»Das Moor«: Die Moorwende
Wer bei dem Wort »Moor« vor allem an düstere und neblige Sumpflandschaften denkt, den wird das Buch von Franziska Tanneberger überraschen. Die Moorforscherin und Leiterin des Greifswald Moor Centrums zeigt uns zusammen mit Vera Schroeder, Journalistin bei der Süddeutschen Zeitung, dass Moore weltweit vielfältige Landschaften und einen faszinierenden Lebensraum bilden. Aber dieses Ökosystem wird immer mehr zerstört – dabei könnten Moore einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Es sei »höchste Zeit für einen Imagewandel des Moores«, so Tanneberger.
Ihr Buch »Das Moor: Über eine faszinierende Welt zwischen Wasser und Land und warum sie für unser Klima so wichtig ist« will zu diesem Imagewandel beitragen. Es ist ein Sachbuch mit detaillierten Informationen über Moore, deren Zustand und Bedeutung weltweit und in Deutschland, aber gleichzeitig ein persönliches Buch: So erzählt Tanneberger, wie sie zur Moorforscherin wurde – vor allem weil sie »Moormenschen« (Menschen, die sich mit Mooren beschäftigen) schnell besonders gern mochte.
Faktenreich erklärt Tanneberger die Geschichte der Moore in Deutschland, deren Entstehung und Besonderheiten. Entscheidend: ein Wasserüberschuss und bestimmte Pflanzen (wie Torf- und Braunmoose, Sauergräser), die den Boden – Torf – bilden. Besonders am Herzen liegen der Forscherin die Tiere – vor allem der Seggenrohrsänger, Thema ihrer Doktorarbeit, der allerdings heute nicht mehr in Deutschland vorkommt, weil er seinen Lebensraum Moor verloren hat.
Einen großen Teil des Buches nimmt das Thema Klimawirkung von Mooren ein. Denn sie gelten als »CO2-Senken«, erklärt Tanneberger: Nasse Moore speichern Kohlenstoff aus dem Kohlendioxid (CO2) der Luft im Boden durch abgestorbene und durch Wasser luftdicht konservierte Pflanzenreste. So wachse die Torfschicht eines Moores in Deutschland ca. 1 mm/Jahr. Dagegen entweicht aus trockengelegten Mooren Kohlenstoff wieder als CO2 in die Luft: Entwässerte Moore sinken also nicht nur durch Torfabbau ab, sondern vor allem durch diese »lautlose Verbrennung«. Dies führe zu einem Moorschwund von ca. 1 cm Torfschicht im Jahr. »Solange der Kohlenstoff im Boden verschlossen bleibt, haben Moore eine Klimaschutzfunktion. Kommt er heraus, weil z. B. der Mensch den Moorboden trockengelegt hat, um ihn zu bewirtschaften, beschleunigt das entwässerte Moor den Klimawandel«, schreiben die Autorinnen.
Dass Moore bisher kaum wahrgenommen werden, liege auch an ihrer »Unsichtbarkeit«. Denn von den 1,8 Millionen Hektar aktueller Moorfläche in Deutschland (entspricht etwa der Fläche von Sachsen) sind 94 % entwässerte Moorböden und nicht mehr als solche erkennbar: Sie werden landwirtschaftlich genutzt (als Ackerland oder Grünweiden, ca. 80 %), forstwirtschaftlich (ca. 20 %) oder zum Torfabbau (weniger als 1 %). Naturnahe, nasse Moorflächen machen dagegen nur noch 2 % aller Moore hierzulande aus und liegen meist in Naturschutzgebieten. Seit den 1980er Jahren werden Moore wiedervernässt (derzeit 4 %).
Zur Weltklimakonferenz 2021 in Glasgow wollten Tanneberger und ihre Wissenschaftlerkollegen den Mooren mehr Aufmerksamkeit verschaffen, denn »Moore und ihre Wirkung auf das Klima und die Biodiversität werden bis heute stark unterschätzt« – »Aschenputtel-Syndrom« genannt. So erstellten sie eine Weltkarte aller Moore (im Buch ist eine vereinfachte Darstellung zu finden). Die größten Moore finden sich z. B. in Alaska, Kanada und Sibirien, aber auch auf der Südhalbkugel und in den Tropen gibt es Moore. Weltweit seien ca. 80 % der Moore noch naturnah und nehmen CO2 auf – 15 % seien entwässert und stoßen CO2 aus. Und die Wissenschaftler präsentierten überraschende Zahlen: Ein Drittel des Kohlenstoffs, der weltweit in Böden steckt, ist in Mooren gebunden – obwohl sie nur 4 % der Landfläche der Erde bedecken. In Mooren ist also mehr Kohlenstoff gespeichert als in allen Bäumen aller Wälder der Erde zusammen.
