung Struktur(en), Reaktionsmechanismen oder biologische Funktion(en) geht.
Infolge verschiedener möglicher Betrachtungswinkel ergeben sich interessante Fragestellungen und Kooperationsmöglichkeiten (!), die, wenn ihre Ergebnisse zusammengeführt werden – wie in der Biologie nicht unüblich –, mehr sind als die Summe aller Teile. Dem aufmerksamen Leser dieser aktuellen Auflage eines sehr gelungenen Buches drängen sich die Fragen förmlich auf. Was bis dato auf dem Gebiet erreicht wurde, referieren Kaim und Schwederski in ihrer gelungenen Einführung in ein höchst aktives Gebiet; was (noch) nicht bekannt ist, eröffnet sich dem Studierenden zwanglos durch das Ende der Diskussion.
Die Darstellung ist (auf gehobenem Niveau!) elementar, aber anspruchsvoll. Die Informationsdichte ist hoch; "Bioanorganische Chemie" ist kein Lese-, sondern ein Lehrbuch für Fortgeschrittene. Studierenden im Hauptstudium eröffnet es aber neue Sichtweisen. Neben konventionelleren Themen wie der Enzymkatalyse werden auch "Rand-" und angewandte Themen wie Biomineralien, bioanorganische Stoffe in der Pharmazie und toxikologische Aspekte der gesundheitsschädlichen Elemente eingehend erörtert. Die Gruppierung der Kapitel ist relativ willkürlich und richtet sich vermutlich zumindest zum Teil nach dem relativen Erkenntnisstand bezüglich der betrachteten Elemente. Eine etwas stärkere Strukturierung des Inhalts wäre der Nützlichkeit des Werkes nicht abträglich (beispielsweise durch das Einführungen von den Kapiteln übergeordneten "Teilen", die inhaltlich verwandete Kapitel zusammenfassen und dann auch eine kurze, allgemeine Aspekte des Themenkomplexes beleuchtende Einführung enthalten könnten).
Wie es sich für ein Lehrbuch für Fortgeschrittene gehört, sind alle Aussagen durch Verweise auf die Originalliteratur belegt. Die ausführlichen Literaturlisten zu allen Kapiteln führen den Lernwilligen bis an die berühmte, oft strapazierte "Front der Forschung". Diese Einführung in die bioanorganische Chemie macht allemal Lust darauf, sich noch tiefer auf dieses Gebiet einzulassen. Studierenden (und natürlich auch Profis) der anorganischen Chemie oder anderer Interessentenkreise (wie aus der Pharmazie) ist das Werk als eigenständige Lektüre oder als Begleitung einschlägiger Veranstaltungen empfohlen, so das Interesse nicht in vollständig andere Richtungen geht.
Auch wer sich nicht entsprechend spezialisieren will, kann hier einen mehr als interessanten Blick über den Tellerrand tun. Studierende der Biochemie allerdings sollten Kaim/Schwederski als Pflichtlektüre neben oder nach den allgemeinen Lehrbüchern ihrer Zunft betrachten, wird doch die hier behandelte Thematik bis auf weiteres auch in den führenden Lehrwerken der Biochemie oft noch recht stiefmütterlich behandelt. Das "Weltbild" des Biochemiker ist in heutiger Zeit ohne die (bio-)anorganische Dimension nicht mehr komplett.
Ein detaillierteres Stichwortverzeichnis wäre allerdings hilfreich. Zu wünschen bleibt ansonsten außer – wenn die Zeit gekommen ist – einer vierten Auflage (dann vielleicht in einem etwas größeren als dem Taschenbuchformat) wenig.
Eine Sonderstellung nimmt die biologische Chemie (Biochemie) ein, die als von Natur aus interdisziplinäres Fach seit jeher ein unstetes Leben in – oder zwischen? – verschiedenen Fakultäten spielt: Biologen und Mediziner beanspruchen sie ebenso wie die Chemiker. Naturgemäß ist daher die Annäherung an dieses Fach von Fall zu Fall verschieden, und die sich entwickelnde Sichtweise wird vom jeweiligen Hintergrund geprägt.
Die interessantesten Entwicklungen in der Forschung ergeben sich oft an Grenzflächen zwischen akademischen Fächern; als Ergebnis dieses, wenn auch nicht gänzlich neuen, aber doch zunehmend zu beobachtenden Trends, ist eine Aufweichung der traditionellen Fachgrenzen. In jüngster Zeit haben die anorganischen Chemiker die Welt der Biomoleküle und Lebewesen als eine lohnende, in weiten Teilen noch unerschlossene "Spielwiese" entdeckt. Auch Biochemiker (und solche, die es werden wollen), die traditionell ein besonderes Augenmerk auf organische Moleküle – und hier besonders die biogenen Makromoleküle – haben, werden in zunehmendem Maße ihren Blick neu fokussieren müssen. Biochemie, das ist nicht zuletzt die Botschaft des Buches "Bioanorganische Chemie", ist mehr als eine Fortsetzung der organischen Chemie mit anderen Mitteln.
Mit sich vertiefendem Verständnis der an Lebensprozessen beteiligten chemischen Elemente – besonders der Vielzahl der Metalle – wird sich zwangsläufig ein verändertes Verständnis davon ergeben, was unter "Naturstoffchemie" im weiteren Sinne zu verstehen ist. Die bioanorganische Chemie lehrt uns, dass viele, mengenmäßig hinter den organischen, kohlenstoffdominierten Molekülen zurückstehenden Elemente essenzielle, oftmals die eigentliche Funktion tragende, Elemente biologischer Strukturen sind und nicht bloß "auch irgendwie" vorhandene "Begleitstoffe", wie es etwa der althergebrachte Begriff der "Spurenelemente" nahelegt.
Mit der neuen Auflage ihres Lehrbuches füllen Wolfgang Kaim und Brigitte Schwederski im deutschsprachigen Schrifttum eine praktisch konkurrenzfreie Lücke. Während in der angelsächsischen Welt über die Jahre mehrere einführende Abhandlungen zu diesem Thema erschienen sind und sich etabliert haben, ist der Kaim/Schwederski in deutscher Sprache alleiniger "Anwalt" des Brückenschlages zwischen anorganischer und biologischer Chemie (ein um die Mitte der 1990er Jahre in deutscher Sprache aufgelegtes anderes Werk scheint vom Markt verschwunden zu sein). Obwohl Konkurrenz ja bekanntlich das Geschäft beleben soll, und im Umkehrschluss fehlende Konkurrenz demnach zu Schläfrigkeit führen sollte, verteidigt die neue Auflage dieser Darstellung "zur Funktion chemischer Elemente in Lebensprozessen" sein Terrain erfolgreich gegen nicht vorhandene, imaginäre Mitbewerber.
Im Zentrum der 19 Kapitel des Werkes steht die Rolle – man sollte wohl eher sagen "die vielen Rollen" – der Metalle bei biochemischen Reaktionen und beim Aufbau biologischer Strukturen; Aspekte, die sich bei einer molekularen Betrachtungsweise gar nicht trennen lassen. Betrachtet man das Periodensystem der Elemente, so nimmt dieses scheinbare Übergewicht nicht Wunder, sind doch die Mehrzahl der chemischen Elemente eben metallischer Natur.
Was den Leser und die Leserin erwartet, ist eine Tour de Force durch das periodische System sowie gleichzeitig durch alle Facetten biochemischer Vorgänge. Wiederum ergibt sich ein natürlicher Schwerpunkt durch solche "Spurenelemente", die als integrale Bestandteile funktioneller Moleküle (namentlich der Enzyme) aktiv an (bio)chemischen Reaktionen beteiligt sind. Hier sind in den vergangenen Jahren viele interessante neue Einsichten gewonnen worden, und ein Ende ist noch lange nicht absehbar. Aufgaben zuhauf stellen sich hier Bio- wie anorganischen Chemikern, egal ob die Interessenslage in Richtung Struktur(en), Reaktionsmechanismen oder biologische Funktion(en) geht.
Infolge verschiedener möglicher Betrachtungswinkel ergeben sich interessante Fragestellungen und Kooperationsmöglichkeiten (!), die, wenn ihre Ergebnisse zusammengeführt werden – wie in der Biologie nicht unüblich –, mehr sind als die Summe aller Teile. Dem aufmerksamen Leser dieser aktuellen Auflage eines sehr gelungenen Buches drängen sich die Fragen förmlich auf. Was bis dato auf dem Gebiet erreicht wurde, referieren Kaim und Schwederski in ihrer gelungenen Einführung in ein höchst aktives Gebiet; was (noch) nicht bekannt ist, eröffnet sich dem Studierenden zwanglos durch das Ende der Diskussion.
Die Darstellung ist (auf gehobenem Niveau!) elementar, aber anspruchsvoll. Die Informationsdichte ist hoch; "Bioanorganische Chemie" ist kein Lese-, sondern ein Lehrbuch für Fortgeschrittene. Studierenden im Hauptstudium eröffnet es aber neue Sichtweisen. Neben konventionelleren Themen wie der Enzymkatalyse werden auch "Rand-" und angewandte Themen wie Biomineralien, bioanorganische Stoffe in der Pharmazie und toxikologische Aspekte der gesundheitsschädlichen Elemente eingehend erörtert. Die Gruppierung der Kapitel ist relativ willkürlich und richtet sich vermutlich zumindest zum Teil nach dem relativen Erkenntnisstand bezüglich der betrachteten Elemente. Eine etwas stärkere Strukturierung des Inhalts wäre der Nützlichkeit des Werkes nicht abträglich (beispielsweise durch das Einführungen von den Kapiteln übergeordneten "Teilen", die inhaltlich verwandete Kapitel zusammenfassen und dann auch eine kurze, allgemeine Aspekte des Themenkomplexes beleuchtende Einführung enthalten könnten).
Wie es sich für ein Lehrbuch für Fortgeschrittene gehört, sind alle Aussagen durch Verweise auf die Originalliteratur belegt. Die ausführlichen Literaturlisten zu allen Kapiteln führen den Lernwilligen bis an die berühmte, oft strapazierte "Front der Forschung". Diese Einführung in die bioanorganische Chemie macht allemal Lust darauf, sich noch tiefer auf dieses Gebiet einzulassen. Studierenden (und natürlich auch Profis) der anorganischen Chemie oder anderer Interessentenkreise (wie aus der Pharmazie) ist das Werk als eigenständige Lektüre oder als Begleitung einschlägiger Veranstaltungen empfohlen, so das Interesse nicht in vollständig andere Richtungen geht.
Auch wer sich nicht entsprechend spezialisieren will, kann hier einen mehr als interessanten Blick über den Tellerrand tun. Studierende der Biochemie allerdings sollten Kaim/Schwederski als Pflichtlektüre neben oder nach den allgemeinen Lehrbüchern ihrer Zunft betrachten, wird doch die hier behandelte Thematik bis auf weiteres auch in den führenden Lehrwerken der Biochemie oft noch recht stiefmütterlich behandelt. Das "Weltbild" des Biochemiker ist in heutiger Zeit ohne die (bio-)anorganische Dimension nicht mehr komplett.
Ein detaillierteres Stichwortverzeichnis wäre allerdings hilfreich. Zu wünschen bleibt ansonsten außer – wenn die Zeit gekommen ist – einer vierten Auflage (dann vielleicht in einem etwas größeren als dem Taschenbuchformat) wenig.
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