Am Beispiel großer Moore geht Tanneberger auf Besonderheiten und Probleme der Moore ein. So berichtet sie von ihren Reisen zum Wasjugan-Moor in Sibirien, dem größten zusammenhängenden und weitgehend unzerstörten Moor der Welt – unter dessen Torfschichten Öl lagert. Sie erzählt nicht nur von Versuchen der Wissenschaftler, Gebiete besser vor Torf- und Ölabbau zu schützen, sondern auch von einer Expedition, bei der sie fast im Moor vergessen worden sind.
Die größten Moorflächen der Tropen liegen in Indonesien: Moorregenwälder an den Küsten mit Torfschichten von oft bis zu 12 Metern. In den vergangenen Jahrzehnten wurden sie allerdings großflächig abgeholzt und entwässert, so dass sehr viel CO2 in die Atmosphäre gelangte. »Gleichzeitig ist Indonesien ein Land, das wie kein anderes auf der Erde für schnelle und konsequente Moorwiedervernässung steht«, so Tanneberger – und erklärt, was man dadurch von Indonesien lernen könnte.
Die Moorforscherin plädiert für eine »Moorwende« in Deutschland und erklärt, wie Wiedervernässung funktioniert und wie wichtig – und manchmal problematisch – dabei die Zusammenarbeit von Wasserbehörden, Landbesitzern und Landwirten sei. Das Greifswald Moor Centrum hat einen Transformationspfad für Moore erstellt und errechnet: Wenn wir bis 2050 Netto-Null Kohlendioxid erreichen wollen (Paris-Abkommen), »müssten wir deutschlandweit ab 2021 pro Jahr 50 000 Hektar wiedervernässen«. Derzeit werden 2000 Hektar im Jahr wiedervernässt.
Auch der künftigen Nutzung wiedervernässter Moore widmet sich Tanneberger: Je nach Zustand könnte wieder Wildnis entstehen, oder die Flächen könnten für Photovoltaik, Windräder oder »produktiv« genutzt werden – mit Paludikultur. Unter diesem Ende der 1990er Jahre geprägten Begriff versteht man Land- oder Forstwirtschaft auf Mooren, bei der der Torf erhalten bleibt und gleichzeitig etwas produziert wird. Ein Beispiel, das fast jeder kennt: Reet – auf nassen Böden gewachsenes Schilf, das gemäht, getrocknet und in Bündeln zusammengebunden wird, um damit Dächer zu decken. Aber es gebe noch zahlreiche andere Nutzungsmöglichkeiten: beispielsweise Torfmoosfrischmasse als ökologisch nachhaltiger Torfersatz in Blumenerde, Wasserbüffel zur Landschaftspflege oder als Fleischlieferant oder Rohrkolben als Verpackungsmaterial. Tanneberger verschweigt aber auch die zahlreichen Probleme und Herausforderungen nicht, wenn es darum geht, funktionierende Wertschöpfungsketten zu entwickeln.
»Bis zu 40 Mio. Tonnen CO2 lassen sich jährlich einsparen, wenn wir es schaffen, alle unsere Moore wiederzuvernässen.« Das entspreche der Hälfte des CO2-Ausstoßes der Industrie in Deutschland – dafür müssten 7 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland transformiert werden, rechnet Tanneberger vor und fordert: »Nun müssen wir endlich handeln.« Im letzten Kapitel beschreibt sie acht Schritte, die jetzt nötig seien: von Moorklimaschutzmanager*innen über neue Fördergelder bis hin zur Starthilfe für die Wirtschaft. Zwar gebe es schon viele Förderprogramme, aber auch viele Widersprüche: so die 4 Milliarden Euro bis 2026 für die Moorwiedervernässung (»Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz«), aber auch weiterhin Fördergelder in Milliardenhöhe für Landwirtschaft auf entwässerten Moorflächen.
Das Buch ist abwechslungsreich gestaltet, mit Moorfotos und Interviews mit »Moormenschen«, einem Glossar und wissenschaftlichen Quellen zum Nachlesen der zahlreichen Informationen. Tanneberger und Schroeder haben ein lesenswertes, detailliertes Buch über das »schöne nasse Land« geschrieben, man spürt die Begeisterung für Moore. Zugleich wird die politische Botschaft der Moorexpertin deutlich: (nasse) Moore sind ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz.
